„Wir können ausverkaufen.“ Das Wort hat der Generalintendant des Theater Bonn, Bernhard Helmich. Sichtlich erfreut über die gute Nachricht, dass die Limitierung der zu besetzenden Plätze in den Bonner Theatern gefallen war. Und das drei Tage vor Beginn der neuen Spielzeit 2021/22! So kommt es, dass es für das Weltklasse-Musical Chicago noch Karten für die Premiere am 29. August gibt – und für die nächsten Termine ebenfalls.
27 Jahre lang hat Helmich sich aus verschiedenen Städten um die Aufführungsrechte für Chicago bemüht. Nun hat Bonn tatsächlich den Zuschlag erhalten und Fans müssen nicht länger nach New York oder London reisen oder aber sich mit dem Film begnügen. Bonn is the place to be!
„Mit uns starten Sie in eine neue Zeit, in der Theater wieder Freude macht“, verspricht der Generalintendant. Nähe sei nun wieder erlaubt und die Macher wollten allen ein Gefühl des Normalen vermitteln. Also Bühne frei für die große Oper. Das Erfolgsduo Richard Strauss/Hugo von Hofmannsthal wartet mit einer opulenten Inszenierung der Arabella auf. Zur Gesundung der Seele wolle das Theater beitragen und habe bewusst auf ein Stück voller Träume, Walzer, märchenhafter Romantik gesetzt und die Regie in die Hände von Marco Arturo Marelli gelegt, der die Bonner im Herbst 2018 mit einem sensationellen Lohengrin beglückte. GMD Dirk Kaftan zeigte sich sehr froh darüber, dass er Arabella gerade mit vollem Orchester einstudiere – anstatt mit einem Streichquartett und einer E-Gitarre!
Schätze zu heben – dafür hat an der Oper Bonn Andreas KW Meyer das richtige Händchen. In dieser Spielzeit verhilft er Giacomo Meyerbeers Ein Feldlager in Schlesien zu neuem Leben. Ein außerordentlich patriotisches Stück, seit knapp 50 Jahren nicht mehr szenisch aufgeführt. Dieses Zeitkunstwerk wurde 1844 in Dresden uraufgeführt, um die Wiedereröffnung der Oper nach einer Brandkatastrophe mit einem Auftragswerk zu feiern. 100 Jahre später war Leonore 40/45 von Rolf Liebermann sehr populär. Sie wirft die Frage auf, wie Musiktheater nach dem Ende des zweiten Weltkriegs hätte sein können. Der Regisseur Jürgen R. Weber, den Bonnern seit Marx in London vertraut, übernimmt die Regie, Daniel Johannes Mayr dirigiert das BOB.

„Wir schämen uns nicht, die Ziele Opulenz, Märchen, Unterhaltung in den Vordergrund zu rücken.“, so Helmich und verkündet, dass zwei Märchenopern im Spielplan folgen. Die Rossini-Oper La Cenerentola (das Aschenputtel) kommt in einer Inszenierung von Leo Muscato auf die Bühne. Wer den entzückenden Xerxes in Bonn erlebt hat, kann nachvollziehen, warum Helmich das mit Stolz erfüllt. Muscato arbeitet international, aber in Deutschland exklusiv in Bonn. Ja, und was passiert mit der Agrippina, die Muscato ebenfalls inszenierte, die aber nur das Video-Licht der Welt erblickte? Die Händel-Oper steht für 2023 auf dem Spielplan. Es gibt also ein Wiedersehen. Die Produktion von Hänsel und Gretel war ebenfalls bühnenreif fertig – in einer ganz neuen Inszenierung feiert sie kurz vor Weihnachten Premiere. Die Beiden dürfen sich sogar anfassen, schmunzelte Helmich.
„Im Dezember muss Corona vorbei sein.“, so hatte sich die Theaterleitung immer wieder selbst motiviert, endlich eine große Oper mit Chor und Extrachor zu zeigen. Don Carlo von Giuseppe Verdi feiert – hoffen wir das Beste – am 12. Dezember 2021 Premiere. Die „Leistungsträger“ des Ensembles debütieren dann fast alle in ihren Rollen. Hermes Helfricht am Pult, Mark Daniel Hirsch als Regisseur, Pavel Kudinov oder Tobias Schabel als Philipp II., Anna Princeva als Elisabeth. Die Titelrolle singen im Wechsel Leonardo Caimi und Santiago Sanchez, als Eboli erleben wir Dshamilja Kaiser und als Rodrigo Giorgos Kanaris.
Wer in Bonn Verdi sagt, denkt eigentlich gleich Will Humburg mit, der in dieser Spielzeit Ernani dirigiert. Die Oper gehört in Italien zum Standardrepertoire, in Deutschland wird sie kaum aufgeführt. In die bewährten Hände von Roland Schwab hat man es gelegt, dieses Oper zu knacken und in ein packendes Theater zu verwandeln – trotz der unverständlich-unlogischen Winkelzüge der Handlung. Der Regisseur brachte in Bonn ebenfalls Oberst Chabert (2018) auf die Bühne und machte den Namen des Komponisten Wolfgang von Waltershausen (wieder) publik.
Den Schlusspunkt der Opern-Neuproduktionen setzt dann im Mai Li-Tai-Pe, Des Kaisers Dichter von Clemens von Franckenstein. Regie führt die Schauspielerin und Autorin Adriana Altaras. Einst ein „Renner des Repertoires“, dann verschwunden und nun wiederbelebt, besetzt ausschließlich mit Ensemble-Mitgliedern und dem in Bonn so verehrten Tenor Mirko Roschkowski – die Oper beleuchtet auch das historische Loch der Weiterentwicklung von Musiktheater nach dem zweiten Weltkrieg.
Drei Premieren mehr als üblich – das ist der überbordenden Motivation aller Beteiligten geschuldet, endlich wieder für und vor Publikum zu spielen. „Jetzt simmer wieder da!“ so der kaufmännische Direktor des Theater Bonn, Rüdiger Frings. Mit großem Dank an alle Mitarbeitenden und noch mehr Erleichterung darüber, dass Corona nicht länger die Inszenierungsweise bestimmt. präsentierte er kurz die neuen Regeln: GGG, maskenfrei am Platz, eingeschränktes Catering. Sein Ausblick auf die „neue“ Ära des Theaters „Der Kunst die Bühne!“
Mit 21 Premieren (statt normalerweise 15) übertrifft das Schauspiel Bonn zwar die Oper, aber beklagt dennoch Verluste, so Jens Groß, der Schauspieldirektor. Er wundere sich, dass die Oper auf Romantik und Zauber setzt. Seine Grundidee für die neue Spielzeit: Fragen in die Gesellschaft tragen. Wie wir über die Klüfte hinweg Brücken bauen. Dabei sind für ihn die großen Themen arm/reich, Klima, Wirtschaft, friedliches Zusammenleben.
Er setzt auf nachhaltige Zusammenarbeit, die so weit geht, das Bühnenbild nachhaltig zu bauen, die CO2 Werte zu überprüfen, für die Produktion nichts Neues zu kaufen, Kooperationen mit anderen Bühnen zu nutzen, konkurrenzlos zusammenzuarbeiten. Unsere Welt neu denken: eine Einladung – das Sachbuch von Maja Göpel nimmt Groß wörtlich. Er lädt das Publikum zur Interaktion ein, stellt direkte Fragen in den Zuschauerraum. Die Schauspieler auf der Bühne spielen erst weiter, wenn die Beteiligten im Publikum sich geeinigt haben. Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern die Idee ist diskursiv angelegt.
Bei Angst von Volker Lösch darf man gewiss sein, dass aktuell-politische Fragen thematisiert werden. Der Fidelio-Regisseur beleuchtet hier Angstphänomene und Mechanismen, die Angst instrumentalisieren. Das reicht von der mittelalterlichen Hexenverfolgung bis hin zur Pandemie.
Den Dingen auf den Grund gehen – das will Groß auch in den Produktionen der Klassiker. Heinrich von Kleist und Der zerbrochene Krug steht auf dem Spielplan genauso wie Friedrich Schillers Maria Stuart und Anton Tschechows Onkel Wanja. Hier kommt Groß` eigene Leidenschaft für klassische Literatur zum Ausdruck. Er sei stets auf der Suche nach den mythologischen Grundmustern unserer Gesellschaft, die ein Verständnis der aktuellen Phänomene erst ermöglichen.
Neue Räume schaffen, Fantasie beflügeln, das Theater will nützen und erfreuen – so das Credo der Aufklärung nach Horaz. Es soll Spaß machen und unterhaltsam sein. Unter diesem Aspekt hebt Groß den Liederabend Istanbul hervor. Herzzerreißend-amüsant werde die Umkehr der Historie dargestellt: Deutsche kommen als Gastarbeiter in die Türkei. Und so wie die Pandemie Schauspiel, Oper und das Beethoven Orchester Bonn näher zusammenbrachte, so formuliert Jens Groß zusammenfassend seine Utopie. Musik verbindet.
Der Ticketshop des Theater Bonn wird monatsweise hier freigeschaltet.