Giulio Cesare in Egitto – Exquisite barocke Sangeskunst an der Oper Köln

Die Heldenpartie des großen Imperators Julius Cäsar schrieb Georg Friedrich Händel dem seinerzeit berühmtesten Kastraten Senesino in die Kehle und auf die Stimmbänder. Bis ihn der divo assoluto Farinelli ablöste, galt der italienische Alto als Inbegriff des Schöngesangs, der auf Riesenerfolge in seinem Heimatland, in Deutschland und England blickte. Vor ziemlich genau 300 Jahren begann Händel die Arbeit an dieser Oper, bis sie dann 1724 in London uraufgeführt wurde. Der Oper Köln glückt nun der spannungsreiche Spagat zwischen absolut barock und absolut zeitgenössisch.

Zwei unverzichtbare Elemente der Barockoper bilden die Eckpfeiler. Der Stoff, bereits mehrfach vertont oder in Opern bearbeitet, stammt aus der klassischen Antike mit mehr oder minder gesicherten historischen Eckdaten. Und … es gibt ausnahmslos immer ein gutes Ende, das lieto fine, das den Sieg der Tugend feiert, den Bösewicht erledigt und die Liebenden vereint. Julius Cäsar also, der Herrscher der westlichen Welt, hat kriegerisch über den Ägypter Pompeo gesiegt. Tolomeo allerdings, der ägyptische König, serviert ihm den Kopf des Unterlegenen als Geschenk. Pompeos Frau Cornelia und ihr Sohn Sesto sind zwischen Entsetzen, Trauer und Racheplänen hin- und hergerissen, Cleopatra und ihr Bruder Tolomeo im Kampf um den ägyptischen Thron verstrickt. Erst als Cäsar einem Attentat entgeht und schließlich wundersam auf der Flucht gerettet wird, Sesto den verhassten Tolomeo ersticht und Achilla, der intrigante Strippenzieher, die Seiten wechselt – erst da ist die Machtfrage entschieden. Cleopatra wird zur mächtigsten Frau am östlichen Mittelmeer.

Das Geschehen durchziehen vielfältige Konflikte und Spannungen: das Gefälle zwischen Ost und West, Imperialismus und Thronquerelen, die überirdisch schöne Cleopatra, die auch als Bellona, die Schwester des Kriegsgottes Mars bekannt ist, das ständige Vexierspiel mit Geschlechteridentitäten. Da singt eine Frau einen präpotenten Herrscher, der im dekadenten Stil eines Nero stets mit seinem exponierten Gemächt Eindruck zu schinden versucht. Da ertönt aus dem Mund des strahlenden Helden die Stimme eines exzellenten Countertenors, da singt ein kristallklarer sehr hoher Mezzosopran die Partie des jungen Sesto, der schwer an seiner Langwaffe schleppt, mit der der den mörderischen König töten will, bis ihm der elegante Degen wie ein Schmusetier am Arm baumelt und er endlich kraftvoll zustößt. Als feinen Kunstgriff stellt die Regie (Vincent Boussard) Cleopatra in einer stummen Rolle (Susan Fararuni) ein alter ego an die Seite. Sie verführt Cäsar, sie erleidet mit einem Urschrei ihre Stellvertreter-Defloration und fungiert als Liebesdienerin.

Bis auf eineinhalb Rollen spielt sich in Giulio Cesare in Egitto alles zwischen Alt, Sopran und Mezzo ab. Hochgradig artifiziell repräsentieren sie Archetypen – was sich in der Dramaturgie und im Gesang eins zu eins wiederfindet. Bis auf wenige Szenen mit Chor oder im Duett hören und sehen wir nur Einzelne an der Rampe. Da ist kaum Miteinander, sondern nur kunstvolles Nebeneinander. Die Arien stimmen nahezu deckungsgleich mit der Affektenlehre von René Descartes überein: Trauer, Freude, Hass, Liebe, Verlangen, Bewunderung. Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann zeigt dazu ein stark in die Breite gezogenes Panorama, eine Guckkastenbühne, über die gestaffelt wie auf den guten alten Kulissenschlitten lichtumrandete Rahmen gleiten. Sinnfällig werden dadurch das Miteinander, die Einsamkeit, der öffentliche Raum und der private. Die Videos von Nicolas Hurtevent nehmen die Ruhe und das entspannende Moment der barocken 64 beats per minute auf. Behutsam wehen Palmen am Strand, gemächlich ziehen Wolken über einen Mondhimmel.

Diese Produktion zelebriert die Kunst der Verzierungen, Schleifen, Steigerungen der Barock-Koloraturen. Alle Sängerinnen und Sänger glänzen in ihrer Stimmakrobatik. Raffaele Pe gibt einen umwerfenden Giulio Cesare, mit atemberaubender Technik (einem hinreißenden messa di voce) und männlicher Kraft. Seine Statur und sein Kostüm – sowohl Brustpanzer als auch wehender Umhang – unterstreichen seinen Heldennimbus. Sein „Duett“ mit der Solo-Violine ein Highlight des Abends! Giulia Montanari verschafft sich Respekt (und den Thron) mit den Waffen einer Frau. Die schwarze Pagenkopf-Perücke beschwört die Erinnerung an Elizabeth Taylor herauf, wie sie in dem Monumentalfilm Cleopatra die römischen Herrscher gleichermaßen im Bett bezwang. Die Kölner Cleopatra zeigt zwei Seiten: die smarte Businessfrau im grauen Banker-Anzug und die schöne Gespielin im höfischen Kleid. Mit glitzernden Spitzentönen reiht sie Perle an Perle und entwickelt ein kostbares gesangliches Geschmeide.

Adriana Bastidas-Gamboa beweist als Cornelia auch auf dem Barock-Parkett ihre sängerische Extraklasse. Wenn sie ihren vollen Mezzosopran tief abgleiten lässt und in inniger Verbundenheit mit Anna Lucia Richter als ihrem Sohn Sesto deren ganz jungen, viel höheren Mezzzosopran umwebt – dann erlebt das Publikum den wohl bewegendsten Moment des Stücks. Himmlische Töne, die unmittelbar ins Herz gehen. Sonia Prina gelingt das Kunststück, in einem obszönen Kostüm den Hormonprotz Tolomeo in seiner geistig unterentwickelten Persönlichkeit zu porträtieren. Ihr äußerst wandlungsfähiger Mezzosopran verkörpert Tolomeos Machtstreben und seine Liebesbedürftigkeit. Dennoch bringt sein Tod fast Erleichterung: Das Ekel musste sterben. Einen kraftvollen Kontrapunkt zu der Vielzahl der hohen Stimme bringt Matthias Hoffmann mit seinem klangvollen Bariton ins Spiel. Er ist ein Macher, ein klarer Opportunist, der auch stimmlich für seine pragmatische Rolle steht.

Bei Rubén Dubrovsky liegt der Baton in den professionellen Händen eines Barock-Experten. Sein Gürzenich Orchester versinkt nicht im Graben, sondern spielt (fast) auf Augenhöhe mit den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne. Damit erzielt er eine feine Balance: Die Solistinnen und Solisten sehen und hören das Orchester, das wiederum sehr leise spielt, wenn Solo-Arien dran sind. Dadurch entsteht eine bezaubernde Tranzsparenz, der gesamte musikalische Eindruck erhält eine durchsichtige Intensität. Ein wunderbares Klangerlebnis, wie es ebenfalls das Duett der vier Hörner von rechts und links des Orchesters oder eine Arie mit zwei Theorben und Cembalo hervorrufen.

Am Ende vereint sich die höfische Gesellschaft um das Liebespaar herum. Cleopatras und Cesares Bewunderung und Liebe füreinander äußert sich in musikalischen Spalierranken des Liebsten und der Schönsten. Im Liebestaumel dann keine Worte mehr, sondern nur Silben. Ein hoch ästhetisiertes Happy End mit den monochromatisch grau-schwarzen Kostümen von Christian Lacroix im Stil der Entstehungszeit, angehalten im Tableau wie für einen Scherenschnitt – die Silhouetten ebenfalls eine Hommage an den Barock.

Die Oper Köln spielt Giulio Cesare in Egitto noch sechs Mal bis zum 31. Mai 2023. Karten und Information hier.

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