Young Woo Kim – Die große Stimme aus Südkorea

Mit 18 Jahren begann sein musikalisches Leben. Spät zwar, aber ein Glück für alle, die sich heute an seiner herrlichen Stimme erfreuen. Das Publikum feiert Young Woo Kim, wenn der junge Koreaner seine große, auch in den hohen Lagen fein modulierte Stimme in den berühmten Tenorpartien erklingen lässt. Ein Glück aber auch für ihn, der seinen Sängerberuf und sein Leben in Deutschland über alles liebt.

Umleitungen auf dem Weg ins Leben bringen oft das Beste in einem Menschen hervor. So hätte es gut sein können, dass Young Woo heute als Bodyguard eines Wirtschaftsbosses oder Politikers im Einsatz wäre. Warum aus seinem einstigen Berufswunsch nichts wurde? Durchtrainiert war er, hielt in allen Disziplinen der fernöstlichen Kampfkunst den schwarzen Gürtel und räumte alle Preise bei Wettkämpfen ab. Bis auf den letzten, der ihm auch ein Stipendium für ein kostenloses Studium eingebracht hätte.

Das reguläre Abitur stellte ihn dann vor Probleme. „Mein Kopf war leer und gleichzeitig wie aus Stein“, erklärt Young Woo. „Ich hatte ja jahrelang nur trainiert und nichts Akademisches gelernt.“ In der Vorbereitung auf die Prüfung widmete er sich zwei Dingen: lernen, lernen, lernen und … singen. Sein Musiklehrer erfasste intuitiv das Potenzial seiner Stimme und bereitete ihn in zwei Wochen auf die Aufnahmeprüfung für Gesang vor. So studierte er von einer CD Luigi Luzzis „Ave Maria“ mit Luciano Pavarotti, den er bis heute glühend verehrt, und „Frühlingstraum“ aus Schuberts Winterreise mit Fritz Wunderlich. Er konnte keine Noten lesen, verfügte über keinerlei Bühnenerfahrung, stand einfach da und sang. Und siegte. Und ergatterte damit einen Platz für das Gesangsstudium.

Sein offizielles Debüt gab er als Flavio in Bellinis Norma und Turridu in Cavalleria Rusticana von Pietro Mascagni. Danach erfolgte eine Zwangspause: Er musste den in Südkorea obligatorischen Militärdienst absolvieren. Dort und in der Zeit danach verstummte Young Woo für vier Jahre. Die Stimme war weg. Als sehr gläubiger Mensch verbrachte er täglich mehrere Stunden im Gebet und in der Meditation. Er gehört wie rund 20% der Menschen in seinem Heimatland der evangelischen Kirche an, die sich dort für Bildung, Gesundheitsvorsorge und Frauenrechte einsetzt. „Gott hat mir meine Stimme wiedergegeben“, unterstreicht Young Woo, „Geduld, Üben und vorsichtige erste Engagements haben mich dann wieder auf die Bühne gebracht.“

Er schloss sein Musikstudium ab und hatte nun den Traum, in London weiter zu studieren. Ein schmales Budget von 600 Euro im Monat reichte allerdings nicht für ein Leben in der britischen Metropole. So wurde Dublin draus: englischsprachig, Musiktradition, gute Lebensbedingungen. Dort nahm ihn Veronica Dunne unter ihre Fittiche. Liebevoll schliff und polierte sie die zahlreichen Facetten an diesem Tenor-Rohdiamanten. Selbst blickte sie auf eine internationale Soprano-Karriere zurück, von der Queen zur Dame geadelt und von den Iren als „an Irish national treasure“ (als Nationalschatz) verehrt. Seiner Mentorin verdankt Young Woo eine große materielle, mentale und professionelle Förderung. Aus Irland führte ihn sein Weg dann nach Deutschland. 2016 wurde er im Internationalen Opernstudio an der Oper Köln aufgenommen. Von dort eroberte er sich zwei Jahre später einen festen Platz im Kölner Ensemble.

Ihre Sporen verdienen sich die Nachwuchssängerinnen und -sänger an der Oper Köln in den Adaptionen von Repertoire-Stücken für die Kinderoper. Young Woo Kim wirkte unter anderem in den Heinzelmännchen zu Köln sowie Hoffmanns Erzählungen für Kinder mit. Gleichzeitig bewies er sich bereits als Pong in Turandot, Crook in Candide, Erster Gefangener in Fidelio und als zweiter junger Offizier in Die Soldaten auf der großen Bühne. Im April 2018 haben mich der Zauber und die Kraft seiner Stimme in den Bann gezogen in der Opera buffa Gli Uccellatori. Spontan war klar: Von diesem Sänger mit der großen Stimme werden wir noch hören.

Alles in seinem Gesang fließt mit einer behänden Leichtigkeit, er singt vollkommen unangestrengt. Das erklärt er so: „Meine Technik, die Atemführung, den Raum für die Stütze, den Text, die Regieanweisungen – all das übe ich sehr, sehr intensiv. Da geht vieles über den Kopf. Aber auf der Bühne spricht nur mein Herz. In mir singt es so zärtlich und federleicht wie ein Vögelchen. Für die Ohren des Publikums soll mein Herz erklingen, auch wenn ich im Fortissimo mit großem Volumen singe.“ Dabei kommen ihm auch seine früheren sportlichen Ambitionen zugute. Ausnahmslos jeden Morgen trainiert er mit Push-ups und Squats (Liegestütze und breitbeinige Hocken). So baut er Kraft für die entspannte Körperhaltung auf und macht sich locker und frei für den Einsatz der Muskulatur, die er fürs Singen benötigt.

„The rest is history“, möchte man fast sagen. Er debütierte 2019 als Don José in Carmen an der Oper Köln. Zusammen mit seiner kongenialen Partnerin in der Titelrolle, Adriana Bastidas-Gamboa, überzeugte er als innerlich zerrissener lyrischer Tenor. Von der prä-veristischen französischen Oper dann ein Wechsel ins Repertoire-Jahr 1931, wo er in Kurt Weills amerikanischer Oper Street Scene sein Debütals Daniel Buchanan gab. In der Rolle des Sou-Chong in der Operette Land des Lächelns bewies er sich als Liebestenor, sang dann die Titelrolle des Faust in der gleichnamigen Oper von Charles Gounod und die Tenorpartie als Hoffegut in Walter Braunfels‘ Die Vögel. Nach dem Radamès in Verdis Prunkoper Aida in Bielefeld steht jetzt seine erste Wagner-Partie auf dem Programm: Ab April 2023 ist er an der Oper Köln als Erik in Der fliegende Holländer zu hören, im Laufe des Jahres dann in der Tenor-Paraderolle als Cavaradossi in Tosca und an der Garsington Opera als Bacchus in Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos.

Einmal im Jahr verbringt er vier Wochen in seiner Heimat Korea. Er selbst stammt aus der Hauptstadt Seoul, in der mehr als 20 Millionen Menschen leben. Ein Moloch, in dem Samsung, LG und Hyundai für den Ruf als globale Wirtschaftsmetropole verantwortlich zeichnen. Zieht es ihn irgendwann zurück nach Asien? Auf keinen Fall! Er gerät richtiggehend ins Schwärmen. Deutschland habe ihm nur Glück gebracht. Seine Frau, auch Koreanerin und Musikerin, und er haben tolle Berufe, führen ein angenehmes, erfüllendes Leben hier. Irgendwann einmal, so ist der gemeinsame Plan, wollen sie mit ihrem Ersparten nach Afrika gehen und dort eine Schule aufbauen: christlich orientiert und mit Schwerpunkt Musik. Vermisst er die koreanische Lebensart? Die ersetzt er durch sein Engagement in der Kirche. Allsonntäglich singt er dort im Gottesdienst in Köln-Bayenthal, seine Frau spielt Klavier und ein Chor mit 30 koreanischen Studentinnen und Studenten füllt die Kirche mit christlichen Liedern.

Eine Frage brennt mir auf den Nägeln, seit ich Young Woo Kim kenne. Was hat es mit dem Namen auf sich? Was ist Vor- und Nachname? Er schmunzelt: „Das ist tatsächlich ganz anders als in Deutschland. Bei euch ist der Nachname wichtig, bei uns trägt der Vorname die Bedeutung.“ Kim ist der häufigste unter den ohnehin nur 286 koreanischen Familiennamen. Deshalb wählen Eltern mit Bedacht die Vornamen aus. Young sieht nur durch die Transkription aus wie das englische Wort für „jung“. Es wird aber „strahlend, hell“ übersetzt. Woo spricht sich mit einem gehauchten H am Anfang und einem langen U (Huu), auf Deutsch „Haus“. Ein strahlendes Haus, in dem die Liebe wohnt: Woos Frau heißt Sarang und das bedeutet „Liebe.“

Am 4. April 2023 debütiert Young Woo Kim als Erik in Richard Wagners Der fliegende Holländer. Infos und Tickets hier.

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