Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung

Fünf Minuten erst, bevor der Dirigent den Taktstock hebt, öffnen sich die Türen der Werkstatt, der (ganz) kleinen Schwester im Windschatten der Oper direkt am Rhein. Die reduzierte Besetzung des Beethoven Orchesters wird – bis auf die glänzenden Instrumente – eins mit dem schwarzen Theaterraum. Aber zwei Drittel des wie im Amphitheater unten liegenden Spielraums sind weiß. Ein Gegensatz, der sich wie ein Leitmotiv durch diesen Opernabend zieht. 

Kann man ein Werk großartig finden, wenn es im KZ, der trübsten und schrecklichsten aller Stätten spielt?  Starke Bilder der Regie und Bühnenausstattung führen uns unmissverständlich an den Ort des Grauens. Weiße namenlose Koffer, mit Nummern versehen, füllen fast die gesamte Bühne. Sie bilden den Thron des Kaisers, die öden Kriegslandschaften, das sonnenlose Warten auf den Tod. Am Ende werden sie als Koffertetris an der Wand gestapelt.

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Aber der Reihe nach. Die Kammeroper von Viktor Ullmann beginnt mit einem Prolog nach Goethe’scher Faustmanier. Der Soldat präsentiert dem bulligen SS-Lagerkommandanten das Programm und die Protagonisten. Sein Kommentar? Ein Pistolenschuss. Peng. Kein Diskurs, nackte Gewalt. Das sagt schon viel über die Entstehungsgeschichte dieses Werks. Der Komponist war im Vorzeige-Konzentrationslager Theresienstadt interniert. Dort ermöglichten die Nazis künstlerisches Schaffen –  wenn auch  Notenpapier und Instrumente knapp waren. Das Lager hieß Ghetto und war eine Scharade für die Weltöffentlichkeit. Nicht beschütztes Leben war das Ziel, sondern die Selektion für den Weitertransport nach Dachau.

Nike Wagner, seit 2014 Intendantin des Beethovenfests, würdigte den Komponisten, auch jenseits der politischen Relevanz. „Wir spielen Ullmann nicht, weil er ermordet wurde, sondern weil seine Musik großartig ist und es verdient hat, weiter gespielt und verbreitet zu werden.“ Sie äußerte großes Lob für die Kooperation mit dem Theater Bonn und genoss sichtlich den Erfolg des Abends, zumal als Auftakt zur neuen Spielzeit. Die Zusammenarbeit sei fortzusetzen … Ja, unbedingt. Der intime Rahmen der Werkstatt machte diese Oper so eindringlich.

Eine Oper? Ohne Ouvertüre, aber mit Arien, Zwischenspielen, Rezitativen, mit Themen (Jingles) für die Protagonisten? Oder episches Theater in Musik transformiert ? Wortklauberei? Hören wir zunächst bei der Musik hin, um dann die theatralischen Elemente zu beleuchten. Eklektisch verfährt der Komponist mit den Stilrichtungen seiner Zeit; zitiert die Kaiser(!)hymne von Haydn, lässt Revuemusik wie aus dem Friedrichstadtpalast ertönen, mischt Blues mit schrillem, freitonalen Sound.

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Christian Georg, der als Harlekin (und Hofnarr) die Tenorpartie besetzte, bezeichnete die Herausforderungen für alle Sänger als beträchtlich, aber machbar. „“Die Musik ist zwar nicht atonal, aber durchaus harmonisch komplex und verlangt musikalisches Einfühlungsvermögen.“

So simpel (und märchenhaft oder absurd?) der Plot der Oper, so komplex die Interpretationsräume. Also ersteres ganz kurz. Wie beim Warten auf Godot hat der Krieg alles verdorrt und verelendet. Der Kaiser Overall hat zwar den Krieg aller gegen alle ausgerufen, dabei aber versäumt, sich den Tod als Verbündeten zu sichern. Nicht er nämlich regiert über alles, sondern der viel mächtigere Tod. „Tausende ringen mit dem Leben, um sterben zu können“. Dem Wahnsinn nahe, seiner Fetische und Insignien beraubt (Smartphone und Laptop), willigt der Kaiser ein, als erster in den Tod zu gehen. „Deal?“ heißt es nach Trump’scher Art. Ja, initiieren wir den Tod 2.0.

Wie Seollyeon Konwitschny die einfache Geschichte mit dem beträchtlichen Parabel- und Metaphorikgehalt auf die Bühne bringt, lässt niemanden unberührt. Von den weißen Koffern sprach ich bereits. Sie enthielten die Habseligkeiten (was für ein Wort!) derjenigen auf einer Reise ohne Wiederkehr. Niemand entzieht sich dieser Bildlichkeit. Die strikte Fragmentierung der (inszenierten) Welt in Schwarz und Weiß. Der Tod in einem makellosen weißen Anzug; er setzt seine rote Brille auf, als er den entscheidenden Satz zu der eingeschobenen Klaviersonate spricht.

Das rote Gegenstück ziert als Einstecktuch den ansonsten schwarz-grauen Anzug des Kaisers.  Bis hin zur Krawatte als sein Spiegelbild und Sidekick der Trommler, ein williger Erfüllungsgehilfe. Kontrastiert dazu der Harlekin, der Mensch mit Gefühlen, Sehnsüchten, Erinnerungen. Ihm vergönnt das Libretto ein Liebesduett mit dem Mädchen (Bubikopf), von Rose Weissgerber wunderbar verkörpert und gesungen. Sie trägt zwar (wie der Harlekin) eine Combat-Jeans, aber ein geblümtes T-Shirt. Da tönt doch gleich in unserem kollektiven musikalischen Gedächtnis „Sag mir, wo die Blumen sind“, das Anti-Kriegslied von Pete Seeger, von Marlene Dietrich 1962 zu einem Welterfolg gemacht.

So hocken die beiden Verliebten über einem Blumentopf mit einer vollkommen verkümmerten und verdorrten Pflanze. Keimt da Hoffnung auf eine goldene Sonne auf? Gewiss! Am Ende präsentiert das Mädchen stolz denselben Topf mit nunmehr blühenden weißen Rosen. Exakt – als Sinnbild für den studentischen Widerstand gegen das NS-Regime! Ohne dass Frau Konwitschny das vermutlich ahnte: Wie perfide agieren die rechten Marschierer, wenn sie in Chemnitz mit einer weißen Rose in der ersten Reihe laufen?

Viktor Ullmann und sein Librettist Peter Kien, der ebenfalls mit seiner Familie in Auschwitz zu Tode kam, trotzten dem Terror der SS-Schergen, indem sie das 1.000-jährige Reich ins Lächerliche zogen: Wie Atlantis, das mythenumwobene Eiland Platons, wird auch dieser Kaiser untergehen. „Ich mache die Zukunft der Menschen groß … und lang … und lang …“ tönt der Tod. Was heißt das? Ein Hohn auf die Langzeitfantasien der Nazis? Oder aber die Erlösungsbotschaft: Erst wenn der Mensch stirbt, verliert der Schrecken seine Macht?

Ullmann legte vier Bilder an, die ungefähr eine Stunde füllen. Die Katastrophe/Erlösung vollzieht sich also schnell. Ein äußerst gelungener Kunstgriff der Regie: nach dem dritten Bild die Klaviersonate von Karl Amadeus Hartmann einzufügen. Auf die weiße Bühne schieben die guten (schwarzen) Geister einen schwarz-glänzenden Steinway Konzertflügel. Dort nimmt Ben Crunchley Platz, nachdem der Tod den Anlass für diese Komposition verkündet. Am 27. und 28. April 1945 beobachtete der Komponist einen Häftlingsstrom (Exodus?) aus Dachau – „unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid.“

Völlig unprätentiös entwickelt der kanadische Pianist eine zunächst dramatische und dann berührende Tiefe. „Der Todesmarsch klingt bei mir nach, er ging richtig unter die Haut“, hörte ich hier und dort. Ja, der marcia funebre (lento) war von besonderer Ausdruckskraft. Im Publikum kein Räuspern, kein Hüsteln. Es war totenstill.

Mit Oberst Chabert, dem von den Toten Zurückgekehrten, beschloss die Oper Bonn äußerst beeindruckend die Spielzeit 2017/18. Für die hohe Qualität des Programms wurde sie zum besten Opernhaus in NRW gekürt. Die Latte liegt also hoch, der Anspruch steigt, die Auswahl der Stücke und die Verpflichtung renommierter Künstlerinnen und Künstler eine immerwährende Aufgabe. Zum Auftakt gelungen? Auf jeden Fall!

Hermes Helfricht.jpgHermes Helfricht debütiert mit diesem ausgegrabenen Schatz souverän. Er dirigiert das kleine Beethoven Orchester zugewandt und sicher. Wunderbar auch sein rapport mit den Sängerinnen und Sängern, fühlbar die Nähe in der Musik. Dazu füllt das BOB den Raum mit Präzision und aktueller Klangfarbe, sehr schön! Als Gastsängerin die stimmmächtige Charlotte Quadt (Mezzosopran), die dem Kaiser als Trommler und Verkörperung des sprichwörtlich-akribischen Amtssinns zur Seite stand. Stoisch und mit den Tränen kämpfend, als der wind of change,  die neue Sachlage ihre Akten durcheinanderwirbelt.

Rose Weissgerber spielte und sang ihr Bubikopf-Mädchen vom lyrischen Sopran bis zum expressiven Fortissimo im finalen Quartett sehr überzeugend, mit zunehmender Größe in der Stimme. Christian Georg hatte sich in der Traviata als Alfredo Germont empfohlen. Sein Harlekin-Tenor hat alles Leichte, Gefühlige, Hoffnungsfrohe im Köcher. Kostüm und Habitus sehr überzeugend, dabei keineswegs tölpelhaft-clownesk.

Grandios die beiden Hauptfiguren. Leonard Bernad und Giorgos Kanaris, der Tod und der Kaiser, die tiefen Lagen, so unterschiedlich und doch mit so großen Schnittmengen, symbolisiert durch die roten Accessoires. Der Bassbariton von Leonard Bernad schnörkellos, kühl, berechnend, der Tod, der „erst zum Dichter wird, wenn er sich mit Liebe eint.“ Großartig gesungen, mit feinen Nuancen gespielt, als selbsternannter Herrscher und „Kaiser im Lorbeerkranz“ voller Machtbewusstsein.kaiser_von_atlantis.jpg

Schließlich Giorgos Kanaris, dessen Bariton dem Grafen Almaviva im Figaro alle Kavaliersfacetten verlieh, hier nun als der Kaiser, der kapituliert. Schauspielerisch und  sängerisch wunderbar und stark – vom irrsinnigen Ausdruck als hypergestresster Börsenmanager über die Leere des Machtverlusts bis hin zur großen Schlussarie. Hier führt ihn die Regie ins Publikum, hier wird sein Scheitern hautnah erfahrbar, hier wird aber auch seine Größe greifbar. Er erkennt eine Macht an, die größer ist als er. Sein Abschiedslied so eindringlich wie berührend, so tief wie bedeutsam.

Club-Atmosphäre im Miniatur-Foyer der Werkstatt. Die Menschen so eng beieinander, dass Gespräche nahezu unvermeidlich waren. Großartig, dem Thema, der Musik, dem Tagesgeschehen absolut angemessen. Davon mehr, bitte!

Sputet euch, wenn ihr dieses Werk sehen wollt. Nur vier weitere Aufführungen! Und geht abends früh hin, kauft euch das sehr informative Programm und lest euch in Ruhe in ein paar Minuten das Libretto durch. Wenn man wirklich einen Wermutstropfen in den Wein gießen wollte: Es fehlten die Übertitel.

Karten gibt es wie immer hier.

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