Great minds think alike – zwei Seelen, ein Gedanke. Die Oper Köln und die Semperoper Dresden führen als Silvestergala 2019 Franz Lehárs Land des Lächelns konzertant auf. Reiner Zufall oder der kluge Gedanke, dass die Champagnerlaune zum Ausklang des Jahres durchaus einen Schuss Herzschmerz und Seelenpein verträgt? Vieles in dieser diametral angelegten Szenerie der Wiener Walzerseligkeit kurz vor dem 1. Weltkrieg und der grausamen Machowelt im Reich der Mitte mag einen nachdenklich stimmen. Kann die Liebe meilenweite kulturelle Unterschiede überwinden? Wie resigniert gehen Menschen aus so einem gescheiterten Versuch? Wie fühlen sich Menschen in einem anderen Land, fern der Heimat?
Lehár hat mit seiner Operette ein Feuerwerk (!) an Hits komponiert, die bis ins ferne Asien zur Alltagskultur gehören. Zweifellos galt seine Liebe der Tenorstimme Richard Taubers, dem er die grandiosen Nummern auf die Stimmbänder schrieb. Auch in Köln, exakt 90 Jahre nach der Uraufführung in Berlin, steht der Tenor im Mittelpunkt. Von was? Worum geht’s?
Boy meets girl – die Grundstruktur aller plots. Und dann geht die Geschichte schlecht aus. No happy ending. So kurz, so traurig. Etwas detaillierter: Comtesse Lisa von Lichtenfels lässt sich bei einem Fest feiern. Sie hat ein Reitturnier gewonnen und der Schmäh des Herrn Papa: Schade, dass sie nur ein Mädchen ist. Aus ihr wäre ein fescher Leutnant geworden. Mitten im Walzer verliebt sie sich in den chinesischen Prinzen (höchster Hochadel!) Sou-Chong, auch wenn der warnt. Ob sie denn nicht die fremden Augen und das fremde Gesicht sähe. Nix da, wo die Liebe hinfällt, Lotusblüte, da verspricht der Verehrer im Opiumrausch einen Kranz aus Apfelblüten in einer Mondnacht im April. Dies Versprechen führt zum Tee à deux (von Champagner keine Spur) und zum Liebesduett.
Allerdings hat der Prinz mittlerweile auch seine melancholische Seite in Szene gesetzt. Immer nur lächeln, denn wie’s da drinnen aussieht, geht niemand was an. Erinnert stark an den Bajazzo in Leoncavallos gleichnamiger Oper. Lache, Bajazzo, auch wenn das Herz dir bricht. Ob der Mythos des unergründlichen asiatischen Lächelns seinen Ursprung in einer fahrenden Komödiantentruppe in Sizilien hat?
Den Heiratsantrag ihres ehemaligen Verehrers Gustl von Pottenstein lehnt sie hochmütig ab, die Lisa. Man möchte ihr zurufen: Warum denn in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Aber sie begibt sich entschlossen auf die beschwerliche Reise nach Peking, wo sie – wie auch immer legitimiert – Sou-Chongs Frau wird. Dem Oheim Tschang ist die Europäerin ein Dorn im Auge und so zwingt er seinen Neffen, nach jahrtausendealtem Ritus vier Mandschumädchen zu heiraten. Kein Wunder, dass sie aufbegehrt. Wer lässt sich schon gern zum fünften Rad am Wagen degradieren, zwinkert uns der Chefdramaturg Georg Kehren zu, der zusammen mit der Intendantin Birgit Meyer die Gala moderierte.
Vorher allerdings wurde Sou-Chong mit pomp and circumstance in die gelbe Jacke eingekleidet, mit der die höchste Würde des Riesenreiches verbunden ist. Das Gürzenich-Orchester zaubert fernöstliche Klänge mit beeindruckendem Schlagwerk, der Chor tritt vor der Bühne auf, die Damen links, die Herren rechts. Sie verkörpern die Krönungsfeierlichkeiten mit differenziertem Volumen und feinster Abstimmung mit den Musikern.
Der Maestro am Pult ist Stefan Soltesz. Waren seine Instrumentalisten zur Feier des Tages in Abendgarderobe erschienen, galt für ihn „kein Frack, kein Lack.“ Im ausgebeulten Straßenanzug steht er da im wahrsten Sinne des Wortes drüber. Toll zu erleben, wie unmittelbar sein Kontakt mit den Solisten und seinen Musikerinnen und Musikern war. Souverän setzt er seine Signale und stimmt zunächst ganz lyrisch auf den Operettenabend ein. Wie schön, dass das Publikum das fabelhafte Gürzenich-Orchester mal wieder en face erlebt und nicht wie sonst auf dem Neben- und Abstellgleis. So lauschen alle versunken der Ouvertüre, die wie so oft die ganze Geschichte mit allen Motiven „erzählt“. Östliche und westliche Musik im fein ineinander greifenden Wechsel: vom Wiener Ball und dem tändelnden Verliebtsein über die heißen Liebesschwüre, von der großen Reise bis zum ultimativen Bruch.
Der passiert, als Sou-Chong Lisa sehr deutlich spüren lässt, wo die interkulturellen Interferenzen liegen. In China gehört die Frau dem Mann als Eigentum, sie stellt nicht mehr als eine Sache dar. Und wenn es ihm beliebt, kann er die Frau sogar köpfen lassen. Sagt Konfuzius. Auch wenn Lisa zur traditionsbewussten feinen Wiener Gesellschaft gehört und sicher nicht als Vorreiterin der Frauenbewegung oder als Suffragette gilt (gespielte Zeit Wien/Peking 1912) – das geht eindeutig zu weit. Ihre Liebe schlägt in Hass um.
Aber die Palastmauern sind dick, ein Entkommen fast unmöglich. Wenn da nicht … ja wenn da nicht der gute Gustl wäre, der sich im diplomatischen Dienst nach China hat versetzen lassen. Auch er, der fesche Schlawi(e)ner verfällt stante pede dem Charme einer zauberhaften chinesischen Prinzessin. Mi, die Schwester Sou-Chongs, hat ihn mit ihrem feingliedrigen Charme bezirzt. Da reimt sich dann China-Girl auf Wiener-Girl und es ist klar, die beiden sind der leichtfüßige Gegenentwurf zum schwermütigen „großen“ Paar.
Dieser Gustl erkennt sogleich, was Rudyard Kipling (Autor des Dschungelbuch) schon 1889 in seinem Gedicht The Ballad of East and West schrieb:
Oh, East is East, and West is West, and never the twain shall meet,
Till Earth and Sky stand presently at God’s great Judgment seat;
(…)
Wie die Königskinder können sie zusammen nicht kommen, die (kulturellen) Wasser sind viel zu tief. Aber der schlaue Filou hat bereits einen Plan ausgeheckt, wie er mit Lisa auf einem österreichischen Frachtschiff unbemerkt aus chinesischen Hoheitsgewässern entkommt. Doch die Fluchtpläne werden überflüssig. Prinz Sou-Chong gewährt Lisa die Freiheit und verzichtet großmütig. Lächelnd entsagen sei die Philosophie Buddhas, erklärt er seiner weinenden Schwester Mi.
„Dein war mein ganzes Herz“, wandelt Sou-Chong den fulminanten Lehár-Hit um, als die Wiener den Schauplatz der Gefühle verlassen. Seine Lotusblüte kehrt in ihre vertraute Welt zurück, nachdem sie nun schmerzlich erfahren hat, was Sehnsucht und Heimat ihr bedeuten.
Das Resümee? Eine klug reduzierte Handlung mit einer manchmal etwas langatmigen, abschweifenden Moderation. Ein international renommierter Dirigent und fünf Sängerinnen und Sänger mit einem Rollendebüt – alle aus einem „anderen“ Land. Und fünf Stimmen, die das Publikum begeisterten. Entzückend Veronika Lee, die als Gast aus Bielefeld die filigrane Mi gab. Ein Herzensbrecher in der Charme-Offensive Miljenko Turk, der den Gustl von verliebt bis a bissl verschlagen, kess und leichtfüßig mit seinem schönen Bariton sang und spielte. Insik Choi durfte nur kurz als böser Tschang glänzen. Kristiane Kaiser liegt natürlich das Weanerische im Blut, die Primadonna des Abends sang im Solo und im Duett ihren strahlenden Sopran aus, vielleicht an einigen Stellen a bissl zu opernhaft.
Der Star des Abends? Der hätte zunächst mal keine Übertitel benötigt. Perfekte Aussprache, jede Silbe verständlich. Darstellerisch (eher eine halbszenische Aufführung) und gesanglich gestaltete Young Woo Kim die Partie des Sou-Chong meisterlich. Ein echter shooting star! Aus dem Opernstudio direkt ins Ensemble! Da passt jede Geste, da springt der Gefühlsfunke über, da moduliert er von lyrischen Passagen zu großem Fortissimo – einfach wunderbar. Sein Tenor kommt wie aus einer anderen Welt, so sauber akzentuiert, so glänzend intoniert. Jede Frau im Publikum hätte sich gewünscht, was nur wenigen vergönnt ist: Er beugte sich zu ihr vor und sänge nur für sie.
„Dein ist mein ganzes Herz!
Wo du nicht bist
kann ich nicht sein
So, wie die Blume welkt
wenn sie nicht küsst
der Sonnenschein!
Dein ist mein schönstes Lied
weil es allein aus der Liebe erblüht
Sag mir noch einmal
mein einzig Lieb
oh sag noch einmal mir
Ich hab dich lieb!
(…)
Die zweite und einzige weitere Aufführung findet am 4. Januar 2020 im Staatenhaus 2 in Köln statt. Karten gibt es hier.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Oper Köln ©paul@leclairefoto.de