Ein Feldlager in Schlesien – Die Matinee

Preußens Glanz und Gloria und die Ikone Friedrich der Große im Mittelpunkt einer Oper mit dem befremdlichen Titel Ein Feldlager in Schlesien. Warum nimmt die Oper Bonn dieses Stück, das seit 130 Jahren auf eine erneute szenische Aufführung hier am Rhein wartet, ins Programm? Von ihrer Uraufführung 1844 in Berlin war sie als Nationaloper für ein halbes Jahrhundert die künstlerische Richtschnur für das Selbstverständnis des mächtigen Preußen. Wie erwächst daraus eine aktuelle, zeitgemäße Opernproduktion?

Für Bernhard Helmich, den Generalintendanten, lag der Reiz im Spektakulären, völlig Neuen. Dirk Kaftan, der Bonner GMD, befindet sich mit den Vorbereitungen und Proben in einer Art Selbstexperiment. Denn für ihn wie für den Regisseur Jakob Peters-Messer gilt unisono: Dieses Stück ist nur spielbar, wenn man weit abrückt vom „musikalischen Monument des preußischen Militarismus“ und dazu „eine Haltung findet.“

Außer den Verantwortlichen für die Aufführung des Stücks begrüßte Richard Lorber, Musikredakteur beim WDR, die Mitverfasserin der Meyerbeer-Biographie Sabine Henze-Döhring und den Herausgeber Volker Tosta als Gäste auf dem Podium. Letzterer berichtete von einer „sehr übersichtlichen“ Quellenlage. Meyerbeer habe die Oper bewusst nicht herausgegeben, ein Autograph suche man vergeblich, es sei wohl in den Wirren des zweiten Weltkriegs verschwunden. Die einzig erhaltene Version enthielt keine Orchesterstimmen, es existierte kein Klavierauszug. Also wühlte er sich durch viele tausend Seiten voller Striche, Überklebungen, Anmerkungen und verglich sie mit der in Wien populären Variante mit dem Titel L’étoile du nord. Alles Preußische war hier gestrichen – kein Wunder!

Als besondere Herausforderung empfindet Peters-Messer die eigenartige Form der Oper; sie baut sich auf aus Elementen der Grand opéra und des Singspiels, in den einzelnen Akten eine klassische Verwechslungskomödie, dann der militärische Zwischenteil, der weitgehend auf Handlung verzichtet, dafür aber in eine große Schlussszene mündet und mit einem quasi Intermezzo Rokoko im Audienzzimmer im Schloss Sans Souci ausklingt.

Sabine Henze-Döhring, emeritierte Professorin für Musikwissenschaft der Universität Marburg, sprudelte förmlich vor anschaulichen Details aus der Entstehungsgeschichte von Ein Feldlager in Schlesien. Der gewiefte Alexander von Humboldt holte im Rahmen seiner eigenen Agenda den international renommierten, ursprünglich aber Berliner Komponisten Giacomo Meyerbeer in die preußische Hauptstadt. Bereits in den Jahren vor dem 100-jährigen Thronjubiläum von Friedrich dem Großen herrschte in Preußen ein Fritz-Fieber. Was genau feierte man an diesem absoluten Herrscher? Er war ein tapferer Soldat – davon handelt der 2. Akt. Und er war ein Mensch, ein begabter Künstler, der gütig auf seine Untertanen blickte und die Armen schützte. So das verbreitete Image, an dem der Preußenkönig selbst eifrig feilte.

Auf diesen Hype sprang Humboldt auf und zog geschickt die Fäden für einen riesigen Erfolg, den er auf seinem Konto verbuchte. Er holte Meyerbeer mit ins Boot und verließ sich drauf, dass Eugène Scribe das Libretto verfassen würde. Die deutschen Librettisten waren alle „Dilettanten“. So wurde die Autorenschaft notdürftig umetikettiert und Ludwig Rellstab als Autor genannt. Humboldts Strategie ging auf: Nachdem Napoleon vom Feld gefegt war, sollte das „Goldene Zeitalter“ anbrechen. Dazu brauchte man zwei Zutaten wie für ein publikumstaugliches Musical: einen Gassenhauer als Wiedererkennungsmelodie und einen Superstar für die garantierte Virtuosität. Der Dessauer Marsch und die „schwedische Nachtigall“ Jenny Lind erfüllten diese Kriterien. Cleveres Marketing!

Verwirrend viele musikalische Einfälle habe Meyerbeer hier auf der Höhe seines Schaffens komponiert, rhythmisch abwechslungsreich und betäubend in der Vielfalt. Dirk Kaftan fügt hinzu: „Das ist fast wie Simultanmusik von Bernd Alois Zimmermann. Wir haben drei Bühnenorchester, eins davon ironischerweise das Heeresmusik-Corps.“ Kritische Distanz bei ihm zu unreflektierter Darstellung von allem Militärischen genauso deutlich wie die von Regisseur Peters-Messer. Der baut auf den historischen Abstand, plant aber keine Dekonstruktion im Sinne des Regie-Theaters, keine Nazi-Uniformen. Stattdessen eine Okkupation des Zuschauerraums. „Wir bauen im Parkett eine Bühne, spielen auch auf den Rängen.“ Er wünscht sich ein sound-total Theater, wo die zahlreichen Dialoge des Stücks von einem Chronisten als Kriegsberichterstatter gesprochen werden. Diese (epische) Kunstfigur erlaubt den Blick von außen auf das Geschehen und lässt am Ende auch Friedrich den Großen leibhaftig auftreten.

Jussi Myllys, Tenor

Ein König durfte nach preußischem Gesetz natürlich nicht im Theater auftreten, aber er war trotzdem dauerpräsent. Ikonenbildung durch Musik. Dramaturgisch einzigartig erfüllt die Flöte diese Funktion. An ihr müssen sich die anderen Figuren orientieren. Eine Kostprobe dazu gab es von Jussi Myllys, dem finnischen Tenor, den das Bonner Publikum zum ersten Mal hörte. Er gibt den trotteligen, ängstlichen Conrad, der als Double maßgeblich an der Rettung des Königs aus seiner Bredouille beteiligt ist. Er verkörpert den Anti-Militär, der zusammen mit der Sinti-und-Roma Vielka das Leben des Alten Fritz sichert. Was für eine Ironie: Deppen und fahrendes Volk auf Augenhöhe mit dem König!

Das kongeniale Duo Meyerbeer/Scribe hat die Figur der Vielka erfunden. Ihr exotisches Anderssein erlaubt pittoreske Genre-Szenen und eine schillernde Persönlichkeit. Sie ist die treibende Kraft des Geschehens, energisch und gleichzeitig subversiv. Ein historisch gesehen geläufiges Strukturelement des Singspiels lässt die Inszenierung auf der Bonner Bühne außer Acht: Die neun tableaux vivants, die den gesamten Plot und die verbürgte Vorgeschichte illustrieren. In der Regie von Peters-Messer wird ein Stückchen Sans Souci auf ein ödes Schlachtfeld schweben, das die höchst angemessene Frage stellt: „Wer zahlt eigentlich den Preis für Ruhm und Ehre des Soldatenkönigs?

Resümee: Eine kurzweilige Matinee mit einem exquisiten musikalischen Vorgeschmack und einer gut aufgelegten Expertenrunde. Die historischen und gestalterischen Details wecken beim Publikum die gleiche große Neugier, mit der die Macher offensichtlich auch ans Werk gehen.

Das Theater Bonn spielt Ein Feldlager in Schlesien siebenmal vom 13. März bis zum 15. Mai 2022. Infos und Karten gibt es hier.

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