ARABELLA – Der, die, das Richtige

Das war sehr gut, wie Arabella sagen würde. Mit herzlichem Beifall und standing ovation würdigte das Publikum die erste Opernpremiere des Theater Bonn nach der langen Durststrecke. Als Glücksgriff entpuppte sich, dass die Wahl für die Wiedereröffnung auf Arabella, die letzte Oper des Erfolgsduos Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, fiel. Der ganze Zauber, die Poesie dieses Stücks, der Wunsch nach Glück, Vertrauen und dem eigenen richtigen Platz im Leben, ausgedrückt in der Kongruenz von Sprache, Schauspiel und Musik, fasziniert auch heute, 88 Jahre nach der Uraufführung in Dresden. Diese erfolgte unter höchst umstrittenen Umständen. Am 1. Juli 1933 erteilten Nazi-Offiziere wenige Minuten vor Beginn der Vorstellung dem politisch unliebsamen Dirigenten Fritz Busch Berufsverbot mit sofortiger Wirkung. Strauss schritt nicht ein und die Vorführung fand vor einem vollen Haus mit lauter Parteifunktionären statt. Seine Familie (mit ihren jüdischen Mitgliedern) und die Musik haben in seinem Leben stets Priorität gehabt, Politik sei ihm immer fern und fremd gewesen, so Strauss retrospektiv.

Vielleicht auch deshalb Schauplatz und Zeit: Wien 1860. Die Handlung? Vorweggenommen in der ersten Szene, wo die abergläubische Adelaide, Gräfin Waldner, Arabellas und Zdenkas Mutter, sich die Karten legen lässt. Die Familie befindet sich in eklatanter Geldnot, weil der Vater Theodor das ganze Vermögen der Familie am Spieltisch verzockt. Was liest die Kartenaufschlägerin aus den Karten? Eine Erbschaft rückt langsam näher und während der Vater beim Kartenspiel weiter verliert, kommt ein Offizier ins Spiel, der aber nicht der Eigentliche ist. Stattdessen reist von weither der Bräutigam aus einem Wald an, herbeigerufen durch einen Brief. Aber in das junge Glück drängt sich jemand hinein – die zweite Tochter.

Damit steht die Personenkonstellation. Arabella muss sich noch an diesem Abend verloben, um Geld in die Familie zu bringen, ihr Verehrer Leutnant Matteo droht mit Selbstmord, wenn sie ihn nicht erhört. Zdenka, die in Jungenkleidern den zunächst burschikosen Gegenpart zur schönen Schwester gibt, torpediert um ein Haar die Verlobung. Und aus den slowenischen Wäldern erscheint wie aus dem Nichts der schwerreiche Mandryka, der sich nach Tamino-Art beim Anblick ihres Fotos (hübscher Anachronismus) bereits aus Liebe zu der Schönen verzehrt.

Für die Brautfahrt hat Mandryka seinen schönsten Wald mit Köhlerminen und reichstem Wildbestand verkauft. Mit den Taschen voller Papierfetzen – als zeitgenössische Anspielung auf die Hyperinflation nach dem Börsencrash – erkauft er sich die Zustimmung des Grafen Waldner. Der sabbert schon angesichts seiner neuen Kreditwürdigkeit am Spieltisch und nimmt die herabwürdigende Aufforderung „Teschek, bedien‘ dich!“ gern dafür in Kauf. Im Vorraum des Ballsaals für den legendären Fiakerball lernen sich Arabella und Mandryka als der oder die jeweils „Richtige“ kennen. In einem betörend schönen, himmlischen Duett beschwören sie – wie vor einem Altar knieend, ihre Liebe.

Nun heißt es für Zdenka, aktiv für ihre Liebe zu kämpfen, die schon lange Matteo gehört. Sie verheißt ihm, Arabella werde ihn in dieser Nacht in ihrem Zimmer erhören, um dann selbst eine Liebesnacht mit ihm zu verbringen. Großartig, wie Strauss hier als Vorspiel zum dritten Akt das erotische Geschehen als sinnliche Ekstase – nach sanften Annäherungen – komponiert! Schließlich kommt die Wahrheit ans Licht und statt Duellen, Morden und Selbstmorden gibt es ein dreifaches Happy End. Matteo und Zdenka sowie Arabella und Mandryka werden ein Paar, die Familie Waldner ist finanziell saniert. Diese Leichtigkeit irritiert – denn der Stoff für diese lyrische Komödie und die Anlage des plot bieten hinreichend Elemente für eine große Tragödie.

Marco Arturo Marelli inszeniert mit erfahrener Hand diese Arabella. Bereits als 16-Jähriger wirkte er als Statist in seiner Heimatstadt Zürich in dieser Oper mit. In Wien gab der dem Drängen eines befreundeten Paares nach, Arabella auf die Bühne zu bringen, obwohl er es wegen der dramaturgischen Ungereimtheiten im zweiten und dritten Akt für fast nicht spielbar hielt. 2008 führte er bei Arabella in Graz Regie, 2012 in Paris. In Bonn war die Strauss-Oper 1973 das letzte Mal zu erleben.

Marelli erzählt ein Märchen. Das Wunderbare und Zauberhafte erhalten in seiner Inszenierung viel Raum. Die „Prophetin“ oder gute Fee sagt die Ereignisse treffend voraus und dann erscheint tatsächlich der Retter, als die Not am größten ist, der Ritter in glänzender Rüstung. Mandrykas Kampf mit der Bärin gehört ebenso ins Reich des Fantastischen wie der Aschenputtel Moment, als er Arabella den zierlichen blauen Schuh reicht. Diese unrealistischen Elemente machen die Poesie der Oper aus.

Barbara Senator und Giorgos Kanaris in Arabella, © Thilo Beu

Und so platziert Marelli den Schauplatz in einen zeitlosen Salon mit Gründerzeitelementen und zahlreichen Türen. Dieses Konversationsstück bietet mit den unentwegten Auf- und Abgängen ein respektables Tempo – bis auf die Szenen der beiden großen Duette und der Soloauftritte von Arabella und Mandryka. Da gibt es Raum und Zeit für Selbstreflektion, Zweifel und große Gefühle. Die Dynamik des Stücks befördert eine Ringscheibe, auf der vereinzelte Möbel – gepfändet oder zurückerlangt – ihre Runden ebenso drehen wie Gepäckstücke. Das Leben hier ist ständigem Wechsel unterworfen; niemand kann sich des Glücks, des Wohlstands oder auch des Bleibens sicher sein.

Daher rühren auch die wankelmütigen, flatterhaften Charaktere. Wie seltsam, diese Titelfigur. Am Nachmittag macht sie eine Schlittenfahrt mit Graf Elemer, um sich am Abend mit dem Fremden zu verloben. Eben noch verliert sie sich in der quasi Titelmelodie „Aber der Richtige, wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt …“ und kniet mit Mandryka zum Schwur nieder, als sie ihn kühl abserviert, um ihren Abschied von der Mädchenzeit zu feiern. Dort walzern sie die drei Verehrer zum letzten Mal durch den Ballsaal. Oder waren es ihre Liebhaber? Ist sie schon so abgeklärt und enttäuscht von der mangelnden Passgenauigkeit der Bewerber, inklusive dem nun wirklich – für sie – nicht standesgemäßen Matteo?

Ähnlich erleben wir Mandryka, der anders als sein handfester Schwerenöter-Onkel die Brautwerbung und die Ehe als etwas Heiliges betrachtet. Er kommt als Bauer, etwas langsam, aber stark. Solche erotischen Implikationen finden sich in der Musik wieder, nicht im Handeln. Auch wenn die Rösser aufstampfen, liegt Testosteron in der Luft. Diese Kraft muss Mandryka bändigen, will er die zarte Arabella für sich gewinnen. So kann er die Aufregung bei der ersten Begegnung mit seinem Schwiegervater in spe kaum kontrolliern; seine Beine zittern sichtbar. Und er vollzieht eine Kehrtwendung um 180 Grad, wenn er sich vom Duellanten mit Matteo zu dessen Brautwerber wandelt, vom mutmaßlich betrogenen Bräutigam zum bußfertigen Bitter.

Am augenfälligsten wird die Ambivalenz der Figuren in Zdenko/Zdenka. Was tun diese schrecklichen Eltern dem Mädchen an? So wie sie die Schöne ausstaffieren, so verstecken sie die Bodenständige in Jungenanzügen. Aber diese unkonventionelle kleine Schwester bringt Schwung in den Laden. Sie kämpft für ihre Liebe – wenn auch mit unlauteren Mitteln. Aber im Krieg und in der Liebe … Sie übernimmt Verantwortung für ihr Handeln und will sich schon in der Donau ertränken, um der Familie diese ultimative Schande zu ersparen. Aber – alles wird gut. Sie hat mit ihrem Tun Fakten geschaffen und sich als Mädchen, nein als Frau etabliert, die weiß, was sie will.

Richard Strauss habe wohl kokettiert, als er meinte, ihm fielen keine schönen Melodien mehr ein. So verwendete er die beiden großen Arien slowenische Volkslieder, aber die Gesamtkomposition? Berauschend! Eine solche Lautmalerei, wenn die Münzen kullern, die Pferde mit den Hufen scharren, die Bärin grunzt, die Liebenden sich umarmen. So viel musikalischer Wirbel, wenn Zdenka ihr intrigantes Spiel auf die Spitze treibt. Die zweieinhalb Stunden dieser Oper bescheren dem Publikum ein sinnliches musikalisches Fest, aufs Feinste serviert vom Beethoven Orchester Bonn unter dem GMD Dirk Kaftan. Ein brausender Applaus drückte die Begeisterung des Publikums aus.

Vor allem war es auch ein Fest der Stimmen. Gleichermaßen lyrisch wie kraftvoll die beiden Soprane von Nikola Hillebrand und Barbara Senator (beide Gastsängerinnen) als Zdenka und Arabella. Ein Strauss Orchester in voller Besetzung verlangt von den Interpreten einen langen Atem und ein großes Volumen, um dem Ausdruck und der Textverständlichkeit gerecht zu werden. Einzigartig schön das Duett der Schwestern im 1. Akt. „Da capo“, möchte man rufen, ein Traum!

Susanne Blattert gab eine gesanglich und schauspielerisch beeindruckende Adelaide, die ihren Theodor nur schwer im Griff hatte. Übrigens eine autobiografische Anspielung auf Strauss‘ Leidenschaft fürs Kartenspiel, das seine Frau Pauline verabscheute. Julia Bauer als Fiakermilli zelebrierte höchst kunstvolle Koloraturen, um dann ins Kieksen und Jodeln überzugehen. Auf die Rolle ist die Sopranistin nahezu abonniert und auch in Bonn gab sie die halbseidene Domina souverän. Als Kartenaufschlägerin gehörte Yannick Muriel Noah zwar die allererste Szene im farbenprächtigen Kostüm, dann gab es aber – leider – für sie und ihren schönen Sopran nichts mehr zu singen.

Gekonnt lassen Strauss und Hofmannsthal die Vielfalt der bereits verfallenen K.u.K. Monarchie in den Figuren der Freier aufleben. Den italienisch angehauchten Matteo sang und spielte der Tenor Martin Koch mit stimmlichem Aplomb; da war das Militärische greifbar. Graf Elemer verkörperte Santiago Sanchez, der dem temperamentvollen Ungarn noch mehr Power in seinen Tenor hätte legen können. Mark Morouse, Bariton, in der eher kleinen, aber hintergründigen Rolle des Graf Dominik gefiel. Die Runde komplettierte Pavel Kudinov als Graf Lamoral mit seiner Bassstimme. Und dann war da noch … Martin Tzonev, der als Theodor von Waldner ursprünglich seine Tochter an seinen alten Regimentskameraden Mandryka hatte verschachern wollen. Sein Bass tatsächlich in den Tiefen der Moral, wo sich Skrupellosigkeit mit subaltern Devotem sowie Spiel- und Trinksucht paart.

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist arabella-0281.jpg__670x2000_q85_subsampling-2.jpg.
Giorgos Kanaris und Martin Tzonev, © Thilos Beu

In seiner Glanzrolle Giorgos Kanaris als Mandryka. In der langen Pause seit der Fledermaus im März 2020 hat sein Kavalierbariton an Eleganz und Glanz gewonnen, die Tiefen lotet er rund aus und die Höhen meistert er mit federnder Leichtigkeit. Seine schöne Stimme entwickelt eine warme Reife, wie geschaffen für diese Rolle. Auch schauspielerisch gestaltet er den Mandryka beweglich und zugewandt, seine verklärte Verzückung im Liebesschwur und die Erotik des zaghaften Händchenhaltens so berührend!

Die Anmutung dieser zauberhaften Inszenierung mit den ausdrucksstarken, ästhetisch schönen Kostümen, dem klaren, in Blau- und Rosatönen getauchten Bühnenbild macht diese Arabella zusätzlich zum Ohren- auch zum Augenschmaus.

Die Oper Bonn führt Arabella an fünf weiteren Terminen auf. Infos und Karten hier. Wer außerdem in den Genuss des Librettos von Hugo von Hofmannsthal kommen möchte, fährt eine Stunde vor Beginn der Vorstellung ins Opernhaus und kauft das Programmheft. Es enthält den kompletten Text und aufschlussreiche Beiträge zur Interpretation der Oper.

Meine Textwerkstatt, mein Service: Ich schreibe auch für Sie. Sie finden mein Angebot hier unter Mechthild Tillmann

Hinterlasse einen Kommentar