Béatrice et Bénédict – Bachelorette and Bachelor im Schlagabtausch

Freiheit und freche Fröhlichkeit gegen Bügelbrett und Babywäsche eintauschen? Das kommt für die blitzgescheite Béatrice nicht infrage! Bis … bis sie und ihr Pendant, der fesche, aber unbeirrbar ehefeindliche Offizier Bénédict, einer possierlichen Intrige zum Opfer fallen, die sie in die Ehe zwingt. Dann unterwirft sich die eine seufzend ihrem Frauenschicksal mit Kinderwagen und Küchenmixer und der andere setzt schon mal vorsorglich die Hörner des betrogenen Ehemanns auf. Shakespeare light! Hector Berlioz extrahierte aus Shakespeares heiterster Komödie Much Ado About Nothing 260 Jahre nach deren Entstehung ein Sujet, das über die Jahrhunderte hinweg bis heute an Aktualität nichts eingebüßt hat: Geschlechterkampf und Gleichberechtigung.

Die Stimmung in Messina, der nördlichsten Stadt Siziliens, überschlägt sich nahezu im Siegestaumel; der Angriff aus Nordafrika wurde abgewehrt, die siegreichen Soldaten kehren zurück. Claudio, der Adjutant des Generals, soll noch am selben Tag Héro, die schöne Tochter des Gouverneurs, heiraten. Und weil deren Glück so überbordend daherkommt, sollen auch Béatrice und Bénédict mit Sticheleien und Halbwahrheiten dazu gebracht werden, ihren Ehevertrag zu unterzeichnen. Der Plan gelingt. C’est tout. Mehr passiert nicht. Herrlich, Einheit von Ort, Zeit und Handlung, zwei Stunden lang steuert die Handlung eindeutig auf ein gutes Ende hin.

Paul Appleby und Isabelle Druet als Bénédict und Béatrice,
© Hans-Jorg Michel

And they will live happily ever after? Natürlich nicht ganz! Das Eheversprechen lautet „Oui, pour aujourd’hui la trêve est signée; nous redeviendrons ennemis demain!“ Im großen Tutti endet die Oper danach mit „Demain, demain!“ (Für heute, also den Festtag, herrscht Waffenstillstand, aber morgen sehen wir uns als Feinde wieder. – Morgen, morgen!). In Zukunft werden die beiden wieder die Klingen kreuzen und ihre rhetorischen Kräfte messen. Die Ehe ein unendlicher, jahrelanger Kriegszustand? So bei Berlioz, der selbst das Libretto schrieb und ganze Dialoge eins zu eins übernahm. Bei Shakespeare verschließt Bénédict seiner (geliebten) Kontrahentin einfach mit einem Kuss den Mund.

Ganz anders bei der Kölner Erstaufführung von Berlioz‘ letzter Oper, die 1862 in Baden-Baden uraufgeführt wurde. Da schnappt sich die Titelheldin beherzt ihren widerspenstigen Kerl und küsst ihn leidenschaftlich. Bitte sehr, so geht’s! Kein Wunder, denn Jean Renshaw zeichnet für die Regie verantwortlich. Ihre Inszenierung der kleinen Opera buffa Gli uccellatori (Gassmann und Goldoni) entzückte vor genau vier Jahren das Kölner Publikum. In ihren Regiearbeiten springen ihre Ursprungsberufe ins Auge: Tänzerin und Choreografin.

Die Handlung verlegt sie in die 50-er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die Sängerinnen und Sänger agieren auf einer um 90 Grad flachgelegten Fassade eines Hauses in Süditalien. Die Rückwand allerdings bildet ein dreibögiger Renaissance-Balkon, auf dem Leonato (Sébastien Dutrieux) wie ein x-beliebiger Rentner am Abend die Blumen in den Balkonkästen gießt. Ein unfreiwillig komischer Spießer in Nadelstreifen, dem man die reizende Tochter Héro und die emanzipierte Nichte Béatrice kaum zutraut. Klar ist: Die jungen Frauen kommen aus gutem, wohlhabenden Haus. Neben dem Palazzo die geöffneten Fenster eines sizilianischen Mietshauses. Da wird geraucht, gestritten, Geige geübt, ein besoffener Ehemann gescholten. Das richtige Leben halt.

Eine dieser Hausfrauen in Kittelschürze und Kopftuch hängt unentwegt im Hintergrund Wäsche auf eine Leine. Ein Perpetuum mobile der weiblichen Unterwerfung und der deutliche Bruch mit der aristokratischen Gesellschaft im Vordergrund: Um die persönliche Freiheit muss man erstmal streiten können! Doch die Verhältnisse, die sind nicht so, frei nach Bertolt Brecht.

Das Volk, die bürgerliche Gesellschaft, putzt sich zum Festtag fein raus und begleitet als Chor das Geschehen: mit Jubel und Staunen, einem sizilianischen Volkslied als Couleur locale, musikalisch unterstützt mit unsichtbarer Banda neben der Szene. Eine großartige Choreografie führt den Chor auf und ab, spiegelt in jeder Bewegung das Geschehen. Darüber hinaus spielt der Chor auch den Amateurchor, der den Jubelkanon für die Hochzeit von Claudio und Héro einstudiert. Eine Kakophonie, die erst das beherzte Eingreifen einer Choristin, die kurzerhand den Baton übernimmt, in einen fantastischen Kanon mündet. Sehr, sehr hübsch, diese Einfälle und ausgezeichnet besetzt mit Ivan Thirion, der den Kapellmeister Somarone als Karikatur eines Maestro del Coro gibt. Der wiederum heißt an der Oper Köln Rustam Samedov und hat seine Chordamen und -herren wie immer vorzüglich vorbereitet.

Jenny Daviet und Miljenko Turk als Héro und Claudio
© Hans-Jorg Michel

Jean Renshaws kongenialer Partner ist Cristof Cremer, verantwortlich für Bühne und Kostüme. Wer Ku’damm 56 schon wegen der Kleider, der Hüte, der Frisuren mochte, wer The Marvelous Mrs. Maisel schätzt, der seufzt tief angesichts dieser Nostalgie. Die 50-er Jahre, als in Deutschland gesunde, kräftige Männer Mangelware waren und in den USA das TV täglich in großen Dosen das Vorstadt-Idyll der gepflegten Hausfrau propagierte, zelebriert die Mode einen neuen Glamour. Alle Frauen tragen Röcke und Kleider, die Männer Anzug oder Uniform. Die Schuhe flach, das toupierte Haar hoch. Und wie in einer Zeitreise herrschen im aristokratischen Milieu schmale Taillen, Petticoats und Taft vor. Nur eine schert aus. Béatrice trägt eine Culotte, einen Hosenrock, in dem man beherzt ausschreiten und zur Not über Mauern klettern kann. Sie nimmt – wie die Choristin den Baton und die Nachkriegsfrauen allgemein – ihr Leben selbst in die Hand. Solche Frauen brauchen keinen Mann!

Zahllose kleine, zeitgemäß authentische Details machen diese Inszenierung zu einer Augenweide, bis hin zu den farbigen Lampions auf der abendlichen Piazza. Ein Fest für die Ohren beschert Hector Berlioz‘ Musik. Fulminant und farbig, von zärtlichem Streichersäuseln bis zu markanten Flöten-Soli, eine Ouvertüre, die die ganze emotionale Bandbreite abbildet und ein entr’acte, das zur Konzentration und Ruhe zurückführt. Die Ironie der Wortgefechte und das Duett „Ach, wie werden wir lachen“ von Héro und ihrer Hofdame Ursule begleitet Berlioz mit Trauermusik. So witzig wird es dann wohl nicht wirklich werden. Gegensätze und Umbrüche hier als Gestaltungsmuster. Unvorhergesehen wandelt sich die Musik vom leidenschaftlichen Ausbruch zu feinsten Nuancen. François-Xavier Roth fühlt sich offenbar seinem Landsmann Berlioz sehr verbunden, seinen Musikerinnen und Musikern des Gürzenich Orchesters sowieso. Ganz glücklich über die äußerst gelungene Premiere applaudiert er am Ende allen im Orchester.

Kölns Ensemblemitglied Miljenko Turk als Héros Verlobter Claudio fiel krankheitsbedingt aus. In einer wahnwitzigen Aktion besetzte Birgit Meyer die Rolle mit drei Ersatz“spielern“. Der Musik-Assistent Joël Soichez sprach als Muttersprachler die Dialogteile, der Bariton Thomas Dollié sang die Baritonpartie vom Bühnenrand und die Regie-Assistentin Charlotte Wulff sprang kurzerhand in Claudios Kostüm und mimte den Part auf der Bühne. Chapeau für die diese improvisierte, aber schließlich geglückte Performance! Die männliche Titelrolle, den spröden Bénédict, sang und spielte Paul Appleby. Für einen misogynen Junggesellen war er zu zahm, nicht bissig genug, bereits im zweiten Akt vollzieht er in seiner großen Tenorarie einen Sinneswandel. Er wirkte ein wenig blass in dieser von Frauen-Power beherrschten Bühne und könnte auch stimmlich noch mehr seinen Mann stehen.

Die Frauen haben das Sagen! Auch im Gesang. Da gestaltet die Sopranistin Jenny Daviet in ihrem Rollendebüt als Héro in ihrer Auftrittsarie fulminante, reich verzierte Koloraturen, an der Grenze des Machbaren. Ihre Cousine Béatrice, fabelhaft gesungen und gespielt von Isabelle Druet, setzt diesem glitzernd geschmückten Gesang burschikose, aber gerade in der Bruststimme fein nuancierte Mezzo-Parts entgegen. Auch sie bot ein mit viel Applaus bedachtes Rollendebüt dar. Die dritte im Bunde der Girls‘ gang war Lotte Verstaen, noch im Opernstudio, aber schon als Ursule auf der großen Bühne. Das Terzett der Frauenstimmen im zweiten Akt auf eine wundervolle Weise so brillant gestaltet, dass man unweigerlich an den Rosenkavalier dachte. Alors – Béatrice et Bénédict an der Oper Köln ein wunderbar heiteres, schönes, großartig gesungenes, gespieltes und präsentiertes Stück, einfach stimmig!

Die Oper Köln spielt Béatrice et Bénédict noch fünfmal bis zum 15. Mai 2022. Infos und Tickets hier.

1 comment

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  1. arcimboldis_world

    Huh. Ich habe das Stück vor Jahren gesehen. Eine der langweiligsten Opern ever ever and ever. Manche Stücke sind zu Recht in der Versenkung verschwunden. Da bringt eine interessante Inszenierung auch nicht viel … herzlichst A

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