Freude, schöner Götterfunken … Nein! Statt des großartigen Orchesterwerks mit Gesang erklang die sechste Sinfonie, Beethovens Pastorale, auf der Bühne der Oper Bonn. Der Titel verrät das Thema: Es geht hinaus in die Natur. Aber zaubert Beethoven mit Tönen die ländliche Idylle, malt er eine Hymne an die Landpartie einer adligen Gesellschaft? Wie immer, wenn GMD Dirk Kaftan außer dem Taktstock auch das Mikrofon griffbereit hat, darf das Publikum sich auf Hinweise zu neuem Hören freuen. Und diesmal auch auf ein anderes Sehen.
Ein voll besetztes Opernhaus am frühen Freitagabend – aber nicht das gefönte Silberhaar der regelmäßigen Operngäste dominierte, sondern die lässigen Sneaker-Jeans-T-Shirt Kids, so zwischen 15 bis 17. Als Jugendkonzert b+ präsentierte sich mit b.jung ein großartiges Projekt, zu dem man alle Beteiligten nur beglückwünschen kann.
Was wurde auf der Bühne gespielt? Selbstredend die Sechste, bei der das Bonner Orchester mit dem Komponisten im Namen eben diesem alle Ehre machte. Fünf Sätze umfasst das Werk – ungewöhnlich genug – und fünf Bonner Schulen hatten dazu jeweils eine künstlerische Performance einstudiert.
Los ging’s mit der Percussion zum „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“, dem ersten Satz allegro ma non troppo. Eine eigenständige Interpretation des ersten Satzes. „Das ist ein Mikrofon, kein Krokodil“, überwand Kaftan witzig die erste Scheu bei den Schülerinnen und Schülern. Dann aber sprachen sie von der heiteren, entspannenden Wirkung der Natur auf die Menschen, über das Einssein mit der Natur, mit der fröhlichen Stimmung. „Hmmm,“ Kaftan lobte und wiegte dann doch skeptisch den Kopf. „Ob Beethoven so ein nettes Bild von der Natur malen wollte?“ Immerhin sei er doch musikalisch ein echter Revolutionär gewesen und hätte sich gegen vieles auch in der Gesellschaft aufgelehnt.
Diesen Gedanken griff Kaftan später, beim Intro zm Hirtengesang, den „frohen und dankbaren Gefühlen nach dem Sturm“, wieder auf. Zu Beginn hören wir eine einfache Tonfolge, den Schweizer Kuhreigen, der auf Alphörnern geblasen über die Schweizer Berge hinweg die Nachricht zu gutem Wetter übermittelte. ABER … „Die Leute damals hörten noch mehr“ so Kaftan. Bei Schweiz hatten die Menschen gleich die Assoziation von Aufstand gegen ungerechte Herrschaft, Wilhelm Tell, Rebellion. Hier versteckt Beethoven einen Appell an die Menschen. Seid mutig, tut was, nehmt euer Schicksal selbst in die Hand!
Genau das war die Botschaft des Abends. Lange vor Greta, lange vor den Freitagsdemonstrationen FfF, Fridays for Future, erfolgte die Planung für dieses außergewöhnliche und in jeder Hinsicht gut gelungene Projekt. Schnell hatten nämlich die Schülerinnen und Schüler nach brainstorming und mind maps die Idee, die entsetzliche Ausbeutung der Natur, die unfassbare Dimension des Plastikmülls zu thematisieren. Am professionellsten kam das in dem Video zum dritten Satz zum Ausdruck. Ein Allegro für das „lustige Zusammensein der Landleute“ deuteten sie um in eine Barbie-Welt, wo Königin und König sich zur Hochzeit herausputzen, wo eine Rollerskaterin Traumrunden drehte, wo der Gegensatz zwischen Beton in Tannenbusch und der Sehnsucht nach der Natur greifbar wurden.
Kaftan setzte sich einen Ohrclip ein und erläuterte: „Ihr stellt uns da vor eine echte Herausforderung. Normalerweise legt man unter so eine Video ja eine Tonspur und gut iss. Wir spielen jetzt live dazu. Mal sehen, ob das klappt. Wir geben uns Mühe.“ Und wie das passte! Tosender Applaus war der Dank an die Schülerinnen und Schüler der Projektgruppe Klasse 9 der Freiherr-vom-Stein-Realschule. Die Freude am künstlerischen Ausdruck – insbesondere auch Maske und Tanz – kamen ungebremst beim Publikum an. Toll! Und was Kaftan auch wichtig war: Den Tanz komponierte man damals für die adlige Gesellschaft, Beethoven aber widmet ihn den einfachen Leuten – ein revolutionäres Vorgehen!
Ganz der Musik verschrieben hatte sich der Musikkurs Klasse 9 des Tannenbusch-Gymnasiums. Da erklommen Saxophon, Trompete und Flöte die Bühne, Geigen, Celli und ein Bass gesellten sich dazu, ein Keyboard und ein Schlagzeug machten die Sache rund. Beethoven – spielen wir neu! Die liebliche „Szene am Bach“ interpretierten sie gemeinsam. Ihr Musiklehrer hatte ihnen eine Pentatonik-Tonleiter gegeben, auf deren Grundlage sie improvisierten. Und jeder und jede bekam ein Solo. Kaftan lehnte lässig am Pult und lächelte; er freute sich sichtlich über das musikalische Engagement der jungen Leute.
Sein ausgeprägtes Moderatorentalent sorgte für etliche Lacher. „Das ist bei uns oft genauso“ kommentierte er mitfühlend das Bedauern eines Teamsprechers, der sich für einen Fehler entschuldigte. „Bei den Proben hat das noch super geklappt.“ Er brachte seine Truppe zur Räson, indem er kräftig mit dem Fuß aufstampfte. „Das mache ich auch so“, meinte Kaftan, „das hilft immer.“
Natur und Mensch – da muss man sich richtig „reingrooven“ laut Kaftan. Er schilderte, dass die Menschen zu Beethovens Zeiten Todesangst bei Gewitter litten. Sie konnten sich die physikalischen Zusammenhänge noch nicht erklären. Was uns heute droht? Das machte eine Schauspielperformance des Sportkurses Q1 der Integrierten Gesamtschule Bonn-Beuel deutlich. Müll, Plastik, eine deformierte Natur, die uns nicht mehr lange erhalten wird. Ob verstecken hilft? Sicher nicht! Ein dringender tänzerischer Appell, das jetzt tobende Gewitter der verletzten Natur endlich ernst zu nehmen.
„Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“ brachten die Musikkurse Q1 des Amos-Comenius-Gymnasiums zum Ausdruck. Der fünfte Satz der Sinfonie birgt ein kontinuierliches Brechen der Idylle, das die Schülerinnen und Schüler sehr reif inszenierten. Ein wandernder Werther-Eichendorff look alike in Gehrock und roter Halsbinde irrte suchend durch die Zeit. „Wir tun so, als hätten wir einen zweite Erde im Kofferraum“, beklagten sie den Missbrauch unserer kostbaren Ressourcen. Und Horrorszenarien zum Klima in 2050 malten Bilder von Wüsten vor der eigenen Haustür und steigenden Meeresspiegeln.
Kaftan schilderte sehr anschaulich, wie Beethoven im Siebengebirge, so am Waldrand am Hang zu den Weinbergen wanderte und sich intensiv mit dem Menschen und seinem Leben in der Natur auseinandersetzte. Wie er seine Empfindungen in Musik kleidete und so ohne Worte Botschaften an die Menschen richtete. Sehr eingängig für die jungen Menschen, die mit den Hinterlassenschaften – im wahrsten und im übertragenen Sinne – ihrer Elterngeneration leben müssen. Der Schülerschauspieler auf der Bühne war keineswegs „froh und dankbar“, sondern besorgt und verunsichert. „Mich wundert, dass hier nur junge Menschen sind.“ Die Beethoven-Botschaft? Alle mal mitmachen beim Retten der Natur und unseres Planeten. Aber a bissl pronto bis presto, bitte sehr!
Ein sehr eindringlicher und bewegender musikalischer Abend ging mit den Flötenklängen von Nachtigall und Kuckuck zu Ende …
und mit dem grandiosen Schlussbild mit allen Profis und Amateuren, denen Dirk Kaftan heftigen Beifall spendete. Und das Publikum auch!
Hier alle Beteiligten mit den top engagierten Künstlerinnen und Künstlern im Projekt und den Projektbetreuerinnen.
Zum Nachhören eine erzählte Erklärung der 6. Sinfonie. Auf Englisch, aber gut verständlich. Bei play music von google kostenfrei zu finden, vielleicht auch bei spotify.
Hier gibt es alle Infos zu den nächsten Konzerten und Performances mit dem Beethoven Orchester Bonn.
Danke für den anschaulichen Bericht.
Ich war in einem sehr gelungenen Liederabend im Schumannhaus mit vier jungen Interpretimmen, aber im Publikum der übliche Altersdurchschmitt. Schade (allerdings gehöre ich ja auch dazu)!
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