DIE FLEDERMAUS – Der Champagner und seine Folgen

Frosch und Feuermelder im Duett – dieses Intermezzo bei der Premiere von Johann Strauss‘ Operette Die Fledermaus gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder.*  Was sich wie eine bedrohliche Notsituation ankündigte, entpuppte sich zum Zuckerl in der spritzig-witzigen neuen Inszenierung des Operetten-Oldies von Aron Stiehl. Der Gefängnisdiener Frosch hatte seinen großen Auftritt vor seinem eigentlichen Einsatz. Und das kam so.

Zu den vertrauten Fledermaus-Klängen aus dem Graben und dem erotischen Turteln von Rosalinde und Alfred  gesellten sich gegen Ende des ersten Akts zwei penetrante Töne, die auch Dirigent Daniel Johannes Mayr nach ein paar Takten nicht mehr ignorieren konnte. Feueralarm. Wie gut, wenn man dann einen Frosch im Haus hat, der dazu auch bereits in der Maske für seine Rolle im dritten Akt ausstaffiert wurde. Man schob ihn aus der Kulisse nach vorn und er lieferte eine Stand-up Comedy, wie sie nur erfahrenen, intelligenten und sehr schlagfertigen Bühnenmenschen gelingt. Christoph Wagner-Trenkwitz extemporierte und schüttelte acht Minuten Wortwitz aus dem Ärmel. Kommentierte er noch vor zwei Wochen kalauernd aus dem Quarantäne-Kaschterl den Wiener Opernball, schlug er nun Brücken zwischen Fidelio und Fledermaus, titulierte das BOB als „zauberhafte lokale Beethovenkapelle“ und wünschte sich, dass die Zwangspause möglichst lange dauere, damit er viele Froschwitze erzählen könne, bevor das Gesumse wieder losgehe. 

Das „Gesumse“ war die fabelhaft leichte, beschwingte und so auf den Punkt gebrachte musikalische Interpretation der Strauss-Operette. Dynamisch ja, aber nicht im Galopp, mit einem Schuss Nostalgie, aber ohne Zuckerguss. Prickelnde Erotik musste, ein bisschen Sado-Maso durfte. Verschiedene Spielarten halt der alten Geschichte Wer-mit-wem-und-wie. Was genau passierte? Eigentlich nichts. Also nichts Verwerfliches. Dumme-Jungen-Streiche im neureichen Wiener Vorstadtmilieu. THEATER BONN: DIE FLEDERMAUSDa nimmt Dr. Falke Rache an Gabriel von Eisenstein, weil er ihn vor Jahren einmal dem Gespött der Markthändler preisgegeben hat. Sturzbetrunken ließ er ihn nach durchzechter Nacht in einem Fledermauskostüm  auf der Strauße zurück. Dazu gesellt sich eine Amourette. Der Tenor Alfred findet sich völlig überraschend im Hause Eisenstein ein, um seine alte Schwärmerei für Rosalinde aufzuwärmen. Aber er kommt nicht wirklich zum Zuge – dem Intervenieren des Gefängnisdirektors Frank (und gestern in Bonn dem Feueralarm) geschuldet. Der dritte Handlungsstrang: Eisenstein muss eine Gefängnisstrafe absitzen, weil er einen österreichischen Beamten beleidigt hat. Mon dieu, möchte man beschwichtigen. Das regelt man doch unter Freunden, mit ein paar Scheinen, mit einer Einladung zum … grand souper? Oder ein anderer tritt den Arrest an. 

Also das Eigentliche findet nicht statt. Lässt die Ouvertüre, die alle Themen anspielt, noch auf eine große Oper schließen, zerfließen die dramatischen Konflikte wie Liebe, Leidenschaft, Rache hier ungelöst. Und zwar in reichlich Champagner. Der ist schließlich an allem Schuld. Und bildet die flüssige Grundlage für die klug gestaltete Situationskomik. Am Ende ruckelt sich die heile Welt zurecht, die allerdings auf den wackligen Beinen des Alkohols steht. Die heiße Luft der Anfangskonstellation ist verpufft, statt Neubesinnung ein walzerndes Weiter-so. 

Das Publikum der Uraufführung 1874 erkannte die Protagonisten der Gründercrash-Opfer auf den ersten Blick. Die Neureichen, die durch das Desaster der Weltausstellung ihr verdientes, nicht ererbtes Geld verloren hatten. Die mittelmäßig Gebildeten, die ihr Französisch nur in Phrasen plappern und einander in dümmlichen Reimen beschimpfen. Das wäre in Wien, der Weltstadt, dezidiert anders. Weil die Sehnsucht nach dem Großbürgerlich-Adligen die Attitüde der Vorstadt-Möchtegerns so prägt, muss ja im zweiten Akt ein russischer Prinz her. A bissel ominös, der Herr Prinz, und a bissel androgyn obendrein und mit einem exotischen erotischen Faible. Einer, der die Befindlichkeiten des Bürgers (Eisenstein) und des Beamten (Frank) ad absurdum führt. Sehr hübsch, wie Prinz Orlofsky das Bornierte und Blasierte vorführt.

Aber damit sind wir natürlich schon im Gartensalon des Prinzen, den der Kapellmeister mit „pomp and circumstance“ ankündigt. Selbst in Frack mit Schwalbenschwanz gewandet,  fordert er das Publikum auf, sich zu majestätischen Tönen zu erheben. Was für eine Farce!  Hier wachsen die Bäume wahrhaftig nicht in den Himmel, sondern das Dschungelgrün hängt von der Decke  und Beethoven persönlich spielt zum Csárdás der ungarischen Gräfin alias Rosalinde von Eisenstein auf. Allerdings schwebt er mit seinem Pianoforte in der Luft. Er steht halt über den Dingen. 

Nicht einmal 24 Stunden beträgt die gespielte Zeit; die drei Akte zeigen drei Schauplätze. Zunächst das Haus Eisenstein, in dem die Zimmer wie Waben in einem Bienenstock eng aneinander liegen. THEATER BONN: DIE FLEDERMAUSEin bisschen upstairs-downstairs im Ikea-Ambiente. Hier bedient sich das Stubenmädchen frech an den Goodies der Gnädigsten,  hier wirft sich die Hausherrin vor dem Tenor mit dem hohen A willig nieder, hier hecken Eisenstein und Dr. Falke ihre nächtliche Eskapade aus. Und hier kocht die Dame des Hauses persönlich die Suppe. Eine quicklebendige Präsentation des engstirnigen Bourgeois-Lebens, das sich Freiheiten in Form von Po-Tätscheln und hormonell gesteuertem Wiehern gönnt, garniert mit köstlichen Tanzeinlagen.

Im zweiten Akt wird der Raum weit, die Szene in Partylicht getaucht. Der Gartensalon im prinzlichen Palais, ein Ambiente wie geschaffen für die Traumnovelle von Arthur Schnitzler von 1925, in Eyes Wide Shut genial verfilmt. Hier tun sich Abgründe auf im „Ball Verkehrt“: Der devote Sexsklave des zwielichtigen Prinzen (oder ist er doch eine Frau?), die Ballettratten, bei denen die Frauen im Glitzeranzug und die Männer im Tutu tanzen. Im Separee vergnügt sich ein Herr mit Narrenkappe mit den Lustknaben. Schwoft hier noch der Karneval in der Fastenzeit? Und setzt sich hier die Choreografie der Ouvertüre fort, wo Genderregeln aufgehoben sind und das Oben und Unten ebenfalls?

Schließlich funktionieren im dritten Akt die Waben der Vorstadtvilla als Zellen im Gefängnis. Hier löst sich alles auf und die „fidelen Säue“ der fehlarrangierten Leuchtschrift aus dem Revue-Theater bilden abschließend wieder korrekt DIE FLEDERMAUS. THEATER BONN: DIE FLEDERMAUSVorher schlägt die Stunde des Frosch nun nach Drehbuch. Da darf er kalauern, Wörter verdrehen und das Publikum zu seinem Verbündeten machen. Zuvor natürlich sein legendärer Monolog, gespickt mit Anspielungen: vom Corona-Virus zum Karneval. Der Frosch hat die proletarisch-versoffene Distanz zur Haute Volée. „Verlogene Gelegenheitsalkoholiker“ nennt der philosophierende Slivovitz-Trinker im Hausmeisterkittel die ganze Bagage.

Damit formuliert er die erste von drei grundlegenden Wahrheiten der Fledermaus. Hier lügen alle, hier spielen alle ein doppeltes Spiel. Und Olga alias Adele spricht es aus: „Ich bin nicht das, was ich scheine.“ Als Kammerzoferl träumt sie vom Theater, arrangiert ihr eigenes Casting und zwingt Gefängnisdirektor Frank förmlich, sie als ihr Sugar Daddy zu sponsorn. Rosalinde spielt die schöne unbekannte ungarische Gräfin nur, um ihren Mann der Untreue zu überführen. Was beweist ihre Herkunft? Die exotische Maskerade und „derrrr Múuusiek!“, wie sie mit slawischem Akzent gurrt. Stimmt. Die Musik betrügt nicht.

Diese Operette fordert sehr charmant zum Mitmachen auf. Das Publikum erhebt sich folgsam von den Sitzen, als der Prinz auftritt. Es singt begeistert die quasi-Hymne „Do simmer dabei, dat is prima … mit, als Alfred sie post-karnevalistisch im Knast anstimmt. Schließlich spielt das Orchester auf Froschs Wunsch den Radetzkymarsch vom „anderen“ Strauss als Soundtrack für die Morgengymnastik der Knackis. Die büchsen dann prompt aus und klettern unter lautem Gejohle durch die Stuhlreihen im Parkett. Und das Publikum? Klatscht wie beim Neujahrskonzert im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins begeistert mit. Ein bisschen böse hier, der Aron Stiehl. Hält er uns doch den Spiegel vor: Möchten wir nicht alle da auch einmal dabei sein,  rubbing shoulders with the rich and the beautiful? Wie sagte der Frosch doch gleich? Der Schauplatz „Baden bei Wien“ spricht der Österreicher „Bon bei Wean“ aus. Und da simmer schon ganz nah dran, an Bonn, und auf jeden Fall dabei.

Wie der Champagner in die Gläser perlen die Evergreens nur so aus den Kehlen des Bonner Ensembles. Arien? Eher Lieder, denen die großen Gefühle der Oper fehlen, die aber dafür mit eingängigen Melodien zum Mitschwingen einladen. THEATER BONN: DIE FLEDERMAUSMarie Heeschen glänzt als das von allen begehrte Stubenmädchen Adele mit „Mein Herr Marquis“ und „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ als kecke und selbstbewusste Zofe mit einer leicht kapriziösen Interpretation. Giorgos Kanaris agiert als Strippenzieher Dr. Falke alias Fledermaus. Er arrangiert das Zusammentreffen der Figuren und beschwört mit seinem Trinklied „Brüderlein und Schwesterlein“ die Freundschaft für die Ewigkeit. Eine tolle Rolle für den griechischen Kavalierbariton.

Der Prinz eine klassische Hosenrolle für den Mezzo-Sopran. Susanne Blattert in sensationeller Maske und ausgetüfteltem Kostüm überlässt „chacun à son gout“  mit adlig-gelangweilter Libertinage. Johannes Mertes wächst als Gabriel von Eisenstein schier über sich hinaus. Er spielt, er singt („Dieser Anstand, so manierlich“), er tanzt (!), dass es eine wahre Freude ist. THEATER BONN: DIE FLEDERMAUSAnna Princeva glänzt ein weiteres Mal mit souveräner Stimmführung und leicht überzogenem Slapstick-Spiel. So will es die Rolle. Den übertölpelten Gefängnisdirektor Frank gibt Martin Tzonev und flicht einen „Ochs“ ein,  Kieran Carrell „stottert“ sich als Advokat durch die Rolle des Dr. Blind. Ein Glücksfall und die kluge Personalpolitik des Hauses, dass die Oper Bonn Die Fledermaus so passgenau aus den eigenen Reihen besetzen kann. Als Gast war Kai Kluge mit von der Partie, der sich als Christus im Beethoven-Oratorium erst vor wenigen Wochen mit seinem lyrischen Tenor in alle Herzen sang. Den Alfred gab er mit zahllosen Zitaten – von Tamino bis Florestan – und natürlich mit dem „Täubchen, das entflattert ist“ und „Trinke, Liebchen, trinke schnell“.

Aron Stiehl pflegt seinen eigenen Stil möchte man im Wortspiel der Operette formulieren. Besser natürlich: Seine Inszenierungen tragen seine individuelle Handschrift. Die treibt mitunter schrille Blüten und verzichtet nie auf Tanzeinlagen. Ob im Terzett, im großen Chor der Ballgesellschaft, im Ballett oder beim Workout der schweren Jungs – feinst choreografierte Bilder der Tänzerin Bärbel Stenzelberger, die selbst als besonders zierliche Ida mit auf der Bühne agierte, zeichnen diese Fledermaus aus.

Liebevolle Details, tolle Kostüme, witzige Requisiten, fulminante Musik der Solisten und des Chors machen diesen Operettenabend  zu einem Fest. Nur hat das Publikum wie die Akteure auch ein bisschen Katzenjammer. Der dritte Akt zieht sich, hat eindeutige Längen. Kein Wunder – nach dem musikalischen Feuerwerk der beiden ersten Teile überwiegen hier die Sprechanteile und der Boulevard. Die Spannung verflacht, es wird  a bissel banal. Aber wie tröstet Alfred? „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“

Bis zum 4. Juni 2020 steht Die Fledermaus noch siebenmal auf dem Programm. Informationen und Karten gibt es hier.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Oper Bonn © Thilo Beu

*Frei nach Lilian Harvey in Der Kongress tanzt.

 

2 comments

Add Yours

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s