Thilo Beu – Fotograf aus Leidenschaft

Urkundlich erwähnt wurde die Familie Beu bereits im 30-jährigen Krieg. Sie lebte in Königswinter und verlagerte so langsam ihren Lebensmittelpunkt genau 10 Kilometer rheinabwärts ins heutige Beuel. Dem Dorf auf der rechten Rheinseite verlieh die Familie seinen Namen – und noch heute tummeln sich dort viele Nachfahren mit dem Namen Beu. Mit einem Augenzwinkern beantwortet Thilo Beu meine erste Frage nach seiner Herkunft und schon ist klar: Das wird ein anregender Nachmittag. Denn ich höre gern gute Geschichten und bin davon überzeugt, dass sich die folgenden als deutlich wahrer entpuppen als diese kleine genealogische Flunkerei.

Tatsächlich kam Thilo Beu in Minden in Westfalen zur Welt, aber seine Eltern entschieden sich rasch für einen radikalen Ortswechsel nach Staufen in der Nähe von Freiburg im Breisgau. Den goldigen badischen Schwarzwalddialekt packt Thilo ganz authentisch aus, wenn er ein Pförtner-Faktotum am Freiburger Theater imitiert. Angeblich holte der Teufel in Staufen den historischen Dr. Faust, nach dem dann das dortige Gymnasium benannt wurde und wo Thilo Beu in der Faust-Jugendkapelle Oboe spielte. Nach dem Abitur war ihm allerdings die Puppenstuben-Schönheit und all‘ das Mustergültige seiner Heimatstadt zu eng. In der Schule eher so ein „Durchkommer“, wohl mit Interesse an Kunst und Musik, ließ er die Frage nach Ausbildung, Studium, Beruf noch im nebulös Ungewissen. Als Pfadfinder, nachts im Schlafsack unter freiem Himmel, spann er allerdings mit seinen Kumpels große Ideen von einem anderen Leben jenseits der spießigen Bürgerlichkeit.

Dieses Leben sollte natürlich in einem proletarischen Umfeld stattfinden: Schließlich galt es, die Welt neu aufzustellen. Im Zivildienst machte der dann die Bekanntschaft mit einer sehr ernüchternden, weit verbreiteten Haltung. Die ihm vorgesetzte Sozialarbeiterin kam in der Behinderten Werkstatt der Caritas am Montagmorgen zur Arbeit und zählte fortan die Stunden bis zum Freitag und zum Wochenende. In so einem Beruf mit strikter Trennung von work & life sah er sich überhaupt nicht und gab den Gedanken an ein solches Studium gleich wieder auf. Aber wie so oft im Leben klärt sich durch das, was man partout nicht will, ein richtiges Ziel mit einem gangbaren Weg. Seine aufgeklärten, sehr liberalen Eltern ließen ihm alle Freiheiten. Denn für uns Kinder der 50-er Jahre ging es ja sowieso immer nur nach vorn und nach oben.

Thilo Beu brennt für seinen Beruf – auch heute noch nach vielen Berufsjahren. Wie kam er schließlich zum Studium Foto-Design und wie dann nach Bonn als Theaterfotograf? Schon als Schüler in einen kreativen Dialog mit den Dingen, ließ er sich ein auf das Gegenüber oder die Sache, setzte sich aktiv mit dem Gegebenen auseinander. Er nahm die Kamera in die Hand, bastelte, zeichnete. Seine Talente lagen eindeutig im künstlerischen Bereich. Aber als Künstler sah und sieht er sich nicht; die Entscheidung für die Fotografie war pragmatisch: Als Fotograf kann man seinen Lebensunterhalt bestreiten.

An der Fachhochschule Dortmund nahm er sein Studium auf und lebte mit neun anderen jungen Männern in einer WG, natürlich im Norden der Ruhrmetropole, Bahndamm Schattenseite. „Wir waren echte Kinder unserer Zeit“, sagt Thilo, „hatten als nach-68er ein neues Weltbild und genossen die Freiheit, uns einfach auszuprobieren.“ Er muss heute noch lachen, wenn er erzählt, wie dreist sie sich Zugang zu Theaterfestivals verschafften, wie sie dann mit den top Fotos beim nächsten Intendanten Wohlwollen und Fototermine für Produktionen aushandelten. „Wir hatten ja keine Ahnung, saßen vor der Bühne auf dem Fußboden oder bewegten uns bei den Proben zwischen den Darstellern. Dabei mussten wir nur aufpassen, dass wir nicht zu arg im Weg standen.“

Das wäre heute natürlich undenkbar. Alle, die Oper oder Theater in Bonn besuchen, alle, die den General-Anzeiger lesen oder dem Theater Bonn auf social media folgen, kennen Thilo Beus Fotos. Aber die wenigsten kennen den Mann am Auslöser. Seine Arbeit mit einer neuen Produktion beginnt mit der Konzeptionsprobe. Dort werden der Inhalt des jeweiligen Stücks, die Grundidee, das Bühnenbild und die Kostüme vorgestellt. Ihm ist wichtig, schon zu diesem frühen Zeitpunkt mit dabei zu sein, zur Produktion dazuzugehören. Schließlich kommt er quasi von außen und ist der erste „Zuschauer“, der zudem das Geschehen mit der Kamera festhält. Da sind manche Regisseure sehr empfindlich und möchten ihn schon mal aus den Proben verbannen. „Sie zeigen auf den Fotos, was noch nicht fertig ist“, beschweren sich einige. Work in progress zu begleiten halten sie für keine gute Idee. Dabei macht sich Thilo im Parkett und auf den Rängen nahezu unsichtbar.

Heutzutage benutzt man keinen Blitz, sondern extrem lichtstarke Objektive, die auch bei schwachen Lichtverhältnissen gute Bilder produzieren. Die Mechanik der Kamera ist so leise, dass die Menschen in der Probe es nicht mitbekommen. Thilo Beu arbeitet mit Nikon. Nicht, weil sie besondere Vorzüge anderen Firmen gegenüber aufweist, sondern weil er sich die Handhabung professionell angeeignet hat. Er hat immer zwei Gehäuse in Gebrauch, jeweils ausgestattet mit Zoom-Objektiven, eins als Tele- und eins als Weitwinkel-Objektiv. „Damit komme ich gut klar. Die Ausrüstung betrachte ich als Werkzeuge wie ein Auto für einen Taxifahrer. Ich bin kein Technik-Freak, sondern arbeite nach dem Motto: Nicht die Kamera macht die guten Bilder, sondern der Fotograf.“ Und schmunzelnd fügt er hinzu: „Und wenn man’s draufhat, kriegt man auch mit so einem kleinen Spielzeug wie deinem (übrigens auch eine Nikon) richtig gute Bilder hin.“

Wenn man ihn bei der Arbeit beobachtet, fällt seine Suche nach dem richtigen, dem besten Blickwinkel auf. „Ich liebe situative Fotografie“, erläutert er, „wo die Akteure, der Raum, das Licht, die Perspektive, der Ausschnitt, wo einfach alles zusammenläuft. Dagegen heißt, eine Bühnentotale zu fotografieren, auf Nummer sicher gehen. Aber ein Spiel mit Licht und Schatten, bei dem Tiefe entsteht, bei dem der perfekte Augenblick, der auch das Publikum bewegt, eingefangen ist – das ist meine persönliche Herausforderung.“ Thilo Beu hat das „Perspektive finden“ richtig geübt. In den ersten Berufsjahren in Bonn, als er ausschließlich am Schauspiel fotografierte, hat er stets die Dramen gelesen und sich – wie für seinerzeit Das Käthchen von Heilbronn – einen exakten Leitfaden erarbeitet. 1. Akt, 1. Szene … dunkles unterirdisches Gewölbe, zwei Darsteller … Das geht er heute anders an. Er verlässt sich auf seine Erfahrung und vertraut auf den Adrenalin-Kick. Immer alert bleiben und nur nicht träge oder nachlässig werden, wenn es schon für die Probenfotos großes Lob gibt!

Wie hält er sich denn fit für diesen auch körperlichen Einsatz? Immerhin schleppt er ständig ein Equipment von 8 kg mit sich, knapp die Hälfte von dem, was die Ausrüstung früher auf die Waage brachte. Er geht regelmäßig ins Fitnessstudio, fährt vom Hochkreuz mit dem Rad ins Opernhaus und die anderen Spielstätten, in denen sein Einsatz gefragt ist. Zusätzlich unternimmt er im Sommer immer eine einwöchige Fahrradtour und geht im Winter eine Woche Schifahren. Und sonst? Keinen längeren Urlaub? Doch, auch gerne schöne Reisen. „Aber ich liebe meine Arbeit, finde dabei große Erfüllung und muss deshalb im Urlaub keine Langeweile oder Leere kompensieren.“

Bei so viel Begeisterung für den Beruf – gibt es da auch Schattenseiten? Selbstverständlich entwickeln sich Konflikte, wenn viele unterschiedliche Interessen konkurrieren oder kollidieren. „Konflikte und Auseinandersetzungen gehören zu unseren Arbeitsprozessen dazu. Aus Reibung entsteht Neues und oft Gutes. Aber wenn Frustrationen zu Unlust werden und daraus Destruktives Raum greift, dann behindert das alle in ihrer Lust am Gestalten. Und das trübt die Freude am kreativen Prozess.“

Nächstes Jahr geht Thilo Beu in Rente. Und dann? Erst nochmal ein Blick zurück. Als er im Begriff war, sich zum ersten Mal an einem Haus fest niederzulassen, wollte er mit dem Intendanten eine besondere Abmachung treffen: Keinen festen Angestelltenvertrag, sondern eine Überschussbeteiligung. „Ich war davon überzeugt, dass durch meine Fotos in der U-Bahn, auf Plakaten, in der Presse die Besucherzahlen rasant nach oben gehen würden. Von den Mehreinnahmen verlangte ich – naiv wie ich als Anfänger so war – eine prozentuale Beteiligung.“ Das wurde in den starren Regeln des Öffentlichen Dienstes natürlich abgewiegelt. Aber es zeigt mehr als deutlich, was den Theaterfotografen immer angetrieben hat: mit seiner Begeisterung für die Bühnenkunst möglichst viele Menschen anzustecken. „Ich habe mich immer als Dienstleister für dieses fantastische Zusammenspiel verschiedenster Berufe der Bühnenkunst gesehen. In der großartigen Einrichtung des Theaters als Mikrokosmos wollte ich immer ein Teil des Ganzen sein, einfach dazugehören“, bilanziert er seinen Berufsweg. Seine Philosophie dabei? Die Sachen so zu machen, dass er selber zufrieden oder sogar glücklich damit ist und dabei eine Eigenverantwortung auszuüben unter dem Schutz und mit dem Vorteil des festen Engagements.

Wird er dann ab nächstem Herbst Rosen züchten in seinem schönen Garten? Wohl kaum. Er liebt den Garten als erholsamen Rückzugsort, aber schneidet und mäht und pflanzt nur, was erforderlich ist. Tatsächlich wird er sich mehr seinen hands-on, haptischen Talenten widmen. „Ich bin eben auch so ein Handwerker. Ich habe früher an Autos geschraubt, als man da noch selber etwas reparieren konnte.“ Und da wartet dann auf ihn, was wegen der Aussicht auf brotlose Kunst zu kurz gekommen ist in seinem Leben: Objekte als Kunsthandwerk zu gestalten. Seine Bilder haben zahlreiche Ausstellungen bereichert; vielleicht sehen wir Thilo Beu dann in zwei, drei Jahren als Künstler, der weiter seine fotografischen Projekte oder eben seine frei geschaffenen Gebilde der Öffentlichkeit präsentiert.

5 comments

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  1. Nemorino

    Theaterfotograf ist schon ein faszinierender Beruf. In den Jahren, als ich die VHS-Opern-Gespräche in Frankfurt leitete, hatte ich zweimal Wolfgang Runkel als Gesprächspartner (2007 und 2012) und einmal Barbara Aumüller (2016). Es waren spannende Abende.

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