#singenmachtschön – Dshamilja Kaiser

Da steht sie also an der Kuchentheke im Café Faßbender und ihr wundervolles Haar leuchtet in dunkelroten Locken. Umwerfend schön – also nicht nur das Haar, sondern die ganze Frau! Und wenn ihre tolle Sprechstimme zur Begrüßung erklingt, dann hört es sich an, als träfen sich alte Freundinnen: so warm und herzlich! Dshamilja Kaiser hat sich mit mir zu Tee & Torte verabredet.

Und das kam so. Bei der ersten Probe zu Penthesilea haben mich ihre Stimme, ihre Bühnenpräsenz, ihre Beauté und ihr schauspielerisches Talent in den Bann gezogen. Nach der Premiere feierte das Publikum sie als neue Mezzo-Königin der Oper Bonn. (Wen kümmerte es da, dass ihr Name „Kaiser“ lautet?) Kurzentschlossen schrieb ich ihr eine E-Mail und bat sie um ein Interview für meinen Blog. Und sie hat JA gesagt!

Zurück zum Namen. Der faszinierende Teil stammt aus der Erzählung „Dshamilja“ von Tschingis Aitmatow, die vor rund 35 Jahren Furore machte. Ein kleines literarisches Juwel mit einer Protagonistin, die singt. Und die dann einem Mann ihre ganze Liebe schenkt, der nichts hat – außer seinem betörenden Gesang. Er ist kriegsversehrt, arbeitet als Fuhrknecht, erträgt Hohn und Spott – sie verzichtet auf Ehemann, sichere Stellung im Familienclan und geht ihren Weg … fort mit ihm.  (Unbedingt lesen, verschenken, weiterempfehlen! Dshamilja und mich hat die Geschichte zu Tränen gerührt.)

Dshamilja

Eine Frau geht ihren Weg – war das wohl Programm, als ihre Eltern ihr diesen ungewöhnlichen Namen mit auf den Lebensweg gaben? „Dankbar sei sie ihren Eltern“ und „überglücklich, dass sie ihr so viele Freiheiten ließen und sie in grenzenloser Liebe großzogen“, erklärt Dshamilja. Ich nenne es immer das Seelenfett, mit dem liebevolle Eltern ihren Kindern die zarte Seele eincremen. Es fördert die Resilienz, wie die Ressource heute heißt, mit der sie die großen Lebensereignisse und den kleinen Alltagsstress bewältigen.

Zum doppelten Espresso ein Glas Wasser bitte und eine Rhabarber-Baiser-Torte für Dshamilja (ich darf sie so nennen, wir haben Schwesternschaft gequatscht statt Brüderschaft getrunken).  Für mich die Nuss-Spezial und grünen Tee. Und dann haben wir zwei Stunden, um so viele Gemeinsamkeiten festzustellen, dass uns fast schwindlig wird. Wir begegnen uns auf Augenhöhe (so zwischen 1,78 und 1,80), wir sind beide bergische Mädchen (sie vom Nordrand des Bergischen Landes, ich von mittendrin), ihr Vater war Lehrer, ich selbst habe das Lehramtsstudium samt Referendariat absolviert, wir beide lieben leckere Torten (Dafür gibt’s in Bonn City drei top-locations. Nummer eins war heute, die beiden anderen steuern wir demnächst an.), wir waren modisch bestens aufeinander abgestimmt und outeten uns beide mit einem Faible für Rot-, Rost- und Pflaume-Brombeertöne, wir lachen gern und laut (vielleicht nicht ganz ladylike, aber herrlich befreiend) und wir sind für jede Menge Blödsinn zu haben. Die kleinen Unterschiede (sie könnte meine Tochter sein), sie singt sich schön, manchmal auch wahnsinnig (wie sie in Bezug auf Penthesilea sagt) und ich bring’s im Kollegenkreis gerade mal auf ein laut geschmettertes Happy Birthday. Sie tourt kreuz und quer durch Europa (heutet Graz, morgen Wien, dann Bonn und anschließend Oslo, ich mach tapfer meinen Job in Siegburg und liebe die Oper Bonn).

Apropos Österreich. Nach acht Jahren im fernen Graz blüht sie in Bonn momentan auf: „Ich blicke in lauter freundliche, lächelnde Gesichter von gut gelaunten Menschen. Die Stadt hat viel Lebensqualität, die stark vom Naturell der Menschen abhängt. Ich fühle mich zu Hause – vor allem auch, weil zwei meiner Cousins hier leben. Den Familienanschluss genieße ich sehr.“

Ja, möchte man hinzufügen. Und hier passt du hin. So bodenständig, so ganz und gar nicht affektiert oder divenhaft. Obwohl sie bei unserem mini-Fotoshooting genau damit kokettiert. Wirft sich in Pose und posaunt in’s Café hinaus: Ich bin eine Diva! Und lacht laut. Vive la Selbstironie!

DSC_0616 (3)

Ihr Zeug hatte sie lässig auf den Nachbarsitz geworfen. Eine riesige schwarze Handtasche, Format kleiner Seesack. Den Schlüssel zur Sicherheit am Henkel festgebunden. Sie würde ihn in den Untiefen nie mehr wiederfinden. Was trägt denn eine Opernsängerin immer bei sich? Das rote Portemonnaie (willkomen im Club, meins ist auch rot), eine Flasche Wasser (ach vergiss die Mär vom Sprudelschaden für die Stimme, geht genauso gut), viele Bonbons, eine Geheimcreme für geschmeidige Lippen, einen Lippenstift … Nix Besonderes also.

Also trinken und Drops lutschen für die Stimme. Vor sechs Jahren hat sie begonnen, ihre Gesangstechnik umzustellen. Dabei interessiert sie weniger all‘ das Technische und Physische, das dazugehört. Da ist die Rede vom Ringknorpel und vom Schildknorpel am Kehlkopf innen und außen und vorne und hinten. Sie hat das in einem Maße internalisiert, dass sie die Gedanken daran ausschaltet, wenn sie singt. Eine viel größere Herausforderung sind die Tempi, während der sie ja auch die Takte zählt (bei Penthesilea muss man höllisch aufpassen). Multi-tasking beim Gesang. Ihr Tipp dazu: locker angehen, Nervosität einfach wegsingen, dann kommt der Erfolg von allein. Ihre professionelle Expertise lautet (neben einigen anderen Kniffen): durch viel Training Raum hinter den oberen Rippen schaffen und dem Zwerchfell maximale Entfaltung einräumen durch die bewusste Steuerung der Rippen.

Wer Dshamilja als Carmen auf der Bühne sieht (erstmalig am 17. November 2017, Tickets hier), bekommt eine Idee davon, was sie meint. Ihr Bühnenoutfit lässt einen Blick auf das trainierte midriff zu: Der Zuschauer erblickt, wie sie mit den Rippen arbeitet. Mir vis-à-vis im Café gibt sie eine beeindruckende Kostprobe, wie sie willentlich den Rippenbogen vorne und hinten öffnet. Das sieht man selten hautnah!

Wie schafft es nun eine Sängerin, bis auf den zweiten Rang gut gehört zu werden? Die menschliche Stimme erzeugt Schwingungen, die in Hertz gemessen werden.  Frappierend: Bei einer Hertz-Zahl zwischen 2.800 und 3.500 erzielen nur die Stimme und die Triangel (!!!) Obertöne, die das Orchester übertönen. Es gibt Sänger, die mit einem Hertz-Messgerät als Smartphone-App die 3.500 oder höher ansteuern und dann üben, genau auf der Frequenz zu singen, um sich Gehör zu verschaffen.

Oft überbewertet: das Einsingen vor der Aufführung. Und doch nicht ganz. Alle tun es; die einen mehr wegen des physiologischen Aspekts (sich wie ein Sportler warmmachen), für die anderen hat es eher psychologische Motive: das Nervenflattern nicht nach innen  führen, sondern in die Aktion gehen und sich mental freimachen für den Auftritt.

Ihr Einstieg in die Musik? Naja, der übliche für Mädchen: die Blockflöte. Und dann äußerte sie selbst den Wunsch, Geige zu lernen. Offensichtlich entwickelte sich ihr Vokaltalent schneller als die Griffsicherheit auf der Violine.  Ihr Gesangsstudium absolvierte sie an der Hochschule für Musik in Detmold, die als Talentschmiede für den Opernnachwuchs eine hohe Reputation genießt.

Hat diese tolle Frau eigentlich auch Macken? Hmmm, druckst sie ein bisschen. Und gesteht dann freimütig, dass sie in angespannten Situationen an ihren Daumen knibbelt. Wie ist der Zustand jetzt? Nach dem wahnsinnigen (!) Erfolg der Penthesilea fiel der Druck von ihr ab. Haut und Hände sind wieder heil.

Nach mehr Kaffee und einem kleinen Gegeninterview (Und was machst du so? Wie war dein Werdegang? Wie heißen deine Kinder? Seit wann engagierst du dich in der Oper?) werfen wir uns lagenweise in unsere Winterklamotten. Den kostbaren Hals mit den wertvollen Sprech- und Singwerkzeugen hüllt sie in einen voluminösen Schal, die nicht minder schützenswerten Ohren bedeckt sie mit ihren Ohrbeuteln – kleinen Kappen, die unter der glänzenden Mähne nicht zu erspähen sind.

Ich garniere zu Mantel und Schal auch eine Mütze. Sowas kommt Dshamilja nicht auf den Kopf. „Kann ich einfach nicht vertragen. Die dicken Haare und dann noch so’n Wollpuschel  …“

bearbeitet (1)

Eine schwesterliche Umarmung und schon radelt sie davon. Termin in Köln, liebe Freunde treffen, die gerade aus Berlin einen Zwischenstopp einlegen. Tja, das Künstlerleben!

Mit Dshamiljas herrlich tiefem Lachen im Ohr trötet und dschingderassabummt der Martinszug an mir vorbei. Wie wunderbar, dass manche Menschen wirklich schön singen,

nämlich live in der Oper.

Die Penthesilea von Othmar Schoeck – eine Bonner Operninszenierung der Extraklasse. Renommierter Regisseur, großartiger Dirigent, tolles Orchester und umwerfende Sängerinnen und Sänger. Unbedingt ansehen und anhören. Es lohnt sich sehr! Die nächsten – und letzten! – Termine sind 12. und 19. November sowie 2. und 14. Dezember.

Als Carmen ist Dshamilja Kaiser zu sehen und zu hören am  17. November (fast ausverkauft), am 24. November und dann erst wieder am 3. und 8. März sowie am 2., 13. und 20. April 2018.

Tickets für alle Aufführungen in der Oper Bonn hier.

 

 

 

 

 

 

 

4 comments

Add Yours
  1. Heinrichsmeier

    Liebe Matilda,
    leider wohne ich in München und kann nur beobachten, was du für schöne Opern o.a. siehst. Mir gefällt dein blogg, weil du so detailliert beschreibst und die Leidenschaft für die Oper zeigst. Es macht richtig Spaß die Beobachtungen der Inzenierung von Carmen zu lesen. Man bekommt Lust auf mehr. Klasse!
    Herzliche Grüße aus München!

    Like

  2. Don Carlo – Kirche, Ketzer, Königshaus – live in der oper

    […] Dsahmilja Kaiser paart ein weiteres Mal Spielfreude mit großem Mezzosopran. Mit dem Schleierlied stimmt sie auf die Freuden der Verführung und der Liebe ein. Das ist ihr Part – der allgemeinen Melancholie mit einem temperamentvollen Strophenlied einen Gegengewicht zu verleihen. Flexible, strahlende Höhen hier und im „O don fatale“ eine bitterer, düsterer Abgesang auf ihre Feinde, ihre Schönheit und die Verführung. König Philipp findet mit Tobias Schabel, dem schlanken Bass, den Sänger zwischen den Welten. Hier ganz Autokrat, dort Philosoph, dann wieder von Eifersucht gequält und immer im Dilemma. Jede seiner Entscheidungen birgt eine Katastrophe. Die Herzen des Publikums fliegen ihm zu am Ende einer langen Partie. […]

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s