David Parry – ein Dirigent von Weltruf für Marx in London

Zum dritten Mal hat ein Dirigent für ein Interview zugesagt. Im Spätsommer durfte ich eine wunderbare tea time mit dem up and coming ersten Kapellmeister Hermes Helfricht verbringen. Vor fast genau einem Jahr hatte der virtuose Dirk Kaftan ein Mittagsstünden Zeit für mich. Also „ganz jung“ war genauso vertreten wie der erfahrene Generalmusikdirektor.  Und jetzt warte ich gespannt auf David Parry, eine „old hand“, wie man auf Englisch sagt, einen Dirigenten von Weltrang, der sich besonders mit Belcanto-Interpretationen einen Namen gemacht hat. „Old hand“ nennt man eine Person, die sich durch herausragende Expertise auszeichnet, die Reife und Besonnenheit in ihrem Tun zum Ausdruck bringt. Könnte der Ausdruck für eine Profession besser geeignet sein als für das Dirigieren? In der rechten Hand den Taktstock, den Baton, für die Einsätze, die Tempi, die Takte und die linke Hand frei für den Ausdruck, das Schwingen, den Bogen. 

DSC_0085Der Weg zu diesem lunch date war genauso ungewöhnlich wie kurz. Am Sonntagvormittag hatte der Dirigent David Parry bei der Matinee auf die wunderschöne Musik hingewiesen, die wir am 9. Dezember in Bonn in der Premiere von Marx in London hören werden. Abends kam ich in den seltenen Genuss, Xerxes aus der Intendantenloge mitzuerleben. Wer fand sich dort noch ein? Richtig – David Parry! Schnell kamen wir ins (Pausen-)Gespräch und verabredeten uns zum Plauschen. 

Die Haare ein bisschen wie Nigel Kennedy in den 1990er Jahren gestylt, alles very British, von der Steppjacke bis zur Sprache des Cambridge-Absolventen, und eine Stimme, die so voll klingt, als sei er selber Opernsänger. Nein, winkt er ab, kein Sänger, aber er habe gelernt, seine Stimme zu projizieren wie ein Profi. Schon erzählt er eine Anekdote aus der Royal Festival Hall in London, wo der Conferencier ausfiel. Also bat man ihn, das nächste Stück anzukündigen, und positionierte ein Mikro vor dem Pult.  Das schob er lässig beiseite und bewies Minuten später, dass seine Stimme bis in den letzten Winkel trug: dreitausend Mann zu erreichen kein Problem! 

Zur Stimmbildung kam er wie zum Dirigieren durch die Mentorenschaft begabter und berühmter Frauen. Eigentlich hatte er Musik studiert, um Komponist zu werden. Musik zu schreiben hatte ihn von früher Jugend an gereizt, schöne Melodien sollten es werden. Ein Stück schrieb er für seine Schwester Elisabeth und die Flöte, die er am Klavier begleitete. „That sounds awful“ – “ klingt grässlich“  waren sie sich einig. Und das war in der Tat das letzte Stück, das er je komponierte. Ja und dann? Übernahm David das Dirigat eines ambitionierten Amateurchores und arbeitete als Korrepetitor. Für ihn das Schlüsselerlebnis! 

„All music starts with singing and the human voice.“ So lautet sein unumstößliches Credo. Und die besten Dirigenten der Welt einschließlich seinem großen Vorbild Carlos Kleiber haben den Weg über die Oper, die meisten als Korrepititoren, wie er selbst auch als Solorepetitor, genommen. Warum das so wichtig ist? Zuerst müssen die Dirigenten den Gesang und die Möglichkeiten der menschlichen Stimme erfassen, dann das Orchester zur vollen Entfaltung des Klangbildes bringen. Er schwärmt von Händelpartien, die den Sängern nicht eine rasche Folge des hohen B abverlangen, sondern dass sie die ganze tonale Bandbreite einer Arie souverän meistern. 

„The man at the helm“ – der Mann am Pult – hält die Fäden in der Hand und verfügt über eine große Machtfülle. „Power“ – mit diesem Wort geraten wir jetzt erst mal auf Nebengleise der Konversation. „I am almost ashamed to be British at the moment“, sagt dieser Mann als Personifizierung des englischen Gentleman. Wir ereifern uns über den politischen Wahnsinn des Brexit und den Kampf um die Macht anstelle des Ringens um das Beste (the welfare) für die Menschen. Ein Verlust an Moral und Anstand der politischen Kaste sei ja auch in vielen anderen Staaten zu beobachten, die Machthaber intellektuell nicht in der Lage, Handlungsoptionen auszuloten. Und in Großbritannien sei es auch nicht sicher, ob ein Zusammenbruch der Regierung und Neuwahlen eine substanzielle Verbesserung herbeiführen. 

David Parrys Cottage in Norfolk_resized.jpg„At home“ sagen die Briten, wenn sie „bei uns in England“ meinen. Andererseits: Home is where the heart is. Da wischt David ein paar Mal über seine Favoriten auf dem Handy und zeigt mir das Foto eines zauberhaften Landhauses in Norfolk, a cottage with a lot of land. Zusammen mit Tim Reed, seinem „partner of forty-one years“, betätigt er sich als begeisterter Hobbygärtner, nur die schweren Erdarbeiten lassen sie machen. Den Gartenweg zum Haus säumen Birnbaumspaliere in voller weißer Blüte. Früchte und Gemüse aus dem eigenen Garten bilden die Grundlage für die cuisine des chefs. Französisch, mediterran und ein bisschen orientalisch steht auf dem Programm. Gutes Essen, viel Musik, ausreichend Schlaf und täglich ein Glas Rotwein halten ihn gesund. 

Mitte der 1970er Jahre begann er seine musikalische Berufslaufbahn. Ganz jung  ist er also nicht mehr (außer young at heart natürlich); umso mehr verwundert, dass er jetzt seit Ende August nicht mehr zu Hause war. Ein Leben aus dem Koffer – der lifestyle der Künstler! Hier in Bonn lebt er im Uni-Club, fußläufig zur Oper. 

Im Moment laufen die Hauptproben für Marx in London. Sein langjähriger Freund und Weggefährte Jonathan Dove hat die Musik komponiert. Auch er zu Beginn als Sängerbegleiter an der Oper. „Deswegen kann Jonathan so wunderschöne Arien schreiben. Er weiß um die Atemtechnik, die Phrasierung, die Höhen.“ David zeigt sich ganz begeistert von diesem Werk, das er in 10 Tagen hier in Bonn zur Welturaufführung bringt. Doves große Werke erarbeitete er alle mit ihm zusammen: The Adventures of Pinocchio für die Opera North und Flight in Glyndebourne. 

DSC_0100.JPGSein Repertoire und seine Erfolge – sowohl in der Aufführung als auch in Aufnahmen – weisen ihn als Meister des Belcanto genauso aus wie als Experten für zeitgenössische Musik. Er muss selber über seine unbefangene Naivität lachen, mit der er vor über 40 Jahren keck mit La traviata debütierte. Das muss man sich erst mal trauen!

Zu einem echten Anliegen hat David Parry es sich gemacht, Gioachino Rossinis Werke zu (neuem) Leben zu erwecken. Den Barbier von Sevilla kennt jeder, die Italienerin in Algier die meisten, ebenso wie La Cenerentola. Vermitteln würde er gerne, dass Rossini neben den Komödienstoffen auch eine Vielzahl von sehr ernsten Themen bearbeitet hat, die qualitativ den gelisteten Repertoire-Opern um nichts nachstehen. 

Aktuell erfreut sich der Lohengrin in Bonn einer überschäumend positiven Resonanz.  David hat selbst hochgelobt Wagners Der Fliegende Holländer mit John Tomlinson eingespielt.  Selbstverständlich wird er – nach seiner eigenen Premiere – unsere Inszenierung besuchen, von der Güte der Produktion hat er bereits gehört. Er zeigt sich sowieso begeistert von der Qualität des Ensembles. „You rarely find that expertise  in one ensemble.“ Auch den Gütestandard der Häuser in der Region lobt er außerordentlich. Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Wuppertal, Essen, Gelsenkirchen – „you have the world’s most impressive number of opera houses within a small realm.“ Nirgends auf der Welt gibt es viele gute Häuser auf so kleinem Gebiet. 

Zwei Gedanken lassen mich nicht los. Wie war das noch mal mit dem Dirigenten-Nimbus des Machthabers im Graben? Er habe sich beruflich erst spät dem Dirigieren gewidmet, „because I lacked the will to power“. Sein Konzept lautet „to enable the musicians and the singers to play and sing their best.“ Streng sei er schon, aber mit seinem britischen Humor (von denen ich viele Kostproben genießen durfte) und seinem Denglish kommen seine Anweisungen gut an. Schließlich sei das Beethoven Orchester hochprofessionell. 

So ein Mann voller Musik, so charmant, so feinfühlig – was rührt ihn nach einem Leben am Pult, nach einer Ausbildung bei Sergiu Celibidache, nach dem Zusammenarbeiten mit den weltbesten Orchestern und Solisten? Wann vergießt auch er beim Musikhören Tränen? „Well, many pieces move me to tears“, bekennt er, aber die größte Tiefe erzeuge der letzte Satz in Beethovens 6. Sinfonie. Überhaupt, sei Beethoven für ihn der Größte. Unsurpassed. Yet! Ein schönes Kompliment auch an die Stadt Bonn, in der er ja gerade arbeitet. 

Unser Gespräch neigt sich dem Ende zu und lässt mich tief beeindruckt zurück. Ich danke David für seine Zeit und seine Offenheit. Ob es denn stimmt, was man liest, dass er der Maestro des Belcanto sei „in this day and age“?  David smiles, gives me a peck on the cheek and while he turns to leave the restaurant he whispers „there might be an element of truth in that.“ Ein Körnchen Wahrheit mag da wohl drinstecken, sagt er in aller britischen Bescheidenheit.

Karten für die Welturaufführung von Marx in London gibt es hier, einen sehr schönen Artikel von Bernhard Hartmann über den Komponisten Jonathan Dove im General-Anzeiger hier.

 

 

 

1 comment

Add Yours

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s