Ein Gastbeitrag von Linda, Emilia und Hanna Tillmann
Wir wohnen in Berlin. Dort gibt es Winterferien. Also konnten wir zu meiner Oma nach Bonn fahren. Sie liebt die Oper und hat uns alle in Iwein Löwenritter eingeladen. Meine Schwester, meine Eltern und mich. In Berlin haben wir in der Komischen Oper schon mal die Instrumente kennengelernt, aber noch nie eine ganze Oper gesehen.
Also es war für uns das erste Mal in einer echten Oper. Oma hat uns erklärt, dass Iwein Löwenritter an diesem Tag zum ersten Mal aufgeführt wird. Das nennt man Premiere, sagt Oma. Aber wirklich zum allerersten Mal überhaupt. Auf der ganzen Welt wurde diese Oper noch nie so vor Zuschauern gespielt, auch nicht in Berlin. Deshalb heißt es Welturaufführung.
Wir haben unsere Plätze gesucht. Sie waren in der 7. Reihe, wo wir alles auf der Bühne genau sehen konnten. Bevor es losging, haben wir in den Graben geschaut. Dort sitzt das Orchester und spielt die Musik. Die meisten Musiker haben vor dem Anfang noch ein bisschen geübt. „Aber einige haben auch am Handy gedaddelt,“ sagte meine Schwester. Stimmt. Papa hat mir dann gezeigt, wie viele Trommeln hinten im Graben aufgebaut waren. Das nennt man Schlagwerk. Da wusste ich schon, dass es laut scheppern wird.
Endlich ging es los! Die tausend Lichter am Himmel gingen aus und der rote Vorhang hob sich. Da saßen zwei coole Typen, die mit ihrer Familie einen Ausflug in den Zoo machten. Langweilig! Dann öffnete sich das Gitter am Löwenkäfig und Leon und Gereon trauten sich rein. Ein Abenteuer begann.
Hä? Jetzt kommen die beiden Jungs als die Ritter Iwein und Gawein auf die Bühne zurück. Sie sind eigentlich Zwillinge, aber ganz unterschiedlich. Iwein ist der Mutige, Gawein eher ein bisschen dumm. Das wussten wir schon aus dem Buch von Felicitas Hoppe, das Mama und Oma uns vorgelesen haben.
Jetzt ging die Geschichte richtig los. In einem Urwald erschienen lauter Paviane und Iwein trank aus dem Gewitterbrunnen. Magischer Glitzerstaub fiel herab und Iwein wurde dadurch so stark, dass er den Burgherrn, dem der Brunnen gehörte, im Kampf erschlug. Puh … da wurde es zum ersten Mal richtig krass laut. Es knallte und krachte. Meine Schwester musste sich die Ohren zuhalten. Ihr war es einfach zu laut.

Man konnte es nicht sehen, aber wir wussten, dass Lunete Iwein dann rettete. Und danach verliebte er sich sofort in Laudine, die Ehefrau vom Burgherrn. Jetzt kam Liebe und das haben wir an der Musik erkannt und auf der Bühne gesehen. Da traten nämlich jetzt die Herzen von Laudine und Iwein persönlich auf. Die haben auch gesungen, aber vor allem mit coolen moves getanzt. Das haben wir mit Mama zu Hause gleich ausprobiert. Gar nicht so einfach, bis wir die richtigen Schritte raushatten.
Der Chor war super. Alle Männer und Frauen trugen schwarze Ski-Unterwäsche. Das war praktisch. Denn sie mussten ganz oft die Kostüme wechseln. Die haben sie als Vögel und als Paviane, als wilde Tiere, Bauern und Gefangene einfach umgehängt. Sie waren wie in einem Ausschneidebuch bemalte Pappteile.
Meine Schwester war beruhigt, dass sie hinter der Maske des Drachens mit den zwei beweglichen Füßen das Gesicht des Schauspielers erkennen konnte. Es war doch wirklich nur gespielt, keine echten Ungeheuer. Den Mann mit der Peitsche fanden wir besonders gruselig. Da hatten wir beide Angst, ganz doll. Und die Musik war mega schrill. Mama sagte: „Das verlangt den jungen Zuschauern ganz schön was ab.“
Manchmal mussten wir auch lachen. Besonders witzig war, dass der Riese Harpin zweimal an seinem Säckchen auf der Brust ziehen musste und „geblutet hat“. Dabei fielen nämlich nur rote Bänder runter. Alles, was auf der Bühne passierte, hat sich Aron Stiehl ausgedacht. Er ist der Regisseur der Oper. Bei der Premiere saß er auf dem Balkon oberhalb vom Parkett. So nennt man den großen Raum vor der Bühne, wo die meisten Menschen sitzen. Arons Hund war auch mit dabei. Er heißt Moses. Woher ich das weiß? Meine Oma ist mit Aron Stiehl befreundet und hat auch schon den Cockerspaniel Moses gestreichelt.

Im zweiten Teil nach der Pause trat endlich Lunete auf. In einem superschönen schwarz-weiß gemusterten Kostüm. Das sollte ein Schachbrett darstellen. Im Buch von Felicitas Hoppe ist Lunete die Superschlaue, die Gawein immer im Schachspiel schlägt. Sie kann kaum so schlecht spielen, dass Gawein auch mal gewinnt. Der kann halt besser mit dem Schwert umgehen als mit den Schachfiguren. Das kam aber in der Oper nicht vor.
Aber Lunete hatte eine ganz klare Stimme und hat auch viel erzählt und nicht so viel gesungen. Durch sie wurde die ganze Geschichte viel besser verständlich. In den anderen Teilen hat mir das Lesen geholfen. Da musste ich echt schnell mitlesen in den Übertiteln. Meine Schwester ist gerade im ersten Schuljahr, da kam sie bei dem Lesetempo einfach nicht mit. Stimmt also, am besten geht man erst ab 8 Jahren in diese Oper.

© Thilo Beu
Was mir am besten gefallen hat: Lunete hat mit ihren Armen und Händen das Stück erzählt. Das Licht und die Hintergründe waren sehr schön. Es kam Wärme in den Saal. Und Iwein war eigentlich ein guter Ritter. Alle Ungeheuer hat er von einem Fluch erlöst. Der Riese hatte keinen Hunger mehr, der Wächter musste nicht mehr grausam sein, der Löwe wurde nach dem Kampf mit dem Drachen sein Beschützer.
Meine Mama Linda hat auch noch ein paar Eindrücke aufgeschrieben.
Mir haben die Kostüme sehr gut gefallen. Scharfkantig wie Scherenschnitte und trotzdem verspielt. Lustig auch zu sehen, wie sich einzelne Akteure über die Bühne bewegten. Wie Schachfiguren, die Züge nur in der Diagonalen oder Horizontalen durchführen konnten. Das Bühnenbild in seiner floralen Opulenz, das sich – als Iwein wie von Sinnen war – zu einem Fiebertraum ausdehnt und dem Zuschauer immer näherkommt.
Lunete überstrahlt alle(s). Sie ist weise, sie ist klug. Sie nennt den Löwen ihren Freund. Sie ist die Strippenzieherin im Hintergrund. Leider tritt sie erst im zweiten Akt auf, nachdem der erzählende Löwe (auch toll mit kleinen Rap-Einlagen und wunderschöner Stimme) selbst zur aktiven Figur wird.
Die Liebesgeschichte habe ich Iwein und Laudine nicht abgekauft. Vielleicht lag es daran, dass ihre Herzen außerhalb ihrer Körper schlugen. Die Herzen haben mir jedenfalls sehr gut gefallen. Schüchtern, gleichzeitig frohlockend. Ausgeliefert und abhängig, trotzdem stark. Schön zu sehen und zu hören, dass sie endlich im Einklang schlugen, als Iwein und Laudine sich in den Armen lagen.
Der Kampf zwischen Drachen und Löwen war in meinen Augen etwas blass. Überhaupt fand ich, gab es ein paar zu viele, zu schnell aufeinanderfolgende Kontrahenten. Da kam ich kaum mit.
Und: wie genau kam es dazu, dass Iwein und der Löwe eins wurden? Ist der Löwe nur ein Sinnbild für Stärke? Hat er Iwein die ganze Zeit über begleitet (ja!) und erst nach seinem Zusammenbruch und Rückzug in den Wald Nebenan (die Lichtung mit dem Mann in Gestalt eines Ungeheuers) ist Iwein zu voller (Löwen-)Stärke erwacht? Das hab ich nicht verstanden.
Spannend finde ich, dass Iwein zweimal von der Quelle trinkt/den Stein benetzt. Das ist mutig. Als würde er zweimal in den verbotenen Apfel beißen. Wer hat das jemals gewagt? Ist er größenwahnsinnig? Weiß er doch um das ohrenbetäubende Gewitter, das sich danach über ihn und seine Gefährten ergießt und die Vögel verstummen lässt.
Ich vermute, die Sehnsucht nach dem Paradies lässt ihn alle Gefahren vergessen. Er weiß, dass es sich lohnt, mutig zu sein. Er will zu seiner geliebten Laudine. Und um zu ihr zu gelangen, ist ihm kein Riese zu groß, kein Drache zu angsteinflößend, kein Wächter zu brutal. Nein, nicht einmal die Reise zu sich selbst scheut er. Wir sollten uns ein Beispiel an Iwein nehmen und mehr (Abenteuer) wagen.
Das Theater Bonn spielt die Oper Iwein Löwenritter noch sechsmal bis zum 20. April 2022. Informationen, Termine und Karten finden Sie hier.
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