DER SINGENDE TEUFEL – das Gespenst mit den weißen Zähnen

Für Spezialisten und das breite Publikum sei diese Oper geschaffen – so Franz Schreker im Disput mit seinem Verlagshaus Universal Edition, das sich strikt weigerte, die Partitur der Oper Der singende Teufel zu drucken. Die Uraufführung am 10. Dezember 1928 an der Staatsoper Berlin hatte die Kritik nämlich gründlich verrissen und so Schrekers vorletztem Bühnenwerk ein schnelles Aus beschert. Nun, nach fast 100 Jahren, bringt das Theater Bonn die Originalfassung – ohne Striche – im Rahmen der Reihe Fokus|’33| auf die Bühne. In der Tat mischten sich im Parkett und auf den Rängen eine ungewohnte Melange aus Premierenpublikum, Musikjournalisten und internationalen Experten. In den dreieinhalb Tagen vor der Wiederbelebung des Stücks diskutierten Forschende der Musikwissenschaft und -geschichte im Symposion DIS|KONTINUITÄTEN die Entwicklung der Oper zwischen und nach den Weltkriegen. Als Höhepunkt und Abschluss der Tagung erlebten sie die Premiere mit. Alle Anwesenden aber saßen im selben Boot: Niemand hatte die Oper nach der förmlich massakrierten Inszenierung von 1989 in Bielefeld so je live gesehen und gehört.

An der Oberfläche handelt die Oper von einem existenziellen Kampf zwischen Heiden und Christen im Spätmittelalter. Die Kunst des Orgelbaus steckt noch in den Kinderschuhen, aber der machtgierige Pater Kaleidos ahnt die betörende Magie, die von dem Instrument ausgeht. Die Musik soll die Heiden unter ihrer Priesterin Alardis dazu bringen, ihren Naturriten abzuschwören und sich dem christlichen Gott zu unterwerfen. Anstatt allerdings ein friedliches Mit- oder Nebeneinander herbeizuführen, schlachten die Mönche die Heiden ab, die sich in Trance dem exotischen Klang der Orgel ergeben.

Auf einer zweiten Ebene personifiziert das Stück mit dem Protagonisten Amandus Herz ein Künstlerdrama, das durchaus autobiografische Züge von Franz Schreker trägt. Glücklich ist dieser Sohn eines Orgelbauers in der Tat nur, wenn er sich verzückt seinem Instrument – hier einem Flügel – widmet. Das „liebende Herz“ wird Opfer aller möglichen Manipulationsstrategien, ein Spielball anderer Mächte. Pater Kaleidos zwingt ihn nahezu, das Werk seines Vaters – den Bau der Orgel – zu vollenden. Als Vertreter von love & peace steht er dann fassungslos vor dem Fluch der guten Tat: einem Blutbad wie in der Bartholomäusnacht, wo aus pseudoreligiösen Gründen friedliche Menschen in Massen ermordet wurden.

Schließlich exemplifiziert auch eine Liebesgeschichte die Seelennöte der sensiblen Kreatur. Für seine Braut Lilian, die Schöne und Reine, ist Amandus äußerst defizitär. „Sorgloser, froher, freier und kühner …“ möge er werden, erst dann nähme sie ihn zum Mann. Auch sie instrumentalisiert Amandus, fordert seine Rache für den wegen Ketzerei getöteten Vater und für ihre eigene Schmach durch Sinbrands Vergewaltigung. Am Ende zündet sie das mächtige, von Zauber erfüllte Instrument an: Die Orgel, das „Gespenst mit den weißen Zähnen“ rollt als Feuerball über die Bühne.

Gewalt ist in Schrekers Oper stets präsent. Archaische Schlachten werden geschlagen, um die schöne, unschuldige Frau wird gewürfelt. Ein versoffener, stinkender Söldner, der als Fremdkörper in im Machtkampf der beiden Blöcke erscheint, erhält sie als Trophäe: ein anachronistisches Frauenbild, das Lilian aber im Verlauf wendet. Dieser Sinbrand wiederum fungiert als Spießgeselle der Priesterin Alardis, die in ihrem Gesang die Schönheit der Natur und die Perfektion der jahreszeitlichen Abläufe heraufbeschwört. Sie wirkt tiefreligiös, vertritt mit Leidenschaft und tiefer Empfindung ihren Glauben: „Es gibt einen Gott – es muss ihn geben – ich hab ihn empfunden – ich habe ihn gehört –“ Will sagen, die Musik dringt tief in die Seele ein, in ihr offenbart sich das Göttliche. Sie glaubt an etwas, trotz des Mordens in der Welt, trotz allen Übels.

Die profunde Frage nach der Existenz Gottes beantwortet in Schrekers Der singende Teufel der namenlose maurische Pilger, der aus dem Nichts auftaucht, weil er vordergründig Hilfe bei der Reparatur seines Örgelchens benötigt. Epigonal, Lessings Nathan der Weise konterkarierend, führt er rasch die drei großen Weltreligionen ad absurdum. Wie ein Jack-in-the-box überträgt er unter dem glitzernden Anzug die irdische Vergeblichkeit der Vanitas-Lehre des Barock auf die göttliche Ewigkeit: *“Und mit ihr (der Wahrheit) das Glück der Erde, kurz, vergänglich wie dies Leben, Liebe, Freude, Rausch und Traum – alles Ew’ge ist nur Wahn“

Existenzialistische Abgründe, die ins Nichts führen – diesem nihilistischen Weltbild setzt Schreker seine Musik entegen. Seine Komposition in Der singende Teufel springt vom bombastischen Tutti im Graben zu zart gezupften Kontrabässen, stets in kürzesten Abständen, rastlos, energetisch, den Zuhörer immer wieder mit neuen Drehs und Wendungen konfrontierend. Sie vereint Elemente von Strauss und Wagner, um doch unmittelbar Brechungen hervozurufen, die authentisch Schreker zueigen sind: über Strecken arhythmisch und mit abenteuerlichen chromatischen Sprüngen. Dirk Kaftan am Pult ließ mit dem Beethoven Orchester Bonn diese Elemente tanzen und gestaltete mit der musikalischen 180-Grad Drehung im vierten Akt eine echte Volte.

Dem hohen musikalischen Anspruch wurde der gesamte Cast bewundernswert gerecht. Allen voran der fabelhafte Mirko Roschkowski, der einen grandiosen Amandus Herz gab. Sein relativ heller lyrischer Tenor intonierte fein auch in hohen Lagen Zweifel und Getriebensein, Enttäuschung, Verletzung, Trauer und Reue – den Gefühlszirkel eines sensiblen, verantwortungsbewussten Menschen, eines Künstlers obendrein. Seine Bühnenpräsenz – hier über das gesamte Stück – ist großartig; mit vorbildlicher Verständlichkeit gestaltete er die Rolle des Amandus und dessen komplexer Textanteile. Schauspielerisch außerordentlich begabt, groovte er sich auch tänzerisch in die moves des Tanzensembles unter der Leitung von Cameron McMillan ein.

Die Sopranistin Anne-Fleur Werner erwies sich als Idealbesetzung für die Rolle der Lilian. Die vielfältigen Ansprüche des Librettos in seiner wagnerianischen Schwülstigkeit sang sie in ihren Arien und vor allem im letzten Amandus-Duett so hell und klar, dass kein Zweifel an ihrer inneren Gebrochenheit und ihrer Reue über das große, von ihr angerichtete Unheil (Die Orgel und das Kloster brennen ab.) blieb. Wie ein Gretchen im Faust schreitet sie am Ende dem Licht entgegen. Sie ist gerettet!

Heidnische Göttin, Hexe, Priesterin – Dshamilja Kaiser gab in einer Designerrobe eine selbstbewusste, nicht wankende Gegenspielerin zum Pater Kaleidos von Tobias Schabel. Sie verkörpern die jeweils exponierten Figuren der widerstreitenden Mächte und verlieren am Ende beide. Alles. Der Krieg um Wahrheiten führt in die Katastrophe und wer mag, kann daraus durchaus aktuelle Bezüge herstellen. Carl Rumstadt als der maurische Pilger repräsentiert in seiner Rolle ein ganz neues Klangbild in dieser Oper. Die Musik wird lyrischer, feiner, und mit seinen jungen, baritonalen Einlassungen zu den großen Fragen des Lebens kommt das Stück an des Pudels Kern an. Auf die Rolle des clownesken Grobians scheint Pavel Kudikov mittlerweile abonniert zu sein. Er gibt bassig den übergriffigen Grobian Sinbrand.

Eine ganz präzise, wohltönende Facette fügte der Tenor Tae Hwan Yun als Lenzmar dem Geschehen bei. Eine „kleine“ melodische, koloraturverzierte Lobeshymne auf die Orgel waren von Ava Gesell und Alicia Grünwald als Alumnen zu hören. In wenig schmeichelhaften Kostümen, aber mit glockenklaren Stimmen eins der zahlreichen musikalischen Fragmente, die das verwirrende Stück über den singende(n) Teufel ausmachen. Ein weiteres Mal bewies der Chor mit Extrachor unter der Leitung von Marco Medved seine Sonderklasse. 55 Sängerinnen und Sänger erschienen in zwei Gruppen: hier die Heiden mit ihren lärmenden, sinnenfrohen Festen und dort die Mönche aus dem Off mit ihren sphärischen Gesängen. Die hohen Lagen, die arhythmischen Takte, die langen Passagen – das alles fordert auch eine sportliches Leistungsvermögen. Das Gleiche gilt auch für Mirko Roschkowski und Anne-Fleur Werner: Sie boten rein physisch eine Spitzenleistung.

Franz Schrekers vorletzte Oper Der singende Teufel führt das Publikum in ein Labyrinth, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Musikalisch wird das Publikum zwischen Extremen hin- und hergeworfen, inhaltlich und thematisch scheint keine Lösung in Sicht. Die Regisseurin Julia Burbach bildet die Handlung aus dem Libretto eins zu eins ab, platziert das Geschehen zwischen überdimensionalem Notenpapier und furchteinflößendem Chorgestühl (Bühne Dirk Hofacker). Sie spielt wie die Musik mit den Ambivalenzen des Publikums und blättert gleichzeitig bei Amandus die tieferliegenden Schichten seiner Seelenlage auf. Das Geschehen ist und bleibt unfassbar, eine naturalistische Erklärung unmöglich. „Warum?“ lautet Amandus‘ letzte Frage und der Chor hat – wie im antiken Drama die Deutungshoheit: Er weiß es auch nicht.

*Wie man’s dreht und wie man’s wendet
– ewig bleibt’s ein Rätselraten.
Gute oder böse Taten,
Lieb‘ und Haß – s’gilt alles gleich.
Nur das Eine, wenn man’s wüßte,
was uns treibt und was uns jaget
bis zur allerletzten Stunde,
bis dies arme Leben endet
– diese ew’ge bange Frage –

Die Ratlosigkeit des modernen Menschen, die gewaltigen Umbrüche, das Wegbrechen eines moralischen Kompasses waren Themen der Zeit, behandelt von der populär werdenden Psychoanalyse bis hin zu Fritz Langs Metropolis von 1927. Gut 10 Jahre nach Schrekers Oper stellte Bert Brecht sein Drama Der gute Mensch von Sezuan fertig. Dessen Fazit: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.

*Alle Zitate aus dem Libretto sind dem sehr lesenswerten Programmheft der Oper Bonn entnommen.

Das Theater Bonn spielt die Oper Der singende Teufel noch fünf Mal bis zum 16. Juni 2023. Infos und Karten gibt es hier.

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