Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst. Ein echtes Wiener Urgestein gab sich wenige Tage nach der Premiere des Rosenkavalier von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss die Ehre. Bereits mit 15 Jahren half Hermann Dechant als Flötist bei den Wiener Philharmonikern aus, absolvierte eine große Karriere als Soloflötist bei den Bamberger Sinfonikern, studierte außer Musikwissenschaft auch Kunstgeschichte, wurde Professor für Dirigieren und Orchesterleitung, gründete einen eigenen Musikverlag und rief – gemeinsam mit seiner Frau Margit Haider-Dechant – das Joseph-Woelfl-Haus in Bonn-Lessenich ins Leben. Mit den Gästen der Opernfreunde Bonn beleuchtete er den Rosenkavalier als einmaligen Fall der Operngeschichte. Warum?
Den meisten Opern liegen Libretti zugrunde mit einem oft schlichten bis dümmlichen Text, die der Komponist mit seinen Musik zu einem großartigen Stück macht. Beim Rosenkavalier führen zwei Genies ein Schauspiel und eine Komposition zusammen. In diesem „Kunstwerk der Spitzenklasse“ hält Hugo von Hofmannsthal nach den Regeln der aristotelischen Poetik die klassische Einheit von Raum, Zeit und Handlung ein: Am Morgen das Lever der Marschallin, am Nachmittag die Brautwerbung im Hause Faninal, am Abend die Lösung im Beisl. Neu hier bei der Gesellschaftskomödie als Oper: Sie spielt nur im Innenraum, quasi als Kammerstück.
In Österreich hat die Aufführung des Rosenkavalier als Sprechtheater eine lange Tradition und man braucht nicht viel Fantasie dazu, sich Helmut Qualtinger als den Ochs auf Lerchenau vorzustellen. Das Grobschlächtige bringt der Ochs aus seiner Heimat Niederösterreich mit, auf das die Wiener mit Verachtung herabblicken. Ein kleiner Baron, dessen größter Stolz der Dunghaufen hinterm Haus ist und an dessen Stiefel immer Lehmboden klebt. Mit adlig-rudimentärer Bildung ausgestattet, verfügt er über einen dickschädliges Selbstbewusstsein.
Die Fürstin Werdenberg allerdings gehört zum Uradel, das Geschlecht ist historisch belegt, aber seit dem 15. Jahrhundert ausgestorben. Sonst hätten Hofmannsthal und Strauss wohl sehr mit juristischen Konsequenzen der Familie rechnen müssen. Immerhin war die Affäre der Marschallin mit dem jungen Liebhaber ein Skandal! Der Graf Rofrano ist der Spross einer schwerreichen Adelsfamilie, ein Marchese mit italienischem Ursprung. Vor dem Hintergrund kann er sich leicht mit der schlitzohrigen Verschlagenheit seines Landsmanns Valzachhi arrangieren. Er besticht halt einfach üppiger als der geizige Ochs.
Die schwarze Zeitung als Klatschpresse der Entstehungszeit hat es wirklich gegeben – allerdings nur für einen exklusiven Kreis. Zu lesen war von den Eskapaden in der österreichischen Gesellschaft. Wenn der Adel nur recht ausgiebig gegen das 6. Gebot verstoßen hatten, trugen die Beichtväter ihnen als Buße auf, Kirchen und Klöster zu bauen. Reiche Pfründe auf der anderen Seite ermöglichten es dem Klerus, Schlösser zu bauen und Mätressen zu etablieren. Verkehrte Welt!
Der Herr von Faninal schließlich ist die modernste Figur des Stücks. Er besaß 12 Häuser an der Wied’n, einem früh industrialisierten Bezirk gleich im Anschluss an den Naschmarkt. Faninal machte ein immenses Vermögen mit einem metallverarbeitenden Betrieb, der hauptsächlich die Rüstungsaufträge des Hofs bediente. Für seine Verdienste adelte die Kaiserin ihn, was seine tschechische Herkunft im Ansehen anhob. Nun war die einzige Tochter, die Sophie, sein Aufstiegsprojekt. Er schickte sie auf eine Klosterschule, was sonst nur dem echten Adel vorbehalten war, hatte doch Maria Theresia die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Wenn sie erst den Erbtitel der Baronin ergattert hätte, wäre ihr der Einstieg in höhere Kreise gewiss. Schließlich beurteilte Faninal die Lebenserwartung des Ochs sehr treffend: Sein ausschweifender Lebensstil mit Fressen und Saufen würde ihm einen frühen Tod bescheren. Dann wäre die Sophie frei für eine zweite Heirat, bei der mindestens ein Graf oder ein Fürst herausspringen müsste.
Auch zum schwarzhäutigen Lakaien Mohammed hatte Dechant Amüsantes in petto. Eine historisch verbriefte Figur, kam er als Angelo Suliman 1721 nach Wien und legte eine sensationelle Karriere hin. Er wurde Hofmohr und Zeremonienmeister in Mozarts Freimaurerloge, brachte es schließlich bis zum Botschafter. Das hinderte den Hof allerdings nicht daran, ihn nach seinem Tod ausstopfen zu lassen und in einer Vitrine zur Schau zu stellen. Alle Versuche, ihm ein christliches Begräbnis zu bereiten, scheiterten, bis eine Kriegsbombe 1945 die Vitrine zerstörte.
Dechants Analogien zum heutigen Wien waren gleichermaßen erhellend wie amüsant. So bezeichnet man dort heute die Politikerkaste als Bagagi, was in der Oper das bunte Volk im Antichambre ausmacht. Und den Wiener Damen sage man heute noch nach, sie seien unterbeschäftigt, reich und intrigant. Kein Wunder, dass ein Ochs, den man gerade vom Rübenacker geholt und in eine Livree gesteckt hat, dort dem Spott und der Schadenfreude preisgegeben ist. Zumal das Verkleiden wie in der Spukszene im Wirtshaus zu den beliebten Wiener Hobbys gehört.
Ein Detail hebt Dechant dabei hervor. Ochs trägt eine mit Mehl bestäubte Perücke – und das ist wirklich nur dem Adel vorbehalten. Und er muss kleinlaut den Schauplatz seiner Niederlage räumen, denn 1752 regierte die Keuschheitskommission, deren Sittenpolizei drakonische Strafen verhängte.
Hofmannsthal hat in das Kammerstück den Grundzug zum Intimen gelegt – dagegen steht Strauss mit seinem üppigen Orchester von 100 Musikern. Er habe die Bläser so stark besetzt und dann mussten die Streicher da ein Gleichgewicht herstellen. Deshalb sei die Oper so schwer zu dirigieren: Bei der Besetzung haben es die Sängerinnen und Sänger mit dem anspruchsvollen und umfänglichen Text schwer, durchzudringen. Dechants knappe Pointe an der Stelle: Durch die orchestrale Überfrachtung wird das Kammerstück zur Staatsaffäre.
Und wer den Ochs mit seiner Bassarie „Ohne mich …“ noch im Ohr hat, dem sei gesagt, Strauss hat deutsche Walzer komponiert, keine Wiener Walzer.
Professor Hermann Dechant führte Historisches und Anekdoten zum Rosenkavalier aus auf Einladung der Opernfreunde Bonn e.V. Es lohnt sich, hier Mitglied zu werden und immer wieder so herzerfrischend lebendige Vortragsabende mit Opern – und Musikexperten zu erleben.
Hallo Hermann ! Franz, Cellist
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