Sicherheit! In den Zeiten, in denen Theater, Oper und Tanz zwischen depressivem Absturz und verhalten realistischem Optimismus oszillieren, hat die Sicherheit für das Publikum und die Mitarbeitenden top Priorität. Was das konkret für alle Sparten der städtischen Bühnen bedeutet, erläuterten GMD Dirk Kaftan, Intendant des Schauspiels Jens Groß, Generalintendant Dr. Bernhard Helmich und die Kuratorin von „Quatsch keine Oper!“ Rita Baus. Zunächst einmal reduzieren sich die Plätze der drei Spielstätten drastisch. In der Oper sind demnächst 320 Gäste zugelassen, im Schauspielhaus in Bad Godesberg 130 und in der Werkstatt nur 30. Eine administrative Herausforderung und ein fiskalischer Teufelsritt! Hauptsache allerdings, dass es wieder losgeht am 10. September 2020 mit dem Drama Lenz von Georg Büchner und Mauricio Kagels Oper Staatstheater am 13. September. Bereits am 6. September lädt die Oper zur Staatstheater-Matinee ein.
Der aktuelle Plan soll bis zum 7. November 2020 seine Gültigkeit behalten – vorausgesetzt, die Landesregierung kann darauf verzichten, die Sicherheitsregeln neuerlich zu verschärfen. Innerhalb dieser zwei Monate habe man dennoch – in allen Sparten – auf größtmögliche Flexibilität gebaut. Nach einem „optimalen“ Start herrscht einhellig der Wunsch, ab Ende November wieder auf den normalen Spielplan umzustellen. Wir werden sehen und hören und erleben.
Rita Baus, die das vielfältige Programm unter dem Titel „Quatsch keine Oper!“ kuratiert, hat alle bis Dezember 2020 geplanten Shows gestrichen und ins nächste Jahr verschoben. Ab Januar 2021 will sie aber nach dem regulären, alten-neuen Plan spielen. Sie legte ein Statement ab, zu dem alle auf dem Podium beipflichtend nickten: Kunst und Kultur seien Lebensmittel, Menschenrecht und systemrelevant.
Jens Groß, Intendant des Schauspiels, begriff auch retrospektiv die Krise als Chance. Bonn habe schneller, besser und transparenter agiert als manche anderen Häuser in Deutschland. Das produktive Miteinander und die Hilfsbereitschaft haben sich noch intensiviert. Aus der Not geboren und in der Selbstreflexion entstanden habe er für die kommende Spielzeit ein neues Thema ersonnen: „Die erkrankte Gesellschaft“. In der Ambiguität des Titels liegt sein Blick auf die künstlerische Bearbeitung der gesellschaftlichen Not. In Büchners Lenz sucht der junge Dichter reisend nach etwas, an das er glauben kann. Franz Xaver Kroetz stellt in seinem Drama Nicht Fisch nicht Fleisch die Frage nach der physischen Existenz ebenso wie Volker Lösch als Regisseur in dem Stück Angst.
Groß selber inszeniert Heinrich von Kleists Der zerbrochene Krug als zweihundert Jahre alte Metapher der #metoo Debatte. Im Opernhaus! Alle Pläne seien aber auf leichte Adaptierbarkeit ausgelegt, sodass das Stück auch im Schauspielhaus funktionieren wird.
Dirk Kaftan erfüllt sich – den Umständen geschuldet oder verdankt – einen Traum. Er bringt die Urfassung von Humperdincks Hänsel und Gretel auf die Bühne. „Nicht so süffig wie die gängige Fassung, dafür fein und poetisch“ erläutert er mit einem entspannten Lächeln. Heute sei der – eigentliche – Tag eines Beethoven-Konzerts mit dem BOB in Tokio. Demut habe die Krise ihn und das Orchester gelehrt, radikal sei der Absturz von der Jubiläumseuphorie ins Nichts gewesen. Und die Palette des Umgangs mit der Krise reiche von einer Elektra-Aufführung mit den Wiener Philharmonikern in voller Besetzung (ca. 120 Musiker) bis hin zu der Bonner Entscheidung, bis Ende November keinen Chor auf der Bühne auftreten zu lassen und die Musiker statt im Graben auf der Bühne zu platzieren.
Neue Formate habe er mit stets wenigen Instrumentalisten und Sängern erprobt, neue Orte aufgesucht und Digitales ins Internet gestellt. Im August will er ankündigen, wie und was das Orchester nachholen kann von dem, was ausfiel. Kaftan wörtlich: Wir wollen ausschwärmen und ein Netz über die ganze Stadt spinnen. Beethovens Jugendwerke stehen auf seinem Programm und er ist zuversichtlich, die Konzerte auch spielen zu können, weil sie weniger Vorlauf benötigen als große Bühnenproduktionen.
Hier sekundiert Helmich and proudly presents: Das kommt sicher auf die Bühne! Staatstheater in der Regie von Jürgen R. Weber, dessen Marx in London noch in lebhafter Erinnerung ist. Hier bildet der Kinder- und Jugendchor ein wesentliches Element. Weber hat eine coronataugliche Uminszenierung in Aussicht gestellt und will mit einer humorvollen Herangehensweise das Beste aus der Situation machen. Eine große Show verspricht Helmich mit Faust, wo die Videos von fettFilm (den Bonnern bekannt aus Giovanna d’Arco) und die Regie von Jürgen R. Weber für eine aktuelle Sichtweise bürgen. Die musikalische Leitung hat Ekaterina Klewitz inne, die auch den Kinder- und Jugendchor erfolgreich dirigiert.
Die Barockoper La Calisto von Francesco Cavalli inszeniert Jens Kerbel, am Pult wird Hermes Helfricht, der 1. Kapellmeister, stehen. Die Chorpartien werden auch hier vom Nachwuchs, dem Kinder- und Jugendchor, beigesteuert. Helmichs dezidiertes Ziel an der Stelle: keine verstümmelten Stücke auf die Bühne bringen, sondern musikalisch und szenisch vollwertige Produktionen zeigen.
Zum Abschluss ein Blick ins Ensemble. Louise Kemény, die bezaubernde Romilda aus Xerxes und die schockverliebte Sophie im Rosenkavalier, kehrt in ihre Heimat England zurück. Statt ihrer kommt Ava Gesell als Sopran ins Ensemble. Wir haben sie als verführerisch-schamlose Lola gerade erst in Cavalleria Rusticana erlebt. Außerdem ergänzt Pavel Kudinov als Bass die Stammsänger (König Heinrich in Lohengrin); weitere – noch unbekannte – Neuzugänge sind der Bariton Vincenzo Neri und der Tenor Santiago Sánchez.
Bis die Spielzeit wieder nach Plan läuft, ist für die sehnsüchtigen Opernliebhaber nun Eile geboten. Ab 20. Juni stehen die Karten für Veranstaltungen bis zum 6. Oktober zum Verkauf, ab 12. August die Tickets für alle Veranstaltungen bis zum 7. November 2020.
Drei Monate noch bis zum Neustart – aber dann wieder live in der Oper!
Fotos mit freundlicher Genehmigung des Theater Bonn © Thilo Beu