Auf einen Kavalierbariton hatte ich mich gefreut, dessen Mozartinterpretationen des Don Giovanni und des Grafen Almaviva lange nachhallen. Und wen treffe ich? Einen Bariton, der sich zunächst einmal als echter Kavalier entpuppt. Mit dem griechischen Charme eines Opernsängers, der einen Hauch von Romantik und Melancholie von seiner Herkunft mitbringt. Giorgos Kanaris kommt aus Athen, ist in Piräus geboren und aufgewachsen. Ach ja, der 1960er Schlager „Ein Schiff wird kommen …“. Da wartet ein Mädchen aus Piräus auf den einen und es geht wie in der Oper um Sehnsucht und Liebe.*
Wir warten nicht, wir finden uns. Im Café Kleimann, gleich gegenüber der Oper. Die Sonne lockt wohl an den Rhein. Aber Giorgos kommt gerade vom Gesangstraining angeradelt, hat ein wenig transpiriert und mit Rücksicht auf sein wichtigstes Werkzeug machen wir es uns in einer windgeschützten Ecke indoor gemütlich.
Die Sonne mache ihn ganz glücklich. Und dann gleich am Wasser! Das ist Balsam für seine Mittelmeerseele. Freunde aus der griechischen Community raten, in den dunklen deutschen Wintern Vitamin D zu schlucken. Wer erst mit 28 wie Giorgos nach Deutschland kommt, hat die winterliche Tristesse noch nicht in seiner DNA.
Apropos Griechen unter sich. Seinen vocal trainer Aris Argiris, der zentral in Bonn ein eigenes Studio betreibt und der uns von der Opernbühne in bester Erinnerung ist, kennt er schon seit über 20 Jahren. Da bewähren sich alte Freundschaften und Verlässlichkeiten, fast so etwas wie Familienbande.
Familie – ein Stichwort, bei dem Giorgos‘ Augen leuchten und seine wunderbare Sprechstimme ein warmes Timbre zulegt. Vor den Kindern (ein und sechs Jahre) hat er gern lange geschlafen und war trotzdem öfter gesundheitlich angeschlagen. Heute fühlt er sich viel belastbarer, steht er mit Junior bereits um spätestens sechs Uhr in der Frühe auf, geht zur Probe, und könnte sich eigentlich ein Stündchen hinlegen. Stattdessen radelt er heim, genießt die Zeit mit den Kindern, entlastet seine Frau, ebenfalls Sängerin, die im Moment unterrichtet und als Sopran hin und wieder im Extrachor singt.
Giorgos zeigt sich als sehr charmanter, unterhaltsamer und herzlicher Gesprächspartner. Es fällt leicht, mit ihm in einen lässigen Flow zu kommen. Wir pingpongen so über den Kaffeetisch, und über Strecken interessiert er sich für mein Leben und meine Vorlieben fast mehr, als er über sich erzählt. So soll es sein! Mit gegenseitiger Offenheit und viel Vertrauen holen wir beide – der Opernstar und die „Reporterin“ – das Beste aus dem Gespräch raus.
Ein Künstler muss Profil entwickeln
Freimütig berichtet er über seine Rollen, die Proben und die Entstehung der Produktionen. Da sitzt mir ein selbstbewusster Künstler gegenüber, der sich von Anfang an gern mit den Regisseuren oder auch den Dirigenten über Details aus-einandergesetzt hat. Aus dem Position-Beziehen erwachse sängerische Reife. Nur so habe er seinen Gesang, aber auch sein Spiel gut entwickeln können. Er rate heute mehr denn je den jungen Sängern, auch mal Widerspruch zu wagen. Immer zu nicken und die Wünsche klaglos zu übernehmen, verhindere das Wachsen der eigenen künstlerischen Professionalität und Persönlichkeit.
Im Ensemble habe er deshalb auch einen Ruf als ausgleichendes und motivierendes Element. Das mag von seiner Position in der Geschwisterrolle herrühren. Als mittlerer von drei Brüdern, das Sandwich-Kind, lag ihm die die Zwischenlage schon immer. Vielleicht programmatisch für einen Bariton, so zwischen Bass und Tenor?
Fünf große Produktionen und eine umjubelte Wiederaufnahme stehen in dieser Spielzeit auf seinem Programm. Die Traviata heimste bei einem Gastspiel in Antibes kürzlich den gleichen Jubel ein wie die Aufführungen hier in Bonn, wo er in der neunten Spielzeit als Ensemblemitglied singt. Frenetischer Beifall für Giorgio Germont, so berichten die Zeitungen hier. Kein Wunder bei der Stimme!
Wer Die Hochzeit des Figaro gesehen (und gehört, also eigentlich miterlebt) hat, weiß, wie humorvoll er mit völlig ernstem Gesichtsausdruck spielt – Komik ist echte Kunst! So viel Spaß haben ihm wenige Inszenierungen gemacht, und all‘ die kleinen Gimmicks hätte Aron Stiehl auf ebendiese Art und Weise mit dem Ensemble einstudiert: mit viel Humor! Was die Arbeit mit ihm darüber hinaus ausmachte? Stuhlkreis! Miteinander eineinhalb Stunden einzelne Szenen durchgehen und sich immer wieder fragen: Verstehen wir richtig, was wir da auf Italienisch singen? Welche Emotion hängt dran? Wie kriegen wir das mit der Musik stimmig? Stiehl war über sechs Wochen konsequent bei den Proben anwesend, immer unter der Prämisse für jede einzelne Szene: Erst spielen, dann singen! Die Sänger sollen dem Publikum die Freude machen, das Stück in allen Facetten zu verstehen.
Dem Publikum das Beste geben
Dabei kommt Giorgos Kanaris richtig in Fahrt. „Schau mal, sagt er, „der Regisseur bleibt bis zur Premiere. Dann haben wir das Stück richtig gut einstudiert. Das sind 60 %, maximal 80 % Prozent des Erfolgs. Aber dann führen wir das Stück Abend für Abend wieder auf. Es entwickelt sich. Wir entwickeln uns. Das Stück reift – und soll bei jeder Aufführung wieder spannend sein. Denn: Alle Künstler wollen dem Publikum das BESTE geben.“
Hielte er sich für eine gute Bariton-Besetzung im italienischen Fach? Bei den bekannten und weniger bekannten Verdi-Opern? – Auf jeden Fall. Der lange, große Atem … darüber verfügt er zweifellos. Schelmisch fügt er hinzu: Nur jetzt für den über 80-jährigen Dogen Francesco Foscari sei seine Stimme zu jung.
Zurück zu der breiten Fächerung seiner Rollen. Wie bekommt er das in einer Spielzeit gut hin? Also … er brauchte ungefähr zwei Wochen für die Partie des alten Germont. Ein Duett, eine Arie, passt! Warum das so fix ging? Sie war vollkommen neu für ihn, sodass er sich mit seiner gereiften Gesangstechnik die Partie schnell aneignete.
Viel anspruchsvoller dagegen war es, sich von seiner jugendlichen Interpretation des Grafen Almaviva zu lösen. Es sei ungleich schwerer, alte „Einstellungen“ in der Stimmführung zu löschen und sie loszulassen, als etwas völlig Neues einzustudieren. Wer – außer dem Gesangslehrer oder Repetitor – gibt ihm denn Feedback und Tipps? Giorgos lacht. „Das gebe ich mir selbst. Es gibt ein untrügliches Zeichen, dass noch Fehler drinstecken.“ – Ja und welches? – „Wenn es mit den jetzigen Möglichkeiten meiner Stimme noch nicht passt, dann bin ich unglaublich müde. Es strengt mich einfach sehr an. Und das soll es eben gar nicht.“
Rollenstudium am Arbeitsplatz Oper
Wie und wo übt denn ein Opernsänger? Wo studiert er die kniffligen Stellen in einer Partie ein? Zu Hause? – Giorgos schüttelt den Kopf. Zu Hause singt er seinen Kindern vor. Sein Arbeitsplatz ist aber die Oper. Hier hat er seinen eigenen Raum, von wo er schon einmal einen Kollegen, der im Nebenzimmer probt, vertreibt. Na, weil seine Stimme so kraftvoll ist! In der Regel macht er seine Gesangsübungen allein. Er spielt auf dem Klavier die ersten Akkorde an und steigt von dort aus ein. Das Orchester „hört“ er in seinem Kopf. Allerdings klappt das bei der wilden Musik wie die des Oberst Chabert, wo er ab dem 17. Juni 2018 die Rolle des Advokatus Derville singt, auf keinen Fall. Da benötigt er den Repetitor am Klavier.
Ein kurzer Blick auf Carmen. Im goldenen Bodysuit glitzern – das ist eine Sache und gibt dieser Rolle in dieser Inszenierung Glamour im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Escamillo, der nur diese einzige und weltberühmte Arie hat, wird flankiert von den Schubkarrenspielen der Kinder. „Eher ungünstig, weil das Auge des Betrachters dann abgelenkt wird“, stellt er bedauernd fest. Die Regie bleibt ja auch an der Stelle zu statisch. Da kann Giorgos Kanaris eins seiner zahlreichen weiteren Talente nicht richtig ausschöpfen. Ich finde ihn ja tanzend so cool. Er hat die richtigen Moves. Und groovt sich als William Longspee bei den Kids genauso geschmeidig ein wie im höfischen Fandango im Figaro. I like!
Sein größtes Forte allerdings: die unfassbar schöne Stimme. Da stockt einem schon der Atem, wenn er vor der Gräfin, die er so schändlich betrogen hat, der alte Schwerenöter, reuig auf die Knie geht und zum „Contessa perdono…“ ansetzt. I love it!
Wie pflegt er dieses Kleinod? Nichts Besonderes fällt ihm da ein. Von wegen rohe Eier aufschlagen und gurgeln … lieber nicht. Stattdessen bei einem Katarrh und Schnupfen Ingwer kleinschneiden und essen. Brennt wie die Hölle, macht aber den Kopf klar und die Stimme bekommt Raum und Sitz.
Ja, diese Stimme, sein Geschenk der Natur. Semi-offiziell sei unser Termin, er artikuliere deswegen prägnanter und spreche wohl auch lauter. Seine Naturstimme sei deutlich weicher, fließender und auch leiser. Ob ich davon eine Kostprobe bekommen könnte? Vielleicht ein paar Sätze auf Griechisch, in seiner Muttersprache? – Kommt prompt. Und ich verrate euch: Er hat recht.
So vollkommen natürlich beeindruckt sie mindestens ebenso wie im Interview oder auf der Bühne.
Wir haben uns nicht nur ausgetauscht, sondern auch angefreundet, wechseln zum Du und finden das Leben an diesem herrlichen Nachmittag wunderbar. Auf bald, lieber Giorgos, spätestens bei der Premiere von I due Foscari am 6. Mai 2018, wo wir dann bei der Premierenfeier ein bisschen fachsimpeln.
Nur noch wenige Karten für die Traviata, einige mehr für den Figaro und eine große Auswahl für alle Plätze des Oberst Chabert findet ihr auf Theater Bonn.
Wir sehen uns – bei all‘ den sehens- und hörenswerten Aufführungen der verbleibenden Spielzeit bis Juli 2018.
*Ich bin ein Mädchen von Piräus
Und liebe den Hafen, die Schiffe und das Meer
Ich lieb‘ das Lachen der Matrosen
Und Küsse, die schmecken nach See und Salz und Teer
Mich lockt der Zauber von Piräus
Drum stehe ich Abend für Abend hier am Kai
Und warte auf die fremden Schiffe
Aus Hongkong, aus Java, aus Chile und Shanghai
Ein Schiff wird kommen, und das bringt mir den einen
Den ich so lieb‘ wie keinen und der mich glücklich macht
Ein Schiff wird kommen und meinen Traum erfüllen
Und meine Sehnsucht stillen, die Sehnsucht mancher Nacht.
Ap to parathiro mou stelno ena dio
Ke tria ke tessera filia
Pou ftanoun sto limani ena ke dio
Ke tria ke tessera poulia
Pos ithela na eho ena ke dio
Ke tria ke tessera pedia
Pou san…
Ein sehr netter und lebendiger Bericht über Giorgos: so habe ich ihn auch kennen gelernt!
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durch deine einfallsreichen Berichte möchte ich eigentlich alle Operevents miterleben 😀😀😀😀😀😀😀😀😀😀😀😀😀😛😛😀😀😀😛
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