Xerxes – una matinée divertente

Ombra mai fu … In den süßesten, zartesten Tönen besingt der despotische Kaiser Xerxes seine Liebe zu einer Platane.  Wie kann ein Militär, ein Diktator in Uniform, der seinem Bruder aus einer spontanen Laune heraus dessen große Liebe streitig macht, eine Platane so zu Herzen gehend musikalisch anbeten? Eine unterhaltsame und frisch-fröhliche Matinee in der Oper Bonn nahm diese und viele andere Fragen zwei Wochen vor der Premiere der Barockoper Xerxes von Georg Friedrich Händel unter die Lupe.

Moderator der Runde war Richard Lorber, Musikredakteur beim WDR und künstlerischer Leiter des Festivals für Alte Musik in Herne. Da befand sich gleich in bester Gesellschaft als weiterer Experte für dasselbe Genre der argentinische Dirigent Rubén Dubrovsky, der die musikalische Leitung des Stücks innehat. Das Podium allerdings – und die Zuneigung des Publikums – eroberte im Sturm Leonardo Muscato, der zum ersten Mal in Bonn und in Deutschland überhaupt inszeniert. Ihm zur Seite Anna Linoli, Marketingdirektorin der Oper Bonn. Sie hatte zwei Aufgaben: in und aus ihrer Muttersprache Italienisch zu übersetzen und dabei stets die Herren zu zügeln. Sowohl die Fülle der Fragen als auch die Komplexität der Antworten veranlassten sie häufig zu einem deutlich vernehmbaren „Stopp!“. Sie managte die Diskutanten charmant und souverän. Eher blass blieb dabei Andrea Belli, verantwortlich für die Bühne im Xerxes.

Richard Lorber liebt Struktur und beglückte die Sonntagmorgengäste mit einer Grafik der Personenkonstellation. xexes_richard_lorber.jpgEigentlich ist die Geschichte konfus, aber mit ein paar Beziehungspfeilen leicht aufzudröseln. Im Mittelpunkt also der Titelheld, verlobt mit Amastre. Sein Bruder Arsamene liebt Romilda, die Schwester von Atalanta, die wiederum Arsamene als ihren Herzbuben auserkoren hat. So weit so gut. Nun hält sich aber Xerxes für völlig unwiderstehlich – und wir alle wissen, was narzisstisch veranlagte Menschen in Gefühlsturbulenzen tun: sie nehmen sich, was sie begehren. Damit ist der Konflikt gesetzt. Nun neigt der um sein Liebesglück betrogene Bruder zu Selbstmitleid und selbst die Eifersucht verleiht ihm nicht die Kraft, gegen Xerxes vorzugehen.  Da sind noch mehr Figuren auf dem Blatt? Ja, Elviro und Ariodate, die lassen wir heute wie echte Randfiguren zunächst mal außer Acht.

Der Regisseur Leo Muscato liebt seinen Xerxes, den spontanen, leicht durchgeknallten Diktator. Wie alle anderen Figuren in dieser Oper sei er leicht zu charakterisieren, dabei aber komplex. Es gebe keine nur tugendhaften Charaktere oder ausschließlich böse. Bei der Präsentation seiner Atalanta gerät Muscato richtig ins Schwärmen. Er zeigt sie als unschuldige Sexbombe, nicht als schlaue Schlange, sondern als eine einigermaßen tragische Figur, deren Attraktivität irgendwie ins Leere läuft. Mit einer kleinen Intrige hier und einem delikaten Geheimnis da wurstelt sie sich so durch und singt – nach Manier des Cyrano de Bergerac – ein Liebeslied quasi für Romilda. Da dürfen wir vor allem auf die schauspielerischen Finessen des Ensembles gespannt sein.

Andrea_Belli_Leonardo_Muscato_Kostüme_Regie_XerxesMuscato war vollkommen überrascht, als er zur ersten Probe anreiste und sein Konzept erörterte. Er habe den Plan, und alle gehen gemeinsam auf die Reise. Begeistert habe das Ensemble seine Ideen aufgenommen. Komik können die hier! Singen aber auch! Also beste Voraussetzungen für seine Intention: Das Publikum hat Spaß und erfreut sich an der Musik , an der Theater- und Bildsprache.

Drei Kostproben boten drei Damen an. Neu im Ensemble Luciana Mancini, einigen aus Maria de Buenos Aires bekannt. Insgesamt sieben Arien umfasst ihre Rolle, die erste gleich das weltberühmte Ombra mai fu,  Händels Largo auch als Gassenhauer der klassischen Musik manchmal richtiggehend verwurstet. Daniel Johannes Mayr begleitete alle Sängerinnen am Flügel.  Hinreißend sah Luciana Mancini aus im androgynen schwarz-weißen Outfit, das die Hosenrolle vorwegnahm. Wo früher der Countertenor (im Barock der Kastrat) die hohen Lagen erklomm, besetzt Muscato mit einer Mezzosopranistin.  „Is this your favourite aria?“ ging es nun auf Englisch weiter. Ein entschiedenes „No!“ kam postwendend. Sie liebe die letzte Arie, wo sie voller Hass und Wut ihre Gefühlspalette ausspiele.  Das sei so „very ganz anders.“  Applaus und Lacher gingen auf ihr Konto.

Si, si, mio ben …  Marie Heeschen erklärt als Atalanta Arsamene ihre Liebe als … ob. Hier hat Händel einen Walzer komponiert, wobei Tänze traditionell als Lieblingstransportmittel für die ganz großen Gefühle stehen.  Wie temperamentvoll und mit Jungmädchencharme Marie Heeschen auch spielt und tanzt, wissen wir. Mit großen Gesten,  viel Tempo und Bewegung soll die Oper über die Bühne gehen.

Romilda gibt Louise Kemeny, in ihrer Rolle wie im Leben sehr jung, verliebt in Arsamene, die Liebe selbst und die abstrakte Idee von der Liebe. Die Regie versetzt sie in eine Zauberwelt, in der sie ihren Träumen nachhängt. Muscato zu dieser Figur: Sie ist supernett, aber wenn ihr jemand zu nahe kommt oder ihr etwas wegnehmen will, wird sie zur Furie oder zum Tier. Hier springt der Regisseur vom Sessel auf und spielt, was er meint. Sehr überzeugend, er ist eben auch Professor für Theaterwissenschaft und selber Schauspieler.

Interpretatorisch wollte Richard Lorber dieser Figur auf den Grund gehen. Wie denn so ein junges, unschuldiges Mädchen ohne jede Lebenserfahrung so standhaft sein könne, lautete die Frage in Richtung Regisseur. Der schüttelte amüsiert den Kopf. Jetzt habe er schon zweimal versucht, einen Seminarinhalt von zwei Tagen in zwei Minuten rüberzubringen und dann diese Frage, die typisch aus der naturalistisch-realistischen Sicht stamme. Diese Perspektive sei aber für das märchenhafte Spektakel des Xerxes unangemessen. Kleiner Schlagabtausch unter Experten, sehr unterhaltsam für das Publikum.

Rubén Dubrowsky_Dirigent Xerxes.jpgSo viele Fragen hatte der Moderator vorbereitet, aber gegen die Eloquenz von Leo Muscato kam er kaum an. Dieses Podium war ein Selbstläufer. Ebenfalls wortgewandt, aber auf Deutsch, erlaubte Rubén Dubrovsky Einblick in die musikalische Anlage der Inszenierung. Er wird am Pult eine kleine Besetzung des Beethoven Orchesters Bonn dirigieren, keine historisierende Aufführung, aber der Swing der Musik soll authentisch klingen. Deshalb ein bescheidenes Kammerorchester, für die (in der Barockoper) zahlreichen Rezitative Cembalo und Theorbe. Das Orchester also so intim wie einer Familiengeschichte angemessen.

Bleibt die Frage nach der Länge. Was halten wir Heutigen entspannt aus? Wie lange dauert unser Vergnügen an der Sache? Na, zweimal ein Stündchen, sei der Konsens zwischen Muscato und Dubrovsky gewesen. „Wir wollen mit unseren Mitteln einen tollen Theaterabend machen“, so der Dirigent. Dann benutzt er ein sehr eingängiges Bild für die gemeinsame Vorgehensweise. Prämisse: Das Werk des Komponisten ist heilig. Verfahren: Um es spielbar zu machen, wählen wir aus. (Hui, das böse Wort „kürzen“ unbedingt vermeiden!) Es gibt Elemente, die weder die Handlung vorantreiben noch musikalisch erquicklich sind. So, und die bleiben, wie selten oder nie gezeigte Kunstwerke im Museum, im Keller. In aller Kürze: Wir kuratieren das Werk.

Wenn wir bei der darstellenden Kunst sind, werfen wir doch abschließend einen Blick auf Bühne und Kostüme, soweit Andrea Belli Details verriet. Also die Platane … besingt Xerxes gleich zu Beginn. Der Herrscher hat einen Traum, ein Ziel, ein Ideal. Wie zeigt so einer der Welt, wo es lang geht? Mit einer Atombombe! (Ähnlichkeiten mit asiatischen Potentaten sind möglicherweise beabsichtigt.) Was für ein Widerspruch zwischen liebevoller Sehnsucht und abscheulicher Waffe! Dazu Muscato: „Die Figuren leben alle in Widersprüchen, das macht Händel so spannend.“ Belli schlägt dann noch mal den Bogen. Am Ende wächst aus der Rakete eine Platane, das Symbol in Xerxes‘ herrschaftlichem Ahnenwappen.

Karten gibt es – auch für die Premiere am 7. Oktober 2018 – noch in allen Kategorien. Theater Bonn

 

 

2 comments

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    • Matilda in der Oper

      Ja, das wird ein Spaß, wenn ein Leo Muscato Regie führt, der zuletzt Carmen hat José erdolchen lassen. Und das in Italien! Rubén Dubrovsky ist Argentinier und Spezialist für alte Musik. Excellent vibes zwischen den beiden. In Berlin zogen sie in den Gefühls- und Handlungsturbulenzen ein Annagram auf: Sex Rex!

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