Störfaktor Bariton! Wie in zahllosen Opern erzählt Ein Maskenball eine klassische Dreiecksgeschichte. Der Tenor liebt den Sopran, der eifersüchtige Bariton vereitelt die Vereinigung und tötet den Nebenbuhler. Beim Komponieren dieser Oper allerdings zwangen andere delikate Details Giuseppe Verdi und seinen Librettisten Antonio Somma, die Handlung ins weit entfernte Amerika zu verlegen, nachdem kirchliche und weltliche Zensur das Stück sittenkonform bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatten. Denn die Oper zeigt den Mord an einem Herrscher auf offener Bühne. Zugrunde liegt eine historische Begebenheit: Der schwedische König Gustav III wurde 1792 von Aufständischen in seinem eigenen Opernhaus getötet.
Auf der riesigen Bühne im Staatenhaus öffnet sich die Szene im weitläufigen Saal eines Palazzo. Im Hintergrund schützt ein stabiles Eisengitter den Adel vor dem gebeutelten 3. Stand. Arbeiter und Bauern machen ihren Unmut über die sozialen Ungerechtigkeiten hör- und sichtbar. Aber das ficht den Potentaten nicht an. Graf Riccardo zeigt sich als feierfreudiger Lebemann, als selbstverliebter Kindskopf, der sich der Liebe seines Volks sicher ist. Auf seinen besten Freund und Getreuen Renato kann er sich blind verlassen – bis der sich am bitteren Ende als Attentäter entpuppt.
Im Hintergrund braut sich eine Verschwörung zusammen: Tom und Samuel (die beiden einzigen Figuren, in denen sich das Lokalkolorit niedergeschlagen hat) planen so etwas wie eine proletarische Revolution. In der Folge sieht man auch rote Fahnen schwenken und hoch gereckte Fäuste. Das Volk frönt derweil dem weit verbreiteten Okkultismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Wahrsagerin Ulrica prophezeit Gutes wie Schlechtes und dem als Fischer verkleideten Grafen sagt sie den Tod voraus. Ermorden werde ihn derjenige, dem er als nächstes die Hand schüttele. Dieser ist … Renato!
Amelia findet sich ebenfalls dort ein und bittet Ulrica um ein Kraut, das ihre verbotene Liebe zu Riccardo unterdrücken soll. Sie will ihrem Mann Renato treu bleiben. Sie findet das Kraut, trifft unverhofft auf ihren Geliebten, aber bevor es zum Liebesakt kommt, taucht der Gatte auf. Diesen wiederum – Renato – bittet Riccardo, Amelia sicher in die Stadt zurückzuführen. Ein Tuch über dem Kopf soll verhindern, dass Renato seine eigene Frau erkennt. Oper eben!
Der Schleier fällt, die Hofgesellschaft lacht. Ha, ha, ha, ha. Welche Genugtuung, wenn die kleinen Leute die Mächtigen fallen sehen! Diese unverhohlene Häme stachelt Renato weiter an, und er zwingt Amelia zu assistieren, wenn das Los gezogen wird. Das Ergebnis: Er selbst soll das Attentat ausführen. Und der liebens-und ehrenwerte Riccardo plant munter seinen Ball für den selben Abend. Alle Warnungen schlägt er in den Wind: Ulricas Prophezeiungen, die immer stärkere Präsenz der Aufständischen, Amelias mehrfachen, dringenden Appell zu fliehen. Schließlich verrät der Page Oscar das Kostüm seines geliebten Herrn und damit erfüllt sich das Schicksal.
Mit nur einem einzigen Szenenbild gestaltet der Regisseur Jan Philipp Gloger Un ballo in maschera. Immer derselbe säulengetragene Saal. Hübsch angesiedelt in der Belle Époque – ebenso wie die fantastischen Kostüme von Sybille Wallum. Das versagt jedoch dem Element der Schauergeschichte jede Wirkung. Ulrica – fantastisch gesungen mit einem selten gehörten so tiefen Contralto von Agostina Smimmero – kommt als nette, einfache Frau daher. Der Galgenberg, wo man förmlich die Gebeine klappern hört, ist leider nicht vorhanden. Schade, denn mit dem Gegensatzprinzip von drinnen-draußen, Adel-Volk, Liebe-Hass, Großzügigkeit-Rache, realistisch-mysteriös, Zauberei-Gläubigkeit, Aberglauben-Vernunft, privilegiert-arm gestaltet Verdi die Geistesströmungen seiner Zeit. Damit nimmt er Bezug auf die politischen und sozialen Entwicklungen – unter dem Deckmantel der zeitlich und räumlich weit entfernten Geschehnisse.
Der Titel Ein Maskenball ist für diese Oper Programm. Alle verkleiden sich. Und alle werden entlarvt. „All the world’s a stage“ möchte man mit Shakespeare, den Verdi sehr für seine dramatischen Werke verehrte, sagen. Hier dienen Kittel, Tücher, Mützen, arme-Leute-Klamotten und natürlich die prächtigen Kostüme des venezianischen Karnevals der Camouflage. Erst wenn es um die tiefen, echten Gefühle geht, fallen die Masken: soweit, dass Amelia in der Liebesszene bis aufs Hemd nackt ist. Ansonsten ist sie zugeknöpft, ganz das keusche Eheweib. Oder im Moment des Todesstoßes, als Riccardo und Renato einander erkennen. Dann aber „spielt“ Riccardo weiter: sinngemäß „Wenn ich schon sterben muss, dann wird mein Volk glücklich sein, dass ich da war.“
Astrik Khanamiryan singt Amelia, die Frau zwischen zwei Männern. Als Turandot hat sie mit ihrem hochdramatischen, eisgekühlten Sopran das Kölner Publikum in ihren Bann geschlagen. Ihre Stimmkraft auch hier riesig, mühelos überstrahlt sie das Orchester. Spitzentöne moduliert sie gefühlvoll, ohne je zu schreien. Aber für ihre Ängste auf dem Galgenberg, nachts, ganz allein, hätten lyrische Töne zu einer runderen stimmlichen Charakterisierung ihrer Figur geführt. Dennoch – begeisterter Szenenapplaus für die große Solo Arie. Gaston Rivero gibt den leichtfüßigen Riccardo, den so schnell nichts anficht, der blind und taub ist für alles, was um ihn herum geschieht. Ein feiner Tenor, Marke Lausbub, der von alten Tugenden wie Großmut, Verzicht und Ehre lebt. Im Duett mit Amelia und im Terzett mit ihr und Renato glänzt seine Stimme mit lyrischen Akzenten.
Für die Rolle des Renato hat Verdi quasi den Bariton (neu) erfunden. Die großartige Arie „Eri tu che macchiavi quell’anima“ (Du warst es, die diese Seele befleckt hast) zeigt Verdis endgültigen Abschied von der Arienform des Belcanto in Cavatina und Stretta. Simone del Savio gestaltet diese Arie mit ihrem drastischen Gefühlsumschwung fabelhaft. Erinnert er sich zunächst an die wunderschönen Zeiten der jungen Liebe mit Amelia, entscheidet er sich dann in ebenso großem Hass dazu, nicht sie, sondern Riccardo zu ermorden.
Der Page Oscar ist die liebenswürdigste Figur in diesem Theater. Hila Fahima, zart von Gestalt und wie geschaffen für eine androgyne Hosenrolle, verleiht als Koloratursopranistin Oscar eine tolle gesangliche und tänzerische Leichtigkeit. Sie vertritt gesellschaftlich und opernhistorisch die „alte“ Form des Belcanto eines Rossini, sodass Verdi hier heiter „an die guten alten Zeiten“ erinnert. Wie bei Micaëla in Carmen – gegen diese entzückenden Mädchen kann niemand ansingen. Tosender Applaus!
Menuett, Mazurka, Marsch, Walzer – Ein Maskenball sprüht vor tanzbaren Elementen. Wunderbare Gelegenheiten, den Chor nicht nur im Gesang, sondern auch in Bewegung schwelgen zu lassen. In Glogers Inszenierung verharrt der Chor sehr statisch, wo er dem Geschehen entschieden mehr drive hätte verleihen können. Rustam Samedov ist wie immer zu verdanken, dass die Frauen und Männer des Opernchors so perfekt vorbereitet waren.
Ein Genuss besonderer Güte war die unvergleichliche Verdi-Musik aus dem Graben. Giuliano Carella führte das Gürzenich Orchester zu punktgenauen Einsätzen und makellosen Soli. Das Cello zu Amelias Solo-Arie, die gezupften Bässe, die schneidenden Piccolo Flöten, die Blechbläser und die Basstrommel zu Ulricas Orakeln sowie die melodischen Bögen der Flöten – einfach traumhaft.
Fazit: Opulente Inszenierung mit verschenkten Effekten, vorzügliche musikalische Interpretation aus dem Graben und von allen Sängerinnen und Sängern.
Die Oper Köln spielt Ein Maskenball noch sechs Mal bis zum 10. Mai. Infos und Tickets hier.