DER ZWERG – Kindergeburtstag in Köln

Partyyyy! Vor dem Auftakt Animateurinnen, die das Publikum einstimmen auf eine quietschbunte Show. Zuckerwatte statt Glühbirnen, Riesenlollis in Pastell, die Hofdamen in farblich darauf abgestimmten Outfits, allerdings in billigem Theatertaft. Schrill pinke Cupcakes servieren den Schampus auf dem Laufsteg, der hier in Köln die Welt bedeutet und mitten durchs erlauchte Publikum an den Bistrotischen führt. Eine Welt aus Botox, Hyaluron und dem Selfie-Wahn, instagrammable zu sein und zu bleiben.

So kommt die einaktige Oper Der Zwerg von Alexander von Zemlinsky aktuell auf die Bühne im Staatenhaus in Köln. Vor genau 100 Jahren feierte das Werk Premiere in der Domstadt, Otto Klemperer dirigierte. Zugrunde liegt ein Märchen von Oscar Wilde, das er 1891 veröffentlichte, Der Geburtstag der Infantin. Vordergründig spielt die Geschichte am Hof Philipps II, weltberühmt dazu das Velazquez Gemälde „Las Meninas“ von 1656. Aber der scharfzüngige Wilde, selbst immer ein Fremder in der steifen englischen Gesellschaft, wegen seiner Homosexualität verurteilt und ein Libertin und Lebemann, erzählt allegorisch vom Außenseiter, dem man die Würde, die Achtung und die Liebe nimmt, vom Künstler mit der großen Seele, der aus dem größten Schmerz der Zurückweisung heraus stirbt.

In diesem Outcast erkennt Alexander von Zemlinsky sich partiell selbst wieder. Er verliebt sich in die – für damalige Zeiten unerhört – promiske Alma Schindler, die mit Gropius, Mahler, Werfel, Kokoschka liiert war – to name but a few. Aber sie weist ihn ab, auch weil er ein unattraktiver, kleinwüchsiger Mann von 159 cm war, oft dem Spott der Zeitgenossen ausgesetzt. Der Zwerg wurde ein großer Erfolg und Zemlinskys Ruf als Vertreter der Wiener Moderne festigte sich. Nice to know: Seine Schwester Mathilde heiratete Arnold Schönberg, den er zuvor in Klavier unterrichtete.

Wilde also, Zemlinsky und eine literarische Figur, für die die feine Gesellschaft toxisch wirkt. Der Zwerg kommt als Geschenk des Sultans zum 18. Geburtstag der Infantin Clara an den spanischen Hof. Ein Fremdkörper – im wahrsten Sinne des Wortes! An diesem Menschen deutet alles auf Würde und klare Werte hin: Er ist in Schwarz und Weiß gekleidet, in einen Ausgehanzug, die Stirn ziert eine antiquierte Künstlerlocke. Er verkörpert die unverdorbene, reine Seele, die sich an der puppenhaften Schönheit der Infantin ergötzt und unmittelbar in heißer Liebe entbrennt.

Seine Arie (übrigens die einzige im ganzen Stück) „Das Lied von der blutenden Orange“ rührt an wie eine Selbstoffenbarung, gemeint ist sein erst liebendes, dann blutendes und sterbendes Herz. Burkard Fritz meistert sein Rollendebüt als Zwerg bravourös. Er bewältigt die diffizile Aufgabe, seine Tenorrolle in drei Teilen mit völlig unterschiedlichen Anforderungen zu gestalten: zunächst die lyrische Sanftheit, dann die zweifelnde Mittellage, bis die Ernüchterung und die Todesszene ihm schließlich hochdramatisches Gestalten abverlangen.

Der Zwerg leidet ganz offensichtlich an der maximalen Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Er hat sich nie im Spiegel gesehen; deshalb begreift er sich als schön außerhalb der oberflächlichen Kriterien des Kosmetikwahns der strahlend weißen Zähne und der glatten Haut. Die albernen Hofdamen klassifizieren ihn allerdings als Tier, als Ding und gar als den Satan, als die Infantin dem Zwerg eine von ihnen als Ehefrau geben will. Eine grausame Gesellschaft offenbart sich, in der Ghita, die wohlwollende Lieblingszofe der Infantin, ein mildes Mitgefühl für diesen eigenartigen Kerl entwickelt. Aber auch sie rät, dem Zwerg den Spiegel vorzuhalten, damit er in der höfischen Realität ankommt. Claudia Rohrbach verkörpert diese Empathie gesanglich und darstellerisch sehr überzeugend: wie immer eine große Freude, sie auf der Opernbühne zu erleben.

Reflexion ist das key word dieser Inszenierung. Spiegel ringsherum, Videoprojektion auf dem Vaudeville-Vorhang, Selbstbespiegelung im ständigen Blick auf die vordere Smartphone Kamera, live Video, das auf den großdimensionierten Lichterkugeln erscheint, Koketterie mit dem eigenen Bild (dem Image!). Leider endet die Selbstschau der Hofgesellschaft beim (schönen) äußeren Schein. Ihren Müll lassen die Damen liegen, die Konsequenzen ihres Tuns – in jeder Hinsicht – kümmern sie einen feuchten Kehricht. Sie tanzen weiter, bis … Bis die Infantin alt und hässlich wird und der ganze Hofstaat wie zu einer Zombie-Party auf die Bühne creept. Dona Clara versüßt sich den Abgesang auf ihren „Don Adonis“, indem sie die Eingeweide aus einem Gartenzwerg schleckt: pervers angesichts dieses menschlichenSchicksals. Ihr Gesicht ist von Blutstriemen überzogen, wie Christus unter der Dornenkrone.

Katrin Zukowski ist die Senkrechtstarterin des Internationalen Opernstudios der Oper Köln. Ihr wunderbarer, leichtfüßiger Sopran vermittelt sehr authentisch die junge, heitere Prinzessin, die gleichermaßen aus Übermut ihr Spiel mit dem Zwerg treibt. „Geschenkt und schon verdorben, das Spielzeug zum 18. Geburtstag.“ – so viel Zynismus in rosa Puffärmeln muss frau auch spielen können. Ghitas Ambivalenz in der Loyalität zu ihrer Herrin und im Mitgefühl für den Zwerg äußert sich in der Quintessenz zu diesem höfischen Skandal: „Gott hat ein armes Herz zerbrochen. Es war schön.“ Der Sarkasmus daran? Nicht Gott, sondern die Menschen sind solche Monster. „Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen“, so schon der antike Plautus.

Auf der Bühne ist mit Video- und Lightshow so viel los, dass die großartige Musik fast ins Hintertreffen gerät. Aber wirklich nur fast. Lawrence Renes führt das Gürzenich Orchester sicher durch Zemlinskys vielfältige Komposition. Klingen zu Beginn orientalische Harmonien, begleitet ein zauberhaftes Flötensolo den ersten Auftritt des Zwergs und spielen spanische Rhythmen zum Tanz auf – die Tonsprache zeigt sich sehr typisch für die ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Ein Multi-Kulti der musikalischen Einflüsse und im Hintergrund kündigt sich die Musik für das gerade erwachende Genre des Films an. Ein Wiederhören lohnt sich auf jeden Fall!

 Paul-Georg Dittrich zeichnet für die Regie verantwortlich. Sein Raumkonzept nutzt die üppigen Dimensionen des Staatenhauses und schafft tolle multiperspektivische Ansichten. Allerdings überlagert die fantasiereiche Märchenwelt den grandiosen, psychologisch akribisch aufgebauten Stoff des Librettos und der Geschichte von Oscar Wilde. Die Inszenierung wirkt zu dick aufgetragen, um die Oberflächlichkeit der Selbstdarstellung allenthalben zu entlarven, zu monothematisch, wenn sie nur die Girlie-Welt heranzieht angesichts der großen Lebensfragen von Würde und Anstand, Liebe, Schmerz und Tod. Den Solistinnen und dem Solisten spendete das Publikum kräftigen Beifall, ebenso den Damen des Opernchors und den Statistinnen. Für die Inszenierung gab es Buh-Rufe aus dem Publikum: Offensichtlich hätte nicht nur ich eine weniger plakative, subtilere Gestaltung geschätzt.

Die Oper Köln spielt Der Zwerg noch sechs Mal bis zum 10.Dezember 2022. Im zweiten Teil tanzt das Ballet of Difference am Schauspiel Köln das Stück Petruschka nach Igor Strawinsky. Infos und Karten hier.

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