UPLOAD – für das ewige Leben?

Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben erfüllt in der westlichen Welt das Heilsversprechen der christlichen Lehre. Der einzige Nachteil dabei: Zuerst muss der Mensch sterben. Und mit ihm alles, was seine biologische Materie ausmacht. Nicht aber sein Geist, wenn er denn mit modernster Technologie aufgezeichnet und auf weltweit verstreuten Servern digitalisiert und in blockchains gespeichert wird. Avatar, Matrix und das gute alte Frankenstein-Monster schwingen mit, wenn es darum geht, den Geist oder die Identität einer autonomen Person zu transferieren. Zu diesem hochkomplexen, multiperspektivischen Thema hat Michael van der Aa hat ein faszinierendes Bühnenstück geschaffen, das jetzt endlich seine deutsche Erstaufführung in der Oper Köln erfuhr.

Brisante Themen finden in der Oper oft ihren historischen Platz in der Vergangenheit, Hunderte oder Tausende Jahre zurückliegend. Upload wirft einen Blick in die Zukunft. Alles Analoge wird mittlerweile gescannt – nun steht die „lebensechte“ Aufzeichnung aller menschlichen körperlichen Funktionen und geistigen Kapazitäten an. Bewegungsmuster und Phoneme werden im Labor in unendlich vielen Bits & Bytes registriert. Der Status quo an Gesundheit und Aussehen bleibt erhalten, die Unsterblichkeit im digitalen Kosmos garantiert. Die Eutopie einer schönen neuen Welt, die Utopie des noch nicht wirklich Möglichen oder die Dystopie einer Welt, die im Untergang begriffen ist?

Im Mittelpunkt steht die intensive, gefühlsgeladene Auseinandersetzung einer jungen Frau mit ihrem Vater, der das Upload erfolgreich absolviert hat. Zunächst aber begibt sich der Vater mit einer Gruppe Upload-Williger in ein nobles Anwesen, das auch ein Spa oder eine Entzugsklinik beherbergen könnte. Uploading ist nichts für arme Leute, wie wir an den Einzelnen sehen, sodass ein Mann sogar mit einem Stipendium teilnimmt, weil er sich das Upload selbst nicht leisten könnte. Als Manager fungiert ein rhetorisch brillanter junger Mann, der von den Vorzügen des Upload schwärmt. Und so nebenbei auch „die volle Verantwortung übernimmt“, solange die Politik es nicht tut. Daneben die Psychiaterin und die Ingenieurin, die die einzelnen Schritte begleiten, einfühlsam und in beruhigender Stimmlage, aber immer sachlich.

Das Labor selbst ein Trainingsraum für angehende Astronauten, staubfrei, steril, akustisch clean und ready for launch. Abertausende blaue Schaumstoffspitzen geben dem Ort des Übergangs gleichzeitig eine Aura von klarer Schönheit und kalter Schärfe. Aber Blau steht auch für Ruhe und Gelassenheit, Seelenzustände, die zum Transfer elementar wichtig sind. In Blau gekleidet sind auch die Verantwortlichen des Upload, casual but stylish, in Knallrot dagegen die Tochter und in Sonnenblumengelb der Vater. Die Primärfarben, aus denen alle anderen gemischt werden können als Sinnbild für die Grundfragen des Lebens.

Julia Bullock und Roderick Williams, © Bernd Uhlig

Für den Vater gelingt das Upload, obwohl im Prozess verzerrte Pixel Schlimmes befürchten lassen. Was passiert, wenn die Digitalisierung nicht glückt? Werden defekte Exemplare auf den Digi-Müll geworfen? Nach anfänglicher Euphorie wird ihm klar, wie essenziell ihm hope and dreams fehlen. Auch der emotionale Anker, den er beim Upload-Prozess zu seiner mentalen Sicherheit fokussierte, versagt. Er sah sich als kleinen Jungen, der auf einer heißen Mauer eine Eidechse fangen wollte – vergeblich natürlich. Das Flüchtige kann man nicht fassen. Er bittet seine Tochter, sein digitales Konto zu löschen. Dabei stellt er die Frage der Verantwortlichkeit der Generationen auf den Kopf: Das Kind soll über Leben und Tod des (digitalen) Vaters entscheiden.

Gut 80 Minuten dauert das spektakuläre Szenario, das Michael van der Aa mit nie dagewesenem technischen Aufwand gestaltet. Er kreiert die Illusion von echter, leibhaftiger Kommunikation zwischen Vater und Tochter. Dazu setzt er über 30 Beamer ein, die Filmelemente auf parallaktisch verschobene Flächen projizieren. Die Zuschauer durchschreiten optisch Räume mit verblüffender Tiefe, gehen mit auf betörende Kamerafahrten durch Landschaften und urbane Hochhausarchitektur, erleben Echtheitseffekte mit quasi Tiefseeaufnahmen in der digitalen Technik der 3d-Fraktale.

Die visuellen Eindrücke dieser Filmoper nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise in die digitalen Möglichkeiten der bildenden Kunst, meilenweit hinausgehend über das momentan übliche Abspielen von Videoclips in Bühnenproduktionen: Das Visuelle ist definierendes Gestaltungselement, sein Schöpfer ein Visionär und Erfinder des doubleA Players, der das Bespielen der verschiedenen Flächen erst ermöglicht.

Das Multitalent Michael van der Aa komponierte ebenfalls die Musik. Für Barbara Hannigan und Sol Gabetta hat er bereits Stücke geschrieben. In Upload verwebt er tonale Elemente für Streicher, Bläser und Percussion – insgesamt nur 11 Instrumentalisten des Kölner Ensembles Musikfabrik, dirigiert von Otto Tausk – mit elektronischem Soundtrack, Sphärenmusik vom Band und Piepsen und Kratzen wie vom falschen Sender im Radio oder einer Nachricht von R2D2 in Star Wars.

Dazu die zwei Solopartien von Vater und Tochter. Zwei wunderbare Stimmen treffen hier aufeinander. Julia Bullock verleiht mit ihrem Sopran allen Gefühlen Ausdruck, die mit dem Verlust des Vaters einhergehen: Wut, Trauer, Verzweiflung, Zweifel, Trauer und Liebe. Sie tritt in heftigen Austausch mit ihrem Partner, der physisch einige Meter entfernt von ihr vor der Kamera steht. Ein Monolog im Dialog, sehr ausdrucksstark sängerisch und schauspielerisch gestaltet.

Den Vater gibt Roderick Williams. Schwer vorstellbar, dass man einen besseren Bariton für diese Rolle finden könnte. Ein fabelhafter Sänger, dessen Stimme, sein warmes Timbre, die sensible Stimmführung, auch in den Sprechteilen, das Innenleben der Figur perfekt vermitteln. Seine Bühnenfigur wirkt ausschließlich über die Stimme, kaum über Handlung. Williams komponiert selber und verfügt über das ganze stimmliche Repertoire, auch ohne Melodie eine fantastische performance zu meistern.

Beide Solisten sind native speaker, Roderick Williams aus London und Julia Bullock aus St. Louis. Das garantiert ein hohes Maß an Authentizität und Textverständlichkeit, besonders auch für die vorherigen Aufführungen in Amsterdam, New York und bei den Bregenzer Festspielen garantierte.

Was beeindruckt an diesem Crossover zwischen Film, Musik, Gesang am meisten? Die geniale Technik? Der Plot? Der Gesang, die Musik? Alles zusammen und darüber hinaus viel mehr. Michael van der Aa wirft hier Fragen von zutiefst menschlicher Bedeutung auf. Und er gibt keine Antworten. Am Ende klärt er nicht, ob die Tochter dem Vater den Schalter umlegt, wie mit selbstbestimmtem Freitod und Sterbehilfe umzugehen ist. Die Figuren der Einspielerfilme aus dem Labor hält er im emotionalen Niemandsland, nimmt keine tendenziösen Zuschreibungen vor. Frei nach Brecht: Der Vorhang zu und alle Fragen offen? Now the ball is in our court!

Die Filmoper ist zirkulär angelegt. Am Anfang wie am Ende flüstern sich Vater und Tochter körperliche Empfindungen zu: kitzeln am Fuß, den Arm heben, Vögeln lauschen. Die Menschheit beschäftigen seit jeher die selben Fragen. Diesen ewigen Kreislauf veranschaulicht er – wie in einer konventionellen Oper -in der Musik: Das Cello begleitet den Vater in seinem Schmerz und seiner Trauer, die Orgel spielt nahezu österlich auf, wenn es um „Auferstehung“ und Transzendenz geht. Wohin geht die Seele? Gibt es Trost? Gibt es Gott im digitalen Kosmos?

Die Oper Köln spielt Upload noch dreimal, nur in dieser Woche, bis zum Freitag, den 22. April 2022. Infos und Tickets hier.

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