Benvenuto a Venezia! Strahlende Schönheit und dunkle Gassen, stolze Weltmacht mit morbiden Abgründen, Schauplatz für die Filmkaiserin Sissi mit ihrem Franzl genauso wie für trauertragende Gondeln. Und eben auch für die Oper La Gioconda, die auf dem Markusplatz, der Giudecca, einer unbewohnten Insel und auf einem Schiff in der Lagune spielt. Die Uraufführung erlebte der Komponist Amilcare Ponchielli am Teatro alla Scala 1876 in Mailand.
Knapp vierhundert Jahre alt war Leonardo da Vincis Meisterwerk La Gioconda, die Mona Lisa, da bereits. Jeder kennt das faszinierende Gemälde im Louvre, und eine Kopie hier aus dem Internet einzupflegen erübrigt sich. Das Rätsel ihrer Anmut bleibt bis heute ungelüftet. Allerdings sind sich alle sicher, dass das Freudige, der Liebreiz, die innere Schönheit durch den Firnis scheinen. Und dadurch zeichnet sich auch die Titelheldin der Oper aus. Sie betört nicht nur als Straßensängerin durch ihren zu Herzen gehenden Gesang, sondern zeigt wahre innere Schönheit und Größe, als es um Mord und Totschlag, Liebe, Verrat und Verzicht geht.
Hört sich bekannt an, oder? Die Opern dieser Zeit schöpfen das ganze Spektrum menschlicher Empfindungen und Abgründe aus. Häufig mit haarsträubenden Hakenschlägen im Plot, die aber dem Drama der Ereignisse nur weiteren Zündstoff liefern. Und hier zeigt sich die eigentliche Krux der Premiere: Eine konzertante Aufführung steht auf dem Programm, die Handlungsstränge erfahren keine Visualisierung durch Spiel und Requisite. Darf ich euch da ein wenig auf die Sprünge helfen? Dann heißt es an Neujahr „Sit back and relax and enjoy the wonderful music.“
Ponchiellis Librettist nutzte als literarische Vorlage das Drama Angelo Tyran de Padoue von Victor Hugo, verlegt aber die Handlung gleich von Padua nach Venedig in den direkten Zugriff der Inquisition und der unbarmherzigen Politik des Rats der Zehn (wir erinnern uns mit Schaudern an I due Foscari von Verdi). Und hier entfaltet sich ein komplexes Beziehungsgeflecht. Die großen Gegenspieler sind La Gioconda, eine Straßensängerin, die ihrem Namen alle Ehre macht, und Barnaba, die Personifizierung des bösen Intriganten. Für die weibliche Hauptrolle braucht es einen starken und gleichzeitig warmen Sopran, wie ihn im Bonner Ensemble Yannick-Muriel Noah wieder wie so oft erklingen lässt. Ihren Antagonisten singt Ivan Krutinov, der als Bariton seine Bosheit sängerisch unter Beweis stellen wird. Der Böse ist immer der Bariton!
Ziehen Gegensätze sich an? Sprichwörtlich? Oder nur für den Opernplot? Auf jeden Fall begehrt Barnaba die Straßensängerin, die mit ihrem weltlichen und kirchlichen Gesang nur Freude unter die Menschen bringt. Sie lässt ihn mehrfach abblitzen und beschwört damit seine garstige Rache herauf. Hier kommt die alte blinde Mutter der Gioconda ins Spiel. Sie ist fromm und sieht Dinge, die dem Auge verborgen bleiben. Das ist Barnaba unheimlich und kurzerhand spinnt er eine Geschichte, nach der La Cieca (die Blinde) ein Schiff so verhext haben soll, dass es unterging. Er wiegelt das Volk, das eben noch nach Brot & Spiele Manier dem Karnevalstreiben frönte, als Mob auf und alle fordern ihren Tod. Große Chorszenen gestalten diese Szenen. Und die Cieca …
Diese Partie wird Ceri Williams zuteil, in Bonn als Auntie in Peter Grimes oder Helene im Marx so beliebt beim Publikum. “ I get to sing one of the best Contralto arias ever written – ‚Voce Di Donna‘.“ sagt Ceri selbst über ihren gesanglichen Start in das Jahr 2019.
Nun kommt das zweite Paar ins Spiel – im wahrsten Sinne des Wortes . Laura und ihr Ehemann Alvise, einer der Großinquisitoren Venedigs. Ihre Ehe wurde zwangsgestiftet und lässt sich deshalb nicht ganz glücklich an. Dass die beiden über Kreuz liegen, zeigen schon die Stimmen: Können ein Mezzosopran und ein Bass zusammenpassen? Dshamilja Kaiser singt die Laura, Leonard Bernad den Alvise. Seien wir gespannt, wie die Kaiser die Liebe zu einem anderen Mann und ihren Todesschlaf à la Julia-ohne-Romeo übersteht. So ganz ohne Drama und Wahnsinn wie als Penthesilea oder Ortrud lernen wir sicher neue Facetten an ihr kennen. Der Gatte Alvise hat nur zwei entscheidende Auftritte. Zunächst einmal begnadigt er auf Bitten seiner Frau Laura im ersten Akt die Cieca: Wer einen Rosenkranz betet, kann keine Hexe sein. Diese kleine Requisite trägt am Ende zu einem glücklichen Ausgang für das happy couple Enzo & Laura bei. Aber soweit sind wir noch nicht mit der Großmut und dem Liebreiz der Gioconda. (Hier schon mal ein kleiner Hinweis auf die dramatis personae der Oper. Die Personen von Stand haben Eigennamen. Die beiden einfachen Frauen aus dem Volk heißen aber nur die Blinde und die Freudige; der Librettist verzichtet auf die Individualisierung.)
Nun zur Intrige. Der erste Akt hat es wirklich in sich. Der Genueser Prinz Enzo, der aus Venedig verbannt wurde, kehrt verbotenerweise zurück. Der dämonische Handlanger der Inquisition Barnaba weiß auch das und könnte Enzo umgehend ans Messer liefern. Hochverrat wird mit Exekution bestraft. Aber er spannt ihn für seine Zwecke ein. Enzo liebt die Gioconda nicht mehr, sondern sein Herz brennt für Laura. Aus Hass darüber, dass die Gioconda ihn abgewiesen hat, macht Barnaba Enzo zu seinem Komplizen, um Gioconda ausgiebig zu quälen. Alvise wird abends im Dogenpalast sein, wo der Rat der Zehn tagt. Laura kommt zu Enzo auf sein Schiff, Gioconda wird unter einem Vorwand ebenfalls dorthin gelockt. Ihr soll das Herz brechen. In einem wunderbaren Duett mit ihrer Mutter konstatiert die Gioconda über ihre Zukunft „Il mio destino è questo: O morte o amor!“ Die Musik weissagt: Du wirst zu Tode kommen.
Mit George Oniani tritt nun der Tenor in Aktion. Nicht der Sopran wird am Ende in Liebe mit ihm vereint sein, sondern der Mezzosopran. Ja, er lässt eine alte Liebe fallen, um eine größere zu erringen. Die dazu noch die Angetraute eines Höhergestellten ist. Da macht es Sinn, sich schleunigst vom Ort des Geschehens zu entfernen, vor allem aus dem Machtbereich des Dogen. Dessen Ratsherr Alvise wird nun vom Ehebruch seiner Laura unterrichtet und ordnet an, dass sie sich mit Gift tötet. Die Leiche will er als Trophäe seinen Gästen vorführen. Allerdings vertauscht die Gioconda die Phiole gegen ein Mittel, das einen todesähnlichen Schlaf herbeiführt (Shakespeares Julia) und lässt die komatöse Laura aus dem goldenen Palast in ihre schäbige Unterkunft entführen.
Dort erwacht sie und ein wunderbares Duett machen die Rivalinnen um Enzos Liebe fast zu Vertrauten. Als die Gioconda allerdings den Dolch aus dem Gewande zieht, um Laura den Todesstoß persönlich zu versetzen, entdeckt sie den Rosenkranz ihrer Mutter in deren Händen. Laura war die Inkognito-Dame, die bei Alvise bewirkte, dass La Cieca begnadigt wurde. Die Gioconda verhilft dem Liebespaar zur Flucht und findet sich mit ihrem Verfolger Barnaba allein, der sich am Ziel seiner Wünsche wähnt. Der reibt sich schon die Hände: den Rivalen clever aus dem Weg geräumt und nun befindet sich die Gioconda in seiner Gewalt. Sie gibt vor, sich zur Vereinigung schmücken zu wollen und fingert dabei den Dolch aus dem Mieder. Ein zweites Mal. Dieses Mal richtet sie ihn gegen sich selbst und sticht sich ins Herz. Morte! „Volesti mio corpo, dimon maledetto? E il corpo ti do. “ (Du wolltest meinen Körper, verfluchter Dämon? Den gebe ich dir.) Auf die letzte Reise schickt der durch und durch Böse die Gioconda mit der Nachricht, dass er ihre Mutter ertränkt habe. Überstürzt geht er ab in die Dunkelheit.
Was für ein Ritt! Voller Gegensätze! Große Gefühle! Da wechseln sich üble Nachrede und Häme mit monumentalen Chören zu Regatta und Karneval ab, die Heiterkeit des Volksfests mit den Abgründen der menschlichen Seele. Da verzaubern Duette in allen Kombinationen (Tenor und Sopran, Bariton und Bass, Mezzo und Sopran, Alt und Sopran) und da berühren ergreifende Solonummern bis hin zur Suicido-Arie der Gioconda. Da kontrastieren frommes Gebet und das Glockenläuten von San Marco mit Walzerklängen und Märschen. Und da ziehen Komponist und Librettist alle Register der menschlichen Machenschaften, vergleichbar durchaus mit den Ränkespielen moderner TV-Serien.
Der Erste Kapellmeister Hermes Helfricht dirigiert an Neujahr seine erste ganz eigene Produktion hier in Bonn. Freuen wir uns also darauf, dass Orchester, Solisten und Chor aus dem instrumentalen und vokalen Vollen schöpfen. Wer Verdi-Opern mag, wird auch dieses Melodram von Ponchielli lieben. Spätestens dann, wenn der weltberühmte Stundentanz erklingt, der auch eine Allegorie auf die kurze Zeit unseres irdischen Daseins bildet.
Anders als in den Vorjahren führt das Theater Bonn diese konzertante Neujahrsproduktion weitere Male auf. Termine und Tickets auf theater-bonn.de
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