Ein Alphorn, zwei Konzertflügel, eine Pistole und zwei Tote

 Vorhang auf! 

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Nicht bei so Penthesilea!

Eine moderne Oper (uraufgeführt 1927)  des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck, der auch das Libretto selbst … nun ja mehr zusammenstellte als schrieb. Er reduzierte Heinrich von Kleists  Trauerspiel Penthesilea  um drei Viertel. Und fügte – nach dem ersten Misserfolg der Oper – noch ein Liebesduett hinzu. Aber dazu später mehr.

Also kein Vorhang. Die Bühne offen. Das Licht an. Ein weißes Quadrat von 10 x 10 Metern ragt ins Parkett. Das ist die Spielfläche. Darauf zwei Konzertflügel, viel in Bewegung  während dieser knapp 1 1/2 stündigen Aufführung. Sie stellen Gebirge, Liebesnest, Fitnessbude und Kampfarena dar. In schwarz auf weißem Untergrund.

Die Farbgebung entpuppt sich als Gestaltungselement. Alles schwarz-weiß! Die Kostüme, Ausgehkleidung mit Lurex, Pailletten und Strass – ganz angeglichen dem bürgerlichen Premierenpublikum. Denn die Schranke Bühne – Orchestergraben – Parkett  ist vollständig aufgehoben. Sängerinnen und Sänger des üppig bestückten Chors sitzen neben „echten Menschen“, die einen nicht von den anderen zu unterscheiden.  In vier Reihen die meisten Chorsänger hinter der weißen Spielfläche.

Das Orchester spielt hinter der Bühne, ungefähr zwei Meter erhöht, dicht gesetzt, jeden Zentimeter Raum nutzend. Dem Publikum bietet sich ein großartiger Anblick: viel Percussion, 10 Klarinetten, zahlreiche tiefe Streicher, Kontrabässe, Celli, Bratschen, dafür nur vier Violinen und zwei Klaviere. Im Laufe des Abends zaubert die Lichtregie hier mal warmtonige, sanfte Struktur, mal Gewitterblitze zum Donnergrollen des Metallblattes, mal strahlende Klarheit in Sonnenaufgangsblau.

Auch die Protagonisten, Penthesilea und Achill, tragen Alltagskleider. Sie könnte als Bankangestellte oder Vorzimmerassistentin eine gute Figur machen, er als start-up Dandy im smarten Anzug mit Lackschuhen, zu denen aber das T-Shirt reicht. Die sexy Boxershorts bekommt der Zuschauer ebenso zu Gesicht wie Penthesileas Unterrock. Beides in weiß – der Farbe der Unschuld.

Für die Bildlichkeit der Handlung kommen Rosen ins Spiel. Rote Rosen! Peter Konwitschny belässt es dabei. Zwischen schwarz und weiß passt bei ihm nur rot. Die Farbe der Liebe und die Farbe des Zorns und die des Blutes. Konsequent angelegt, die Palette. Spiegeln Sie doch von der Unschuld bis zur Trauerfarbe gnadenlos die unüberbrückbaren Kontraste in der Psychologie der Figuren ab.

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Wie interpretiert nun der Regisseur das Werk? Wie der Generalmusikdirektor Dirk Kaftan , der in seiner ersten Opernproduktion in Bonn das Beethovenorchester dirigiert, die Partitur?

Alles Schlachtgetümmel auf dem Feld vor Troja blendet Konwitschny aus. Seine Penthesilea kommt blutend auf die Bühne. Achill hat sie bezwungen. Nun findet sie sich in dem Zwiespalt zwischen der Tradition des Amazonengesetzes und ihrer – im Liebesduett zu Herzen gehenden – Zuneigung zu Achill. Dshamilja Kaisers Mezzosopran füllt die Rolle in allen Lagen wunderbar aus. Sie schreit und tobt gleichermaßen stimmlich überzeugend wie sie auf dem Liegeslager (wozu die beiden Flügel zusammengeschoben werden) alle Wärme und Zärtlichkeit ausdrückt. Ein Gewinn – nicht nur für diese Aufführung. Nach dieser Rolle darf Bonn sich auch auf eine temperamentvolle Carmen freuen.

Zurück zum Konflikt. Achill setzt sich gleichermaßen über die Gesetze seiner Gesellschaft hinweg. Das Bündnis mit den anderen Griechenkönigen kündigt er auf, er will Penthesilea als seine Königin auf den Thron seiner Väter heben. So draufgängerisch wie er als tätschelnder und tänzelnder Macho sich seiner Überlegenheit bewusst ist, so liebesselig unterwirft er sich plötzlich diesem „wunderbaren Weib, halb Furie, halb Grazie.“

Christian Miedl überzeugt mit seiner physischen Präsenz und macht bella figura bei den Flügel-Klimmzügen. Bis in die Basstiefen herab füllt sein Bariton, klar interpretiert er seine männliche Dominanz. Wunderbar das Liebesduett zwischen den beiden, das in einer Pietà endet. Das Bild trägt: Penthesilea wird ihn tot in den Armen halten.

Dirk Kaftan gestaltet seinen – im wahrsten Sinne des Wortes – ersten Auftakt schrill, rau, klirrend. Das Publikum spürt von der ersten Note an, dass heute Abend viel Ungemach zu hören und zu sehen sein wird. Und dennoch: Lyrische, witzige, romantische, filmmusikalische Passagen machen die Musik zu einem Wechselbad der Gefühle. Da ist Schoeck noch der Spätromantik verhaftet und kann sich nicht so konsequent neu positionieren wie sein Zeitgenosse Strauss in der Elektra oder der Salome. Gleichzeitig sind Disssonanzen, Bi- und Tritonalität sowie Cluster dominante Gestaltungselemente. Aber: das muss man hören. Dann erschließt sich auch der großzügige Einsatz von Fermaten. Sie gebieten dem Fluss von Handlung, Rezitativen und Gesang Einhalt, besonders bei den Chorpassagen.

Mit Elementen des epischen Theaters und Penthesileas Schlusssatz „Nun ist`s gut“. entlässt Konwitschny das Publikum aus dem Abend. Will er damit sagen: Wir wiegen uns in Sicherheit, aber die Konflikte, das gesellschaftliche Gewaltpotenzial, drohen stärker, als wir es uns, geborgen in unseren Konventionen,  eingestehen?

Das Bonner Premierenpublikum nimmt die Aufführung begeistert an. Sie bejubeln den Chor, der Einzigartiges darbietet. Donnernder Applaus für Dirk Kaftan und sein Orchester. Fantastische Leistung! Und – man hätte es in Bonn anders erwartet – kein einziger Laut des Unmuts über die Inszenierung. Kein Buh, nirgends. Peter Konwitschny  sichtlich zufrieden.

Muss man hinzufügen, dass Christian Miedl nicht nur Penthesilea eroberte, sondern auch die Bonner? Er meisterte seine Partie bravourös. Und dann herzlicher, begeisterter, langanhaltender Applaus für Dshamilja Kaiser – die Penthesilea.  Ein Auftritt, der weit über den Tag hinausweist: Frau Kaiser und Herr Kaftan haben sich mit dieser Premiere in die Herzen der Bonner gespielt. Wunderbar!

The proof of the pudding is in the eating, sagen die Engländer gern. Auf gut Deutsch. Hingehen, anschauen, anhören, am besten auf den „Bühnenplätzen“. Aber dazu bald mehr, im nächsten Beitrag hier mit dem Titel Oper von hinten. 

Die Deutsche Bühne war (nach mir) am schnellsten mit der Rezension. Penthesilea Opernrausch

Thomas Molke hat hier für das Online Musik Magazin Penthesilea als Kaftans „fulminanten“ Einstand an der Oper Bonn rezensiert.

Der General-Anzeiger hat Kaftan & Konwitschny als Dreamteam bejubelt und feiert Dshamilja Kaisers Triumph.

Deutschlandfunk Kultur: kalt und mutlos.

Hier ein Video – Appetithappen Video amuse geule

Aber bitte mit Musik …
Ein Interview mit Dirk Kaftan, dem neuen Bonner GMD, lesen Sie hier.

 

 

 

5 comments

Add Yours
  1. Monika Steffens

    JA, so war es. Und noch viel mehr! Leute geht hin und schaut und hört und fühlt mit und lacht ( das gibt’s auch).Z.B.wenn Penthesilea mit zugehaltenen Nasenflügeln den „Alphornsprecher“ nachäfft. Köstlich! Und nehmt euch die billigeren Bühnenplätze. Ihre könnt dann zwar die Übertitel nicht lesen, aber das Erlebnis z.B. zwei Meter vor Penthesiliea oder Achill zu sitzen, das (neudeutsch) hat was! Penthesilea soll das letzte Wort haben: Nun ist es gut!

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  2. Monika Steffens

    JA, so war es. Und noch viel mehr! Leute geht hin und schaut und hört und fühlt mit und lacht ( das gibt’s auch).Z.B.wenn Penthesilea mit zugehaltenen Nasenflügeln den „Alphornsprecher“ nachäfft. Köstlich! Und nehmt euch die billigeren Bühnenplätze. Ihr könnt dann zwar die Übertitel nicht lesen, aber das Erlebnis z.B. zwei Meter vor Penthesiliea oder Achill zu sitzen mit der vollen Orchestermusikdröhnung auf den Ohren – das (neudeutsch) hat was! Penthesilea soll das letzte Wort haben: Nun ist es gut!

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  3. Barbara

    Den Kommentaren meiner Vorschreiber kann ich mich nur anschließen: alles wurde trefflich beschrieben und – teils auch originell – kommentiert.

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