Shakespeare unkaputtbar – Sämtliche Werke leicht gekürzt

Den ersten Lacher räumt jeder ab, der nur den Titel dieses heiteren Theaterabends ausspricht: Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt). Am besten wirkt es, wenn vor der mitgesprochenen Klammer eine Kunstpause steht. Klar, auch ohne Anglistikstudium dämmert jedem sofort, dass das Mammutwerk des Barden aus Stratford bereits in jedem einzelnen der insgesamt 37 Dramen eine riesige Herausforderung birgt. Also auf in den Parforceritt der galoppierenden Werkschau!

Mit sichtlicher Freude am Doppelsinn sprach Schauspieldirektor Jens Groß vom „Risikogebiet Theater“, vordergründig auf die Pandemie bezogen, die viele Vorsichtsmaßnahmen erfordert. Gleichzeitig meinte er zweifellos auch „seine“ Bühne, auf der oft radikal neue Inszenierungen alte Seh- und Denkmuster infrage stellen. Wir wissen doch: Verunsicherung birgt Risiko.

Das Gute aber an einer Inszenierung ohne Bühnenbild, Kulissen und Umbau? Die Bühne gehört den Schauspielern!

Von links Timo Kählert, David Hugo Schmitz, Markus J. Bachmann

Und das gleich vorweg: Was für außerordentliche junge Talente! Timo Kählert und die beiden Neuen im Ensemble, Markus J. Bachmann und David Hugo Schmitz, zündeten ein knalliges Feuerwerk mit kleinsten Mitteln. Da kalauerten sie und deklamierten, trieben ein Fußballmatch zum Äußersten, sangen im Trio und solo, rappten, spielten Klavier und nutzten den Bühnenboden als Percussion.

Jeder der drei Schauspieler fand seine Kostüme auf einem Kleiderständer wenige Meter hinter dem Geschehen. Nie hat man Männer ohne Hilfe so fix das Outfit ändern sehen! Verblüffend, mit wie wenig Mantel-und-Hut aus dem athletischen Markus die durchtriebene Dänenkönigin Gertrude im Hamlet wurde. Oder das gesamte Personeninventar von Romeo und Julia mit zwei, drei Renaissance-Mänteln die verfeindeten Familien und deren Entourage darstellte.

Den Zauber, das Genie und die überragende Größe von William Shakespeare und seinem riesigen Schaffen in knapp zwei Stunden zu vermitteln, war erklärtes Ziel des Darstellertrios. „All the world’s a stage“ heißt es im Original von As You Like It, die ganze Welt eine Bühne und wir alle, Männer und Frauen nur Darsteller. Folglich brachen die Männer auf der Bühne die Illusion, sprachen einander mit ihren richtigen Namen an, bezogen Menschen aus dem Zuschauerraum mit ins interaktive (Bühnen-)Geschehen ein. Da war das Publikum aufgerufen, Julias Ich, Es, und Über-Ich gestisch und mit Merksätzen darzustellen. Passt! 300 Jahre, bevor Freud die Psychoanalyse erfand. Darüber hinaus entwickelten sich Angelika und Dieter zu handlungstragenden Mitspielern. Nie gehört bei Shakespeare? Kein Wunder, handelt es sich doch um den Beleuchter und die Souffleuse im Bonner Schauspielhaus.

Es galt, Shakespeare in ein modernes Ambiente zu transportieren. Auf den Mond? Nach Wipperfürth? Ins Kochstudio? Ins Fußballstadion? In die Piano-Bar? Und ihn doch auch hin und wieder vom Sockel zu stoßen. Warum schrieb er 16 Komödien, wenn eine gereicht hätte? Zumal er immer heftig in Orvids Metamorphosen stöberte und in der commedia dell’arte, dann schamlos Figuren und Konstellationen übernahm und in seine Sprache „übersetzte“? Die Autoren der Ursprungsversion von 1987, Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield, kondensierten alle comedies in einem turbulenten Medley. Malvolios gelbe Strümpfe und sein maliziöses Lächeln, mit brachialer Gewalt bis zum blutig ausgebrochenen Zahn von Markus J. Bachmann präsentiert, vermittelte sich allerdings nur denen, die mit Shakespeare vertraut sind.

Aktuelle Anspielungen gab es zuhauf. Auf das Gendern kommt es an, also gab es Kotzbrockinnen, Julia schwankt zwischen Kloster, Friseur und Kinderwunsch, die drei Hexen aus MacBeth führen einen Maori-Haka auf und gerieren sich wie Wacken Metal Fans. Oder sind es MacDuff und Lady MacBeth samt dem König, in Schottenrock und rot-Haar-Perücke? Auch das ein Spiel im Spiel – das Publikum hat sich kaum in einem Drama orientiert, da überlappt es schon das nächste.

David Hugo Schmitz

Schließlich der berühmte Hamlet-Satz deklamiert und vom Chopin Nocturne begleitet. „Die Zeit ist aus den Fugen.“ Wie wahr, wie wahr, möchte frau zu Corona-Zeiten rufen.

Und ebenfalls Hamlet: What a piece of work is a man! How noble in reason, how infinite in faculty! In form and moving how express and admirable! In action how like an angel, in apprehension how like a god! The beauty of the world. The paragon of animals. (…) Wie großartig, edel und grenzenlos begabt der Mensch ist. Dem stellt Timo eine depressive Analyse seiner Schauspielersituation gegenüber. Jens Groß (namentlich genannt) habe ihm den Woyzeck zugesagt, nun spiele er wegen Corona diesen „Bums“ hier. Da brauche ja ein Schauspieler einen inneren Monolog als Subtext, um die Leere auszufüllen. Die Alternative? Nach Berlin gehen. Saufen. Natürlich kokettiert er mit dem begeistert beklatschten Erfolg, den die drei beim Applaus einfahren werden. Die Szene untermauert, was zweifellos Shakespeare auch ausmacht: Die Tragödien wirken oft komisch und die Komödie droht immer ins Tragische zu kippen.

Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt) – das Stück ist ein wenig in die Jahre gekommen. Manche Kalauer und einige Slapstick-Einlagen lächelt das Publikum großzügig weg, andere fallen förmlich aus der Zeit. Keiner der jungen Darsteller kennt „Renny räumt den Magen auf“ oder versteht die Anspielung, angesichts von Shakespeares Massenproduktion hätte man auch einen Affen an die Schreibmaschine setzen können – ein Anachronismus in Zeiten von PC, Mac und Word. Weit überwiegen allerdings die frischen, frechen Elemente der aktualisierten Version 2.0. Der Othello-Rap am Puls der Zeit, die Choreographie der Fechtszene eine Augenweide. Fazit: Die Jungs rockten die Bühne.

Einige weitere Aufführungen stehen auf dem Programm. Details zu Terminen und Kartenkauf hier.

Fotos mit freundlicher Genehmigung des Theater Bonn, © Thilo Beu

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