Nur eine Neuauflage? Arabella als zweite Ausgabe des Rosenkavalier, nur eben ein bisschen anders? Das Duo Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss wollten durchaus an den – auch wirtschaftlichen – Erfolg des Rosenkavalier anknüpfen und Strauss hatte sich von seinem Textdichter ausdrücklich ein leichtes, heiteres Stück gewünscht. Welche Themen greifen sie auf, welche entwickeln sie weiter? In der Matinee zu Arabella moderierte Bernhard Hartmann das Expertengespräch mit dem Regisseur Marco Arturo Marelli und dem Generalmusikdirektor der Oper Bonn, Dirk Kaftan.
Die Gemeinsamkeiten stellt Marelli nüchtern fest: In beiden Opern geht es um Geld. Genauso wie der schwerreiche Herr von Faninal seine liebenswürdige Tochter Sophie an den verarmten Landadligen Baron Ochs verschachert, so verkauft der notorisch bankrotte, spielsüchtige Graf Waldner seine für den Heiratsmarkt hübsch ausstaffierte Tochter Arabella an den vermögenden Mandryka. Kaftan hält dagegen und demonstriert anhand der zahlreichen Walzer deutliche Unterschiede in beiden Stücken. Wo der schwungvolle Dreivierteltakt im Rosenkavalier für Rausch, Humor, Intrige steht, bedeutet er in Arabella Dekadenz und Verfall, ein quasi „subversives Element am Ende der Operettenära.“
Was waren die historischen Realitäten der Entstehungszeiten? Der Rosenkavalier wurde 1911 in Dresden uraufgeführt, die Handlung spielt um 1740. Österreich hatte einen Staatsbankrott hinter sich und der 1. Weltkrieg stand vor der Tür. Einen verheerenden Krieg später und zur Zeit, als die Nazis auf dem Platz vor der Semperoper in Dresden Aufmärsche veranstalteten, gelangte Arabella dort am 1. Juli 1933 zur Uraufführung. Die Handlung auch hier zurückverlegt, sie spielt um 1860.
Leicht nachzuvollziehen, dass die zersetzenden und zerstörerischen Elemente der Walzer (die Dirk Kaftan mit Elia Tagliavia am Klavier spielt), einer karnevalistischen Schunkellaune schnell den Garaus machen. Die Figuren suchen ihren Platz in der Welt, ihr eigenes, richtiges Leben. Mandryka, dem Land, Tiere und Menschen untertan sind, verkauft Teile davon, um mit dem Geld auf dem glatten Wiener Parkett die schöne Arabella für sich zu gewinnen. Land gegen Papierfetzen! Er verliert dadurch seine Erdung und seine Wurzeln. Im Duett mit seinem abgebrannten Schwiegervater in spe (Giorgos Kanaris und Martin Tzonev) wird seine schwierige Situation spürbar. Er verhält sich nobel – also ein bisschen aus der Zeit gefallen – und bezeichnet seine Werbung, die Liebe und die Ehe als etwas Heiliges.

Arabella auf der anderen Seite kennt ihren Platz in der Welt: Sie bewegt sich hübsch gekleidet auf Bällen, um potenziellen Heiratskandidaten zu gefallen. Ihre Schwester Zdenka allerdings muss Jungenkleider tragen, weil das Geld der Familie nicht reicht, um zwei junge Frauen auszustaffieren. Die Armut benennt sie auch Mandryka gegenüber: Wir sind nicht grad sehr viel, nach dem Maß dieser Welt – wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen!
Richard Strauss selbst bedauerte, ihm fallen so recht keine großen Melodien mehr ein. Immerhin war er bereits 69 und hatte Welterfolge komponiert.; Hugo von Hofmannsthal war 1929 gestorben. Möglicherweise resultieren einige dramaturgische Ungereimtheiten daraus, dass Hofmannsthal das Stück nicht abschließend überarbeitete. Sonst hätte möglicherweise die interessante Figur des Matteo noch einen tollen Solo-Auftritt im 3. Akt erhalten und Zdenka ebenfalls.
Musikalisch baut Strauss aber große Momente der Seligkeit und Innigkeit – zwischen Arabella und Mandryka sowie zwischen Arabella und Zdenka – mit traumhaften Melodien aus slawischen Volksliedern ein. „Und drumherum tobt das Leben in dem Stück“, so Dirk Kaftan. Er habe sich in Arabella verliebt und wünsche sich, dass alle, die das Stück ablehnen, noch mal näher hinhören. Ein Tipp dazu: Wo die Ouvertüre im Rosenkavalier noch das Ungestüm des jugendlichen Liebhabers ironisch breche, gestaltet Strauss das Vorspiel zum 3. Akt als ein wahres Liebesrauschen, viel sinnlicher und direkter als im 22 Jahre älteren Rosenkavalier.
Schließlich die Frage, warum Arabella nach dem Krieg zum Erfolg wurde und bis heute geblieben ist? Marco A. Marelli sieht ganz klar den Ausdruck von Sehnsucht nach dem „richtigen“ Leben angesichts der Inflation von Geld und Gefühlen. Dirk Kaftan ergänzt: Wir wollen nach den schwierigen 18 Monaten wieder unserem Bauchgefühl vertrauen und an das Bedürfnis nach Nähe und Glück glauben.
Die Premiere findet am 2. Oktober 2021 statt. Informationen und Karten gibt es hier.
Danke liebe Mechthild für diese gelungene Zusammenfassung der Matinee
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