Die Zauberflöte – zwischen tiefem Ernst und heiterem Spaß

28 Meter lang erstreckt sich der ebenerdige Graben im Kölner Staatenhaus. Ein absolutes Novum, um Platz zu schaffen für ein volles Mozart-Orchester, und selbstverständlich den C-Zeiten und den Abstandsregeln geschuldet. Der Dirigent Christoph Gedschold deutlich erhöht und in vollem Scheinwerferlicht, damit auch die Hornisten in der letzten Reihe aus der Distanz von 14 Metern den Einsätzen des Maestro folgen können. Was an Mozarts letzter Oper fasziniert in einer solchen Weise, dass gute drei Stunden Maskenpflicht eine leichte Übung bedeuten?

Die Musik! Der programmatische schnelle Wechsel zwischen Singspiel mit Volksliedcharakter, bedeutungsschwangeren Basspartien, den empfindsamen Tamino- und den jungfräulich-lyrischen Pamina-Arien, den irrwitzigen Koloraturen der Königin der Nacht, dem Liebreiz der mehrstimmigen Knabenauftritte, dem Wohlklang der drei Damen und den Bass-Chören in den Heiligen Hallen. Ein happy mix von opera seria und opera buffa also. Und die Brillanz des Gürzenich Orchesters!

Schauen wir auf das Ende, um retrospektiv einen Blick auf das Ganze zu werfen. Den herzlichsten und größten Applaus spendete das Premierenpublikum Matthias Hoffmann, der als Papageno begeisterte.

Matthias Hoffmann

Mehr als einmal gab es die Idee, den lustigen Vogelfänger, der sich als gleichermaßen feige wie vorlaut entpuppt, zur Hauptfigur der Oper zu befördern. Er verkörpert alles Menschliche: Essen und trinken sind ihm wichtig, die Freude an der Natur, die paarungswillige Sehnsucht nach einem Mädchen. Er lebt im Hier und Jetzt, strebt nach nichts, fühlt sich keinem Ideal verpflichtet. Als jugendlicher Bariton mit ansteckender Fröhlichkeit und ausgelassener Spielfreude stellt Hoffmann den undisziplinierten, spontanen Sidekick für den Prinzen Tamino dar. Seine Leistung ist insbesondere beeindruckend, weil er als „Kölner Eigengewächs“ direkt aus dem Opernstudio mit einer beliebten Solopartie auf die große Bühne einstieg.

„Endlich!“ So Kathrin Zukowski, die ebenfalls ihren Feinschliff im Kölner Opernstudio genoss. Sie strahlte vor Glück und konnte selbst kaum fassen, mit wieviel Bravour sie ihr Debüt in der Rolle der Pamina meisterte. Da stimmte aber auch alles. Differenziertes, anmutiges Schauspiel gepaart mit einem feinen, aber auch zu Kraft aufsteigenden lyrischen Sopran. Ihr Bildnis ist bezaubernd schön, wie wir wissen. Aber ihre Rolle oszilliert zwischen Angst vor dem übergriffigen Monostatos, Vertrauen in die Weisheit und Güte Sarastros, Loyalität der Königin der Nacht, ihrer Mutter, gegenüber, ihre aufblühende schwärmerische Liebe zu Tamino und dem spontanen Entschluss zum Selbstmord.

Opernkenner wissen natürlich, dass die Geschichte gut endet, weil Tamino alle Proben besteht, mit Pamina gemeinsam durchs Feuer geht und im schwallenden Wasser gestählt wird. Gemeinsam! Für das Frauenbild des späten 18. Jahrhunderts eine Sensation. Im Heiligsten der weisen alten Männer des Ordens liegt auch ihr der goldene Schal um ihre Schultern. Gemeinsam als nun ebenfalls Eingeweihte empfangen sie die Krönung für ihre neue Herrschaft: in Freundschaft, Frieden und Liebe.

Vier weitere junge Talente begannen ihre Kölner Karriere im Opernstudio, am beeindruckendsten unter ihnen Young Woo Kim, der als 1. Geharnischter im Echsenkostüm und mit seiner großen Stimme die Vereinigung des adligen Liebespaares eskortiert. Noch jünger und mit den kristallklaren Sopranen der vorpubertären Stimmentwicklung entzücken drei Solisten des Knabenchores der Chorakademie Dortmund. Ihnen gehört der professionelle Applaus des Orchesters, eine Adelung von besonderer Güte.

Schon die eigene Statur, die individuelle Physis, macht Ante Jerkunica wie geschaffen zum Vorsitzenden oder Präsidenten des Rats der Weisen. Sein Bass, rund und tief, überzeugt alle Ordensbrüder oder Ratsmitglieder davon, Tamino mit seinem guten Herzen, seinem Mut und seiner Standhaftigkeit den verschiedenen Prüfungen zu unterziehen. Nichts weniger als die Feuerprobe für dessen Eignung als zukünftiger Herrscher steht auf dem Spiel.

Um was geht es denn eigentlich auf dieser Ebene? Die Eltern der schönen Pamina haben sich im Streit getrennt. Alle irdischen Güter, Macht und Herrschaft bleiben bei der Königin der Nacht (Antonina Vesenina).

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Antonina Vesenina

Der siebenfache Sonnenkreis allerdings, der sich geschützt in der Kristallpyramide befindet, gelangte in die Hände des Rats der Weisen, Sarastro sein Wahrer. Das Unterpfand bildet Pamina, die in Sarastros Obhut lebt. Steht die Königin für die alte Macht, die mit Gewalt die Alleinherrschaft anstrebt, läutet die historisch zur selben Zeit stattfindende Aufklärung mit dem Markstein der französischen Revolution die neue Zeit ein: als Staatsform eine präsidiale Monarchie, in der der Rat der Weisen ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht hat.

Mutig und zukunftsweisend diese Ideen zu Mozarts und Schikaneders Zeiten, essenziell neu zu überdenken in unserer aktuellen Lage. Wo Staatsführer lügen wie der unbedarfte Waldbub Papageno (und genauso dabei ertappt werden), wo sie schamlos ihre Räte manipulieren und alles daran setzen, mehr Macht und Herrschaft an sich zu reißen, wo Kriegsdrohungen und Vorteilsnahme bei der Verteilung der Ressourcen an der Tagesordnung sind, wo Wut, Rache und Raserei sich als dominantes Verhalten schwacher Charaktere entpuppen … Da schreit es ja förmlich nach Vernunft und Aufklärung (Ist das erwiesen? heißt es in der Oper), nach Standards der Wissenschaft, nach Schweigen und Vertrauen, nach Menschlichkeit, nach Freundschaft, Weisheit und Liebe.

Die Zauberflöte vereint Elemente des Märchen und Mythen, des Aberglaubens und der Aufklärung, der alten und neuen Ordnung. Abzulesen in der Musik, visuell untermalt mit Bühne und Regie. Vieles, sehr vieles sogar verzaubert in blauen und gelb-goldenen Zitaten aus Karl-Friedrich Schinkels zweihundert Jahre alter Bühne. Ein Zugeständnis an den Geschmack des eher konservativen Publikums? Oder eine Hommage an die über alle Zeit wirkende Genialität des hochgebildeten preußischen Baumeisters?

Das Zauberflötensolo allerdings beschert Tamino das furchteinflößende Panoptikum der wilden Tiere: Ein riesiges Krokodil, zwei Vogel Greif, ein Dinosaurier, Orang Utan und Gorilla sowie ein Löwe erscheinen. Im Gegensatz dazu natürlich das unbeschwerte Flattern der bunten Waldvögel – hier die Natur im Einklang, dort als Bedrohung.

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Wie im Märchen schläft in einer Vollmondnacht Pamina unschuldig und unbeschützt im rosa Prinzessinnenkleid, wie Stonehenge-Menhire sind die gleich gewandeten Herren im Rat der Weisen angeordnet. Szenenwechsel auf der Bühne geschehen mit Schiebewänden und werden mittels Videoprojektion verbildlicht. Traditionelle Kostüme – sehr süß für das Papa-Paar – und lange Besenstiele mit einer leuchtenden Hand, um Berührungen zu vermeiden, kommen zum Einsatz. Alt und aktuell in „holder Eintracht“.

Eine stimmige Inszenierung, vom Altmeister Michael Hampe persönlich neu überarbeitet, nachdem im März bereits die Vorbereitungen abgeschlossen waren. Die großen Themen der Menschheit und Menschlichkeit hat er noch einmal am Ort seines zwanzigjährigen Wirkens auf die Bühne gebracht. Es war ihm (laut Interview im Programmheft) ein echtes Anliegen, das Wachsen und Werden des Menschen, seinen Weg zur Reife zu versinnbildlichen. Die Notwendigkeit von mehr Humanitas in der Welt liegt dabei auf der Hand.

Ein wenig Wasser in den Wein? In den Reihen ganz weit vorn sind nur einzelne Instrumente, aber kein Orchesterklang zu hören – der ungewöhnlichen Anordnung geschuldet. Dramaturgisch hätte man gut auf den Sprecher verzichten können. In der Originalfassung erläutert er Tamino, dass die Königin der Nacht die Geschichte in ihrem Sinne erzählte und Sarastro der Hüter der Menschlichkeit ist. Hier nun führt er durch den Abend – ohne echte illusionsbrechende Funktion.

Es überwiegt aber die hohe Kunst musikalisch-gesanglichen Darbietung. Julien Behr brachte einen sehr ordentlichen Tamino zu Gehört, die drei Damen strukturieren das Geschehen und glänzen im präzisen Dreiklang in bezaubernden Kostümen.

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von links: Claudia Rohrbach, Regina Richter, Anja Schlosser

Der Jubelgesang des Chors zum Schluss kam vom Band, aber es standen echte Menschen (die einfachen aus dem Volk) auf der Bühne und taten so, als ob … Wie schön nach so langem Verzicht auf solche Szenen! Die Kompromisse der Produktion verschmerzt das Publikum sicher gern. Denn wie begrüßte Dr. Birgit Meyer? „Dies ist ein besonderer Abend, einfach weil er stattfindet.“ Danke, Oper Köln, für den Mut, für das Glück der Musik!

Termine und Informationen zu den nächsten Aufführungen hier.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Oper Köln, (c) Paul Leclaire

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