DIE LUSTIGE WITWE – Ein frech-frivoles Vergnügen

Eine heimliche Hauptfigur verleiht der Salon-Süße dieses Stücks die ironische Leichtigkeit. Nicht die Titelfigur selbst, die pontevedrinische Millionenerbin Hanna Glawari, setzt den Ton, sondern der etwas einfältige, aber rechtschaffene Njegus, der aber in seinen Intermezzi mit Esprit glänzt. Vom Mittelscheitel über die Ärmelschoner prima vista ein subalterner Tölpel, der, froh um einen Reim, als Kanzlist aus dem Komponisten fix den Franz List macht. Dabei waren es natürlich Franz Lehár und seine beiden Librettisten Leo Stein und Victor Léon, die mit der Walzer-Operette Die Lustige Witwe 1905 einen wahren Coup landeten. Im Theater an der Wien nahm das Publikum diese unterhaltsame Mischung aus Walzerseligkeit, schwül-schlüpfriger Erotik und politischem Kabarett begeistert auf.

Drei Buchstaben nur machen den Unterschied zwischen dem Fantasiestaat Pontevedro und dem kleinen, damaligen k.u.k. Land Montenegro aus. Um die vorige Jahrhundertwende stand das Land vor dem Staatsbankrott – einen EU-Rettungsschirm gab es nicht! Dieser historische Hintergrund veranlasste nun die jungen Kreativen, die Nöte und die Affektiertheit des Adels in dem armen Land zum Gespött zu machen. Eine Staatskrise, die mit ein paar Millionen geklärt wird? Lächerlich! Die Librettisten gingen sehr offen mit den Namen der high society um. Danilo war der Fürstenname, Glawari bezeichnete die politische und gesellschaftliche Elite, Njegos hieß das Herrschergeschlecht. Und Paris war zur vorigen Jahrhundertwende the place to be. Das Fin de siècle, der Jugendstil, Can-Can, das ausschweifende Vergnügen im Gegensatz zur sauren Moral im hochgeschlossenen Kleid und den allzu engen Hemdenkragen.

Die Vorgeschichte: Vor Jahren hatte der fesche Graf Danilo (ja, genau der mit dem Gassenhauer „Da geh ich zu Maxim“) eine Liebschaft mit dem armen Mädchen Hanna Glawari. Der Erbonkel verbot eine Verbindung wegen des Standes- und Vermögensunterschieds. Das aktuelle Geschehen: Diese Frau tritt nun in der pontevedrinischen Gesandschaft auf, nachdem ihr nach nur acht Tagen Ehe verblichener Gatte sie mit einem Millionenerbe bedacht hat. Oberste Pflicht nun für den Gesandten Baron Mirko Zeta (dessen Name ein tatsächliches, stets umkämpftes Gebiet auf dem Balkan bezeichnet), für einen neuen Ehemann zu sorgen, damit die Millionen nicht in Paris verprasst werden, sondern quasi als Staatsschatz in die Heimat zurückkehren.

Baron Zeta nun, etwas engstirnig und realitätsfern, mehr als nationalistisch (beim Wort Vaterland zuckt immer der rechte Arm und will sich nach oben strecken), verkennt völlig, dass seine sexy Ehefrau Valencienne ein sehr intimes Verhältnis zu Camille de Rossillon unterhält, all‘ ihren Beteuerungen zum Trotz, sie sei eine anständige Frau. Ein verlorener Fächer, ein Liebespavillon, eine schnelle Lüge hier und paar diskrete Treffen dort bilden die Zutaten zu einem kleinen Sittengemälde der Zeit: Die Herren gehen in den Club (außer den Grisetten haben nur Männer Zutritt) und die Frauen schaffen sich ihre Freiräume. Wie du mir, so ich dir gipfelt in Bonn in einer handfesten Schlägerei, bei der die Männer ihre Wunden leckend von der Bühne kriechen. So viel zum feministischen Aspekt der Inszenierung. Ja, das Studium der Weiber ist schwer, das der Männer aber auch.

Zwischen allem und allen mäandert der gute, immer präsente Njegus durchs Geschehen. Christoph Wagner-Trenkwitz, beim Bonner Publikum bereits als Fledermaus-Frosch beliebt, gestaltet „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ als Erzähler und Impresario. Fordert das Publikum auf, per Hammelsprung für ein glückliches oder melancholisches Ende zu stimmen. Das Bild vom Chaos in den Sitzreihen lässt er dabei nur in den Köpfen entstehen. Kleiner politischer Seitenhieb deutlicherer Art? Wenn ein Zitronenfalter keine Zitronen faltet, was machen dann die Volksvertreter? Eine große Freude, dem Wiener Theater-Vollblut CWT beim Animieren, Granteln, Besänftigen, Klippen umschiffen und Ehre retten zuzusehen. Im Männer-Cancan gibt er die Primaballerina, beim Twerken den Verführer und in Boxershorts, roter Corsage und grünem Hütchen einen Cage-aux-Folles Transvestiten. Chapeau, chapöchen! Diesen durchgehend großen Platz hat der Regisseur Aron Stiehl der Njegus-Figur eingeräumt. Im Original handelt es sich um einen typischen, eloquenten 3.Akt-Komiker, der den Operetten dieser Zeit die ironische Würze verlieh, indem er mit Wortspielen und aktuellen Andeutungen das Publikum unterhielt.

300.000 mal wurde Die lustige Witwe bis heute gespielt. Johannes Heesters in Frack, weißem Schal und Chapeau claque war gefühlt schon bei der Uraufführung dabei und sang den Superhit „Heut geh ich zu Maxim“ bis quasi zum letzten Atemzug auch auf der Bühne. In Bonn gibt Ensemble-Mitglied Johannes Mertes den Partylöwen Graf Danilo Danilowitsch, der sich wohl oft verlieben, aber nie heiraten wollte, eher gesetzt als Testosteron gesteuert. Die Klinge kreuzt er mit Barbara Senator als Hanna Glawari, die das Bonner Publikum als Titelheldin in Richard Strauss‘ Arabella begeisterte. Ihre Hanna kommt souverän und abgeklärt daher; sie hat geliebt, kann verzeihen und schließlich die „Frauen“rolle annehmen: Letztendlich geht ihr Vermögen bei einer Heirat in den Besitz des neuen Gatten über. Marie Heeschen als Valencienne und Santiago Sanchez als Camille de Rossillon erfreuen als augenzwinkerndes, erotisch aufgeladenes Heimlichkeiten-Pärchen. Es knistert zwischen den jungen Ensemble-Mitgliedern, die nicht nur ausgezeichnet singen, sondern auch tanzen. Sehr schön anzuschauen! Martin Tzonev agiert leicht trottelig als gehörnter Ehemann und staatstragender Diplomat; bei ihm paaren sich schlichtes Gemüt und große Selbstüberschätzung. Dem Bonner Bass liegen diese Rollen: Das hat er erst kürzlich als Don Fiasco in La Cenerentola bewiesen. Marco Medved hat mit den Damen und Herren des Opernchors die großen Ballszenen prächtig einstudiert, Sabine Arthold ist die Choreografin – auch mit einem halben Dutzend professionellen Tänzerinnen und Tänzern – für diesen Tanz auf dem Vulkan.

Hermes Helfricht bringt mit dem Beethoven Orchester vom ersten Takt an Schwung in die Bude. Flott, mitunter rasant, nimmt er den stets drohenden Kitsch aus den Evergreens, lässt auch Harfe und Geigen beim „Lippen schweigen“ leichtfüßig klingen. Das ergänzt all die frechen Details auf der Bühne ausgezeichnet. Da tanzt der Bischof ein Solo, zwei Frauen walzern froh herum, eine Nonne schiebt den fast obligatorischen Stiehl-Rollstuhl, ein Männerpaar vergnügt sich erotisch unter dem Tischtuch. Will sagen, die Welt ist bunt und vielfältig, das Leben ganz schön divers, und Spaß wollen alle haben. Auch der fleischgewordene running gag der Dame im Ballkleid, die immer dabei sein will und immer zu spät kommt, photobombing inklusive!

Aron Stiehl inszeniert Die Lustige Witwe wie ein Vaudeville-Theater. Musik-, Tanz- und Instrumentalnummern wechseln sich ab. Ein Hauch von Zirkus-Romantik à la Roncalli weht mit, wenn er selbst als Wachposten vor dem Opernhaus Visa für das legendäre Pontevedro aushändigt. Heute ganz schnell, was sonst vier Wochen dauert – die Show beginnt gleich. Einmal drin, perlt die Handlung über die Bühne, vom Komödienexperten Stiehl auch mitunter als Klamauk gestaltet. Er führt das Publikum in die Gesandtschaft, das Palais und den Nachtclub als „Sündenpfuhl“, wo Valencienne (Marie Heeschen) als pole dancer bella figura macht. Ob aber die Welt für Danilo und Hanna schließlich voller Geigen hängen und die ganze Welt himmelblau sein wird? Am Ende öffnet sich ihnen ein pastorales Paradies, dessen barocke Naturgemälde voller erotischer Bilder stecken. Sex, Geld und Macht regieren die Welt!

Fazit: Ein bunter, musikalisch und tänzerisch abwechslungsreicher und unterhaltsamer Abend, von allen Akteuren sehr amüsant präsentiert. Für Liebhaber der Operette ein großes Vergnügen.

Das Theater Bonn spielt Die Lustige Witwe noch neun Mal bis zum 15. Juni 2023. Details und Karten hier.

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