Heute Abend: Lola Blau

Ein-Frau-Musical nannte Georg Kreisler seine musikalische Revue. Scheinwerfer an und volles Licht auf die Frau, die diesen Solo-Abend auf der kleinen Bühne des Kölner Staatenhauses präsentiert. Die fantastische Katrin Wundsam entfaltet alle Facetten ihres Mezzosoprans, ihrer Bühnenpräsenz und Schauspielkunst, begleitet nur von Klavier und Akkordeon. Was genau macht Heute Abend: Lola Blau so empfehlenswert?

Der Bühnenrahmen, das Symbol für die darstellende Kunst, hat reichlich Schaden genommen. Zwar leuchtet er golden wie eh und je, aber Ecken sind herausgebrochen und werden zur Requisite. Rechts die Schrankkoffer von Gucci, aufgetürmt wie die New Yorker Skyline – da wissen wir doch gleich, wohin die Reise geht. Und links die Trümmer nicht nur der zerstörten Städte, sondern auch des jüdischen Lebens in Europa. Vor der Bühne ein knappes Dutzend Tische, an denen die Gäste ihre Getränke zu sich nehmen. Gebrochene Illusion, wie im Nachtclub oder im Kabarett.

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Georg Kreisler entwirft die 18-jährige Zeitspanne, in der er hier das Leben der jüdischen Sängerin Lola Blau gestaltet, als quasi autobiografische Essenz seiner eigenen Emigration. Die anfängliche Blauäugigkeit der Wiener Juden, der harte Aufschlag in der Realität, der Anfang in der neuen Welt, die Rückkehr nach Österreich, die bedrückende Fremdheit – all das erlebt seine Protagonistin wie er selbst. Deshalb meine Empfehlung: Schon eine Stunde vor Beginn der Vorstellung im Staatenhaus ankommen und das Programmheft lesen!

Songtexte wie im Salto mortale hat Kreisler da geschrieben! Bissig, böse, zweideutig eindeutig, traurig, lustig, und mit Doppelvolten in Sprache und Tempo serviert. So etwas hat man lange nicht gehört und so schreibt heute niemand mehr. Ein exquisiter Genuss in Sachen Virtuosität! Die Kompositionen schöpfen ebenfalls aus dem Vollen. Von Mozärtlichem zum Wiener Walzer, vom mäandernden Club-Piano zum Ghetto-Akkordeon. Kreisler vereint Zitate zum unverkennbaren Lola-Stil, stets ihrer Situation angemessen.

Und Lola? Sie kann einfach alles. Natürlich ist sie Vamp wie ihre fesche Namenscousine. Oder die ungarische Gräfin der Fledermaus oder doch die Gräfin Mariza? Sie gibt die Grande Dame im offensichtlich falschen Fell –

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der weiße Zobel wohl doch nur Kunstfaser. Sie erfreut mit der Vaudeville-Nummer im verkehrt herum getragenen Jackett. Im Hemdchen verletzlich wie das Mädchen im Märchen, im Anzug die burschikos-emanzipierte Großstadtjüdin im Jahr 1938.

Lolas one-way Telefonate und Gespräche hat Kreisler so perfekt auf die Perspektive der Protagonistin geschrieben, dass das unsichtbare Gegenüber tatsächlich Form annimmt. Einfach köstlich zu erleben, wie Lola beim Vorsingen für den Herrn Direktor die Rolle durch alle Genres dekliniert! Im Gegensatz dazu erlebt das Publikum sehr empathisch mit, wie sich Lolas Liebe zu Leo Glücksmann entwickelt. Da nützt der Name nichts – kein gutes Omen. Vor lauter Glimmer und Glanz an der Oberfläche ist Lola nicht in der Lage, das Wesentliche zu sagen: Ich liebe dich. Sie hat schlicht zu vergessen vergessen.

Mühsam erkämpft sich Lola die Anerkennung – auf der Bühne und bei Männern gleichermaßen. Bis Drogen und Alkohol ihr Dasein bestimmen. Nicht zufällig erinnert sie da an Marilyn Monroe, die am Image des blonden Dummchens und an den Männern zerbrach. Auch Lola erfreut sich an der Macht, die sie über Männer hat, aber fällt in die Falle, in der sie einsam und ohne Liebe schließlich ihre Zelte in den USA abbricht.

Zurück in Wien im Jahre 1946. Niemand in der „Ostmark“ habe Hitler gewollt, mit allen Titeln sind die Nazis wieder in Amt und Würden. Es ändert sich ja nix! Katrin Wundsams Wiener Einschlag ( sie ist in Oberösterreich geboren) verleiht dieser nüchternen Analyse die nötige Schärfe. Sie singt ihre Lieder nicht an die rotwattierten Wände, sondern für die aufmerksamen Ohren des Publikums.

Das Stück wurde 1971 uraufgeführt und gilt heute unverändert als künstlerisches Meisterstück und intelligente geschichtliche Lehrstunde. (E)migration heute – du hast kein Zuhause und wirst niemals eins haben. Wer überlebt Krieg, Schreckensherrschaft und Lager? Nur wenige aus vielen Familien. Klingt aktuell? Schlauchboote auf dem Mittelmeer, Lager auf Lesbos … Marschierende Rechte und fahnenschwenkende Faschisten? Nicht nur in den USA, sondern erst recht wieder in Deutschland. Offen gelebter Antisemitismus? Die Tür der Synagoge in Halle spricht für sich.

Am Ende zeigt Lola so etwas wie eine Berliner Schnauze. Kopf hoch, wenn der Hals auch dreckig ist. Daraus spricht ihre Resignation. Sie sagt zu den Brettern, die nicht mehr ihre Welt sind, adé und kapriziert sich aufs Cabaret. Das reimt sich – wie so viele andere halsbrecherische Textpassagen. Die bietet Katrin Wundsam so meisterlich dar, wie sie große Koloraturen ironisch bricht, die Tiefen ihres Mezzos ausleuchtet und in schneidender Artikulation in den Sprechgesang wechselt.

Eike Ecker und Rainer Mühlbach haben das Ein-Frau-Musical 2015 für die Oper Köln in Szene gesetzt und musikalisch bearbeitet. Mühlbach begleitet die Solistin auch am Piano, ebenso wie Dorrit Bauerecker am Akkordeon. Bei der Premiere der Wiederaufnahme spendet das Publikum begeisterten Applaus. Heute Abend: Lola Blau geht ins Herz und ins Hirn. Unbedingt anschauen!

Weitere Termine und Informationen finden Sie hier.

Fotos mit freundlicher Genehmigung der Oper Köln, © Paul Leclaire

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