Eine Zeitreise in eine musikalisch prägende und produktive Zeit – dazu lädt Bruno Preisendörfer ein mit seinem Sachbuch Als die Musik in Deutschland spielte. Reise in die Bachzeit. Ein üppiges Panorama von Gesellschaft und Geschichte im 18. Jahrhundert und reichlich Lektüre für all‘ diejenigen, die ihre langen Abende jetzt mit Lesen verbringen.

Schlagen Sie mal – wie ich meistens – das Buch von hinten auf und Sie entdecken, dass der Autor auf ganzen 65 Seiten Quellen, Nachweise und Personenregister verzeichnet. Hier handelt es sich zweifellos um ein sehr gründlich recherchiertes Buch. Bruno Preisendörfer genießt einen im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichneten Ruf als Sachbuchautor, der sich en detail mit Epochen der deutschen Geschichte beschäftigt. Was die Stärke seiner Bücher ausmacht, kann man ihm – je nach eigener Interessenlage – auch als Schwäche auslegen. Er breitet ein Gesellschaftsbild des 18. Jahrhunderts aus, das alle Lebensbereiche beleuchtet, eben nicht nur die Musik, wie Titel und Untertitel suggerieren.
Telemann, Bach und Händel sind die Protagonisten ihrer Zeit, ihre Lebensumstände hängen stark von den jeweiligen Herrschaften ab: von Fürsten, die ihre Protegés großzügig alimentierten, Königen, die sich Hofmusiker leisten und Herzögen, die Musik als Teil ihres Prunks instrumentalisieren. Akribisch trägt der Autor zusammen, was die Musikszene der Zeit ausmacht. Wie kommen nämlich die Noten aufs Papier? Seit wann gehen Menschen ins Konzert, nur um der Musik zu lauschen? Wie entwickeln sich die Blüte der Kastraten und deren Engelsgesänge?
400 Seiten faszinierende geschichtliche Einblicke in eine Zeit, deren Musik bis heute die Menschen verzückt. Aber wie gesagt, Preisendörfer nimmt genau diese Z e i t in den Blick: mit all‘ ihren Facetten bis hin zu Samt und Seide der Kleidung, Keller und Küche der Haushalte, Krankheiten und Kriege der Potentaten. Ein Leseschmaus also für Menschen, die sich für Geschichte mindestens ebenso interessieren wie für Musik.
Meine beiden take-home-messages? Erstens, Pachelbel stammt aus Nürnberg. Und damit ist klar, wie man seinen Namen ausspricht. Zweitens, das Justaucorps als barockes Prachtstück. Es handelt sich dabei um einen eng anliegenden Rock für Herren mit einem eingenähten Degenschlitz an der linken Seite. Die rechte Hand musste ja quer über den Körper ziehen. „Aber das war Theorie oder Symbolik, denn im Justaucorps schlug man sich nicht, man demonstrierte nur, dass man satisfaktionsfähig war.“ (S. 276) Ach, wie flammen die schönsten Szenen aus dem Bonner Rosenkavalier mit Emma Sventelius in der Titelrolle auf. Und wie heiß meldet sich die Sehnsucht nach sinnträchtigen Inszenierungen auf der großen Bühne!
Preisendörfer führt dem Leser in seinem Panorama eine überwältigende Fülle soziohistorischer Details plastisch vor Augen. Das Umfeld bilden die erste Frau, die an einer deutschen Universität promovierte, die Anfänge der modernen Geburtshilfe, der exklusive Genuss von Kakao, die Monstrositäten der Jahrmärkte, Tanzen als Körperkunst und die Galanterien des höfischen Lebens. Im wortgetreuen und übertragenen Sinn: Da spielte die Musik in Deutschland.