Schwarzbefrackt sitzen die Damen und Herren im Orchestergraben. Einheitlich und sehr dunkel gekleidet nehmen sie sich in der Oper optisch so weit wie möglich zurück. Das Publikum soll die Musiker akustisch erleben, nicht optisch. Ganz anders die visuelle Ausdruckskraft der Sängerinnen und Sänger auf der Bühne: Neben ihren Sangeskünsten wirken auch ihr Schauspiel und vor allem die Kostüme. Für die Gewänder der Herren zeichnet in Bonn Gerd Kreuzer verantwortlich. Was genau umfasst dabei seine Aufgabe?
Verorten wir die Herrengewandmeisterei zunächst einmal im Gesamtgefüge. So ein großes Theater mit ungefähr 400 Mitarbeitenden beherbergt eine Vielzahl an Berufen, vor allem auch handwerklicher Art. Hier in Tischlerei oder in der Schneiderei einen Ausbildungsplatz zu ergattern ist wie sechs Richtige im Lotto. Dazu die Lage vieler Werkstätten: direkt am Rhein mit traumhaftem Ausblick auf den großen Fluss, mitten in der Stadt.
Wir waren bei 400. Stellt euch also folgende Gleichung vor, die im Schnitt so aufgeht. Wenn ungefähr 40 Personen auf der Bühne stehen, dann hat jede und jeder 10 Personen im Hintergrund, die für die professionelle Ausarbeitung und den perfekten Ablauf sorgen. Und dabei nimmt die Gewandmeisterei einen besonderen Stellenwert ein. Schließlich tragen die Gewänder und Kostüme einen Teil der Partie mit, im Schauspiel vielleicht noch präziser als in der Oper.
Gerd Kreuzer kommt aus Oberbayern, unverkennbar gibt er dieses Geheimnis als erstes preis – auch nach mehr als 30 Jahren im Norden Deutschlands und im Rheinland hört man ihm seine Herkunft an. Wie kommt ein Mann aus einem 200-Seelen-Dorf mit Namen Hexenagger (tatsächlich!) und der elterlichen Ansage, beim Gebetsläuten wieder daheim zu sein, zum Beruf Herrengewandmeister?
Schneiderlehre? Weit gefehlt! Das Bäckerhandwerk war sein Metier. Allerdings alles andere als freiwillig. Schneider war damals sein Traumberuf, aber seine Eltern hielten das für eine brotlose Kunst. Als Bäcker also in aller Herrgotts(!)frühe raus und von Beginn an mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert. Eine Umschulung als Druckvorlagenersteller. Wie das Asthma in der Backstube verhinderte der Computer eine Karriere in diesem Beruf. Sein Disco-Fieber Motto pinselte er auf seinen zitronengelben Opel Kadett: Die Zeile „Gotta make a move that’s right for me” aus dem Popsong Funky Town. Also ade bayerisches Dorf, willkommen Landeshauptstadt Niedersachsen.
Noch heute hat er die Belege aus den Volkshochschulkursen (oh, wie mich das freut!), wo er höhere Schulabschlüsse nachholte, um dann schließlich an der Fachhochschule in Hannover Kunst und Design zu studieren. Hier hat er das Schneidern von der Pike auf gelernt und hat nun fünf Praktiker mit insgesamt 200 Wochenstunden in seinem Team, die wirklich in Handarbeit maßgeschneiderte Kostüme anfertigen.
„Unser größter Feind ist die Zeit“, bekennt Gerd Kreuzer freimütig. „Stell dir zu Beginn der Spielzeit die enge Folge der Premieren vor. Nach dem Kaiser von Atlantis kommt zunächst der Xerxes. Ich verrate natürlich noch nichts, aber man darf schon davon ausgehen, dass eine Barockoper eher farbig und üppig angelegt ist. Anhand von Figurinen– das sind farbig ausgemalte, detailreiche Zeichnungen – erreicht uns von den Kostümbildnern die Idee des Regisseurs. Mit dem allerdings spreche ich eigentlich nie oder selten.“
Gut, was passiert danach? Für alle Protagonisten auf der Bühne liegen Maße vor. Nach diesen konstruiert er jetzt Schnitte und schneidet den Stoff zu. Dann nähen die Schneider von Hand für die erste Anprobe, die Gerd selber vornimmt. „Es hilft für das gegenseitige Verständnis, wenn ich persönlich mit den Sängern spreche.“ Dann passen die Schneider an und stellen die kostbaren Unikate fertig.
Kommen wir zur nächsten Premiere, der Lohengrin steht auf dem Programm. „Um dir mal eine Vorstellung von den Dimensionen zu geben. Großer Herrenchor, 40 Mann. Jeder braucht drei Kostüme. Sind allein 120 Gewänder plus Schuhe und Stiefel.“ Schon die Masse beeindruckt mich sehr. Wie finden die dann abends im Gewusel ihr Outfit? Gerd lacht – da sind Profis am Werk. Das klappt wie am Schnürchen. Und wo gehen diese Schätze am Ende der Spielzeit hin? „Alles findet seinen Weg ins Lager nach Beuel. Dort registriert eine Kollegin jedes Teil und führt akribisch ein Archiv. Immer wieder haut es mich um, wie schnell sie findet, was wir suchen und brauchen.“
Seit über 20 Jahren arbeitet der Herrengewandmeister bereits am Theater Bonn. Er bezeichnet sich als überwiegend „technischen“ Mitarbeiter im Rahmen der Kostümabteilung, neben den künstlerischen und handwerklichen Berufen. Zu seinen Aufgaben gehört es, projektmäßig die Abläufe, Einkäufe und Anproben zu koordinieren. Trotzdem frage ich nach ganz einfachen „Problemen“. Penthesilea ist am Ende (theater-)blutbeschmiert, Lucrezia in den Foscari ebenfalls. Wie kriegt ihr das bis zum nächsten Abend wieder raus? – „Blut am Anfang der Oper ist deutlich schwieriger zu entfernen als das vom Ende der Oper. Je länger es im Stoff bleibt, umso hartnäckiger. Außerdem suchen wir extra Stoffe aus, die der Abenddienst im Nullkommanix wieder sauber kriegt. Stoffe haben sooo unterschiedliche Eigenschaften. Über dem großen Spiegel in den Anproben hängen sogar Bühnenscheinwerfer, die einen realistischen Eindruck von der Wirkung auf der Bühne erzeugen.“
Gerd Kreuzer redet mit großer Leidenschaft von seinem Beruf. War er denn gleich nach dem Studium im Opernfieber? Nein, zunächst engagierte ihn eine Mode-Agentur in Essen. Dort designte er street wear für große Modeketten, die damals noch in Europa produzieren ließen. Erst kürzlich sah er an einer Kollegin ein T-Shirt, dessen florales Muster er vor Jahren entworfen hatte. Langlebiges Produkt? Zeitloses Design?
„Weißt du, ich bin eigentlich gar kein soooo großer Opernfan,“ räumt er ein. „Dazu bin ich vermutlich zu perfektionistisch und zu selbstkritisch. Ich begeistere mich nach wie vor für meinen Beruf, aber wenn ich im Parkett sitze und nur bemerke, dass der Ansatz der Perücke nicht stimmt, ist der Abend für mich gelaufen. Dann sehe ich nur noch falsche Ärmellängen, zu kurze Hosen und schlechtsitzende Jacketts.“
Von Xerxes und Lohengrin sprachen wir bereits; außerdem befinden sich gerade die Kostüme für Kiss me Kate und Die Schneekönigin in Arbeit. Für das Musical kommen die Kostüme aus Dortmund, sie müssen allesamt dem Bonner Ensemble angepasst werden. Aha – und was, wenn … Umfang und Größe weit auseinanderliegen? „Im schlimmsten Fall machen wir es neu, aber meistens gelingt das Umarbeiten.“
Kritischer sei da schon die Wiederaufnahme der Bonner Zauberflöte, der Produktion von vor 20 Jahren. Wer von euch erinnert sich an die Farbenpracht und das leuchtenden Goldgelb im Rat der Weisen, in den Heiligen Hallen? „Da sprichst du ein wichtiges Thema an. Farben verblassen über die Jahre. Die Sänger schwitzen, das greift auch das Gewebe und die Farben an. Die hauchdünnen Gewebe reißen an den Nähten aus. Deshalb hat das Theater sich entschieden, für teures Geld neue Saris in Indien zu kaufen, damit Kostüme nachgenäht werden können.“
Was für ein vielseitiger Beruf, diese Herrengewandmeisterei. Kostümmanagement sozusagen. Projekt- und Zeitpläne erstellen, Personal- und Rechnungswesen im Blick haben. Eigentlich weg vom Handwerk hin zur Schaltstelle der Ästhetik auf der Bühne. Mit der Freude daran, dass die Kostüme und ihr visueller Reiz ganz erheblich zur begeisterten Aufnahme beim Publikum beitragen.
Letztes Stichwort: Was macht ihm außer seinem Beruf richtig Freude? Da zögert Gerd Kreuzer keine Sekunde. Er liebt seinen Thermomix, kocht für sein Leben gern. Und backt mit seiner Freundin, der Kitchen Aid. „Nichts macht den Teig so locker wie diese Maschine“, strahlt der gelernte Bäcker und sprintet sportlich zurück zum Opernhaus.
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