Jede Minute zählt. Pünktlich hole ich Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor am Theater Bonn und Dirigent des Beethoven Orchesters Bonn, am Bühneneingang der Oper ab. Strammen Schrittes überqueren wir die Straße und lassen uns im Restaurant nieder. Früher das Opéra, heute die Bühne. Passt!
Er ist so dicht getaktet (!), dass wir vor Weihnachten nur ein „kleines“ Interview hinkriegen. Wunderbar, dass es überhaupt noch klappt. Was hat der Mann in den ersten vier Monaten in Bonn alles gestemmt: Auftakt mit den bläck fööss, Konzerte mit Martha Argerich und Sharon Kam, zwei Künstlerinnen von Weltruf. Die famosen moderierten Konzerte „Im Spiegel“, die in der Fachwelt hochgelobte Penthesilea von Othmar Schoeck unter der Regie von Peter Konwitschny und vieles andere mehr.
Nun freut er sich auf ein paar freie Tage an Weihnachten en famille. Durchatmen, Plätzchen knabbern, einfach abschalten. Wer gleich zu Beginn so viele Duftmarken setzt, braucht auch nach vier Monaten eine Pause. „Unser Anliegen war es, gleich mit vielen Menschen in Berührung zu kommen, verschiedene Formate vorzustellen, um damit das traditionelle Publikum für Neues zu öffnen und gleichzeitig noch-nicht-Klassik-Fans mit dieser Art Musik in Kontakt zu bringen.“
Deshalb also die hohe Schlagzahl. Als nächstes dürfen wir uns auf Figaros Hochzeit unter seinem Dirigat freuen. „Diese Oper birgt ein Risiko“, urteilte Dirigentenkollege Omer Meir Wellber in seinem Buch Die Angst, das Risiko und die Liebe. Momente mit Mozart. So oft gespielt, so oft interpretiert, so oft psychologisch ausgeleuchtet. Noch verrät Dirk Kaftan keine Details, was uns denn am 28. Januar 2018 bei der Premiere erwartet. Freuen wir uns also darauf, wie er die musikalisch- interpretatorisch freien Stellen wie die Rezitative auf seine Art gestaltet.
Das Cembalo spielt er nicht (direkt), wohl aber sind seine beiden Hauptinstrumente Klavier und Trompete. „Träumt eigentlich so ein kleiner Junge in der Eifel schon früh davon, Generalmusikdirektor zu werden? Oder vielleicht auf dem Land auch eher Feuerwehrmann oder Polizist?“ Er schmunzelt. Also Bauer, nein Landwirt, das war wohl auch in der engeren Wahl, aber schließlich überwog eine andere Leidenschaft. „Mir war früh klar, dass ich etwas mit Musik machen wollte. In meiner Band habe ich Keyboard und Trompete gespielt.“ Und von da aus wurde eine Karriere als klassischer Musiker draus.
Stationen waren Graz und Augsburg, Bielefeld, Münster und Detmold und zahlreiche Gastdirigate europaweit. Konzerte und Dirigate in anderen Häusern will er erst jetzt wieder verstärkt aufnehmen, wenn er sich in Bonn gut eingelebt und eingearbeitet hat. „Das ist wichtig nicht nur für die eigene Vita, sondern insbesondere für die vielen Facetten im Dirigieren. Mit anderen, zunächst fremden Musikern zu spielen, die besondere Atmosphäre dort zu erfahren, neue Stücke mit neuen Menschen zu entwickeln – das zählt für Kaftan zum Kräftebündeln. „Die Musik existiert, exzellente Musiker brennen darauf, sie zu spielen. Und ich führe sie zu einer – hoffentlich – guten Aufführung“.
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„Letztendlich basiert so ein Orchester ja auf einer streng hierarchischen Ordnung“, sagt er. Allerdings sei das alte patriarchalische Muster heute im Miteinander eher nur bedingt förderlich. „Ich versuche ja, die Musikerinnen und Musiker für meine Interpretation zu begeistern, ihnen Verständnis für meine Lesart zu vermitteln.“ Dabei gehe es auch um Menschenführung und Psychologie. |
Was ich bei anderen erfolgreichen Musikern bereits beobachtet habe: Sie verfügen über ein außerordentliches Sprachtalent. Darauf angesprochen, zeigt Dirk Kaftan sich sehr bescheiden. Naja, Deutsch sowieso und Englisch als lingua franca sowie Französisch. Italienisch benötigt er, um Partitur und Libretto vieler Opern synchron zu verarbeiten. Schwedisch spricht er der Familie wegen, Russisch und Tschechisch hat er sich phonetisch angeeignet, um auch dort den Libretti zu folgen. Chapeau!
Wie physisch anstrengend empfindet er das Dirigieren einer großen Oper mit drei Stunden intensiver mentaler und körperlicher Arbeit? „Ach, das merke ich kaum. Ich bin mit solcher Motivation dann in der entsprechenden Situation … Und trainieren? Dazu komme ich gar nicht. Wie zu so manch anderem im Moment auch,“ fügt er fast ein wenig wehmütig hinzu.
Aber Dirk Kaftan blinzelt den Augenblick mit einem Lachen weg. „Wissen Sie, wir Dirigenten haben nur eine kurze Halbwertzeit, maximal fünf Jahre. Das ist wie bei den Fußballtrainern.“ Stopp. Erstmal haben wir ihn hier in Bonn und ich bin nicht die einzige, die darauf brennt, ihn noch oft zu erleben. Aber die Zeit rennt. Time flies when you are enjoying yourself. Tatsächlich, ich meinte zu spüren, dass er auch seine Freude an unserem Mittagsplausch hatte.
Ob ich Lust hätte, das Gespräch im neuen Jahr fortzusetzen. WAS FÜR EINE FRAGE! Vielleicht während der Arbeit am Figaro? Si, con piacere, maestro! Wir tauschen „Frohe Weihnachten und gute Wünsche für das neue Jahr aus“. U N D einen neuen Termin im Januar.
Draußen Nebelnieselregen ohne Weihnachtsstimmung, drinnen wärmen die Worte der wunderbaren Rose Ausländer.
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[…] größten Herausforderungen dieser Spielzeit. Beim Rosenkavalier von Richard Strauss vertrat er GMD Dirk Kaftan zweimal am Pult. Vorher hatte er das Stück nie dirigiert, musste es sich also ganz neu erarbeiten. […]
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