An den Tasten jubelt meine Seele

Große Anerkennung heimste Julia Strelchenko im Premierenbericht zur Hochzeit des Figaro  ein für ihre „sehr gewitzte Hammerklavier-Begleitung“* der Rezitative.  Ein Lob der Sonderklasse!  Seit einem Jahr arbeitet sie als Studienleiterin und Pianistin am Theater Bonn. Studienleiterin – ein Beruf, bei dem sich zwei Drittel hinter den Kulissen abspielen. Dazu später mehr. Hin und wieder erleben wir sie allerdings bei den Matineen jeweils zwei Wochen vor den Premieren. Dann sitzt sie mit einem bereits arg bearbeiteten Klavierauszug am Flügel und begleitet die großen Arien, die als Appetithappen zu Gehör kommen. Sehr professionell auf den ersten Blick und den ersten Ton! 

In Sankt Petersburg lernte sie das Klavierspielen. Eine Begabung ja, aber eine Leidenschaft hegte sie damals eher für das Schauspiel und die Literatur. Ihre Eltern lebten ein bürgerliches Bildungsideal, wo ein Theater- oder Opernbesuch einmal in der Woche dazu gehörten. Um halb sieben fand die Familie sich häufig zusammen und entschied spontan, welches Stück, sei es Sprech- oder Musiktheater, sie aufsuchen wollten. DSC_0027.JPGGerade mal fünf Minuten zu Fuß war das nächste Theater entfernt, zahlreiche weitere ebenfalls fußläufig zu erreichen. Die günstigsten Sitze im Rang, häufig auch Stehplätze, taten der Freude dabei keinen Abbruch. „Viele Stücke habe ich von oben gesehen“, sagt Julia, „und sehr genossen, dass das reiche russische Kulturleben nach der Perestroika so aufblühte.“

Hier küsste sie vermutlich auch die Sprachmuse. Wie gerne hätte sie Goethe und die deutschen Klassiker im Original gesehen, wie gerne Hesse auf Deutsch gelesen. Nicht im Traum hätte sie geglaubt, 15 Jahre später mitten in Bonn auf einer schattigen Terrasse bei Tee & Torte in fließendem Deutsch ein Interview zu geben. Wie kam sie dahin? Nach dem Abitur studierte sie an der Musikhochschule Oslo Klavier. Selbstverständlich lernte sie schnell Norwegisch. Für ihr Examen benötigte sie ein fakultatives Nebenfach, bei dem die meisten Musikstudenten es sich leichtmachen: Sie wählen Gitarre, zupfen ein paar Akkorde und absolvieren so ihre Pflichtstunden. Julia aber entschied sich für Hammerklarvier, Cembalo und die Orgel. In Sankt Petersburg hatte sie schon in Kirchen dieses mächtige Instrument gespielt, aber viele Sakralbauten waren in der Sowjetunion zweckentfremdet umfunktioniert worden.

Bach-Präludien sind so erhaben, dass ihr im Gespräch die Tiefe und der Ernst anzumerken sind, ihre Empfindsamkeit schwingt mit. „Weißt du, mit meinem Stipendium an der Sibelius-Akatemia in Helsinki konnte ich studieren und wohnen, aber für Essen und Kleidung habe ich Orgel gespielt. Ich war frei und glücklich.“ 

Zurück in Oslo war sie so zufrieden mit ihrem Leben, dass sie norwegische Staatsbürgerin wurde und sich entschloss, dort sesshaft zu werden und Wurzeln zu schlagen. Vielleicht auch, weil sie die Schlüssel für 18 Kirchen hatte, wo sie nach Belieben üben konnte? Allerdings durchkreuzte die Macht des Schicksals (natürlich in Gestalt der großen Liebe) diese Pläne sehr bald, nachdem sie ihr Diplom in Kammermusik ablegte. Sie spielte Solokonzerte mit berühmten Orchestern und intensivierte ihre Arbeit in der Liedbegleitung. Viele der up-and-coming jungen Sängertalente haben große Karrieren gemacht und mit vielen ist sie heute noch eng befreundet. Hier liegen die Ursprünge für ihre Arbeit als Studienleiterin.

DSC_0043 (2)Kurze Zwischenfrage: Wie viele Sprachen spricht denn so ein musikalisches Talent? – Russisch, Norwegisch, Schwedisch, Englisch, Deutsch, Italienisch. Chapeau! 

Zurück zum Lebenslauf. Wir waren bei der Liebe und persönlichen Zielen. Ankommen, sich verwurzeln, einen Mann finden, Kinder haben. Als Mann am liebsten keinen Musiker, das würde reisen bedeuten, lange Trennungen. Dann passierte, wofür die Lateiner den alten Caesar-Spruch parat haben. „Er kam, sah, und siegte.“ Stephan tauchte in ihrem Leben auf, auch Pianist, der so nebenbei erwähnte, dass er auch  dirigiert. Die aufmerksame Leserschaft spitzt schon die Ohren. Oslo! In der Tat wurden Julia und Stephan Zilias, der sich hier in Bonn große Meriten als 1. Kapellmeister errungen hat, ein Paar. Eins war schnell klar. „Es gibt ein wir. Es gibt ein uns. Lass uns heiraten und zusammen durchs Leben gehen.“  Nach zwei gemeinsamen Jahren hier am Rhein und dem heiß ersehnten Nachwuchs vor eineinhalb Jahren steht das Familienleben vor neuen Herausforderungen. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Was genau macht nun eine Studienleiterin am Theater? Die pragmatische Julia differenziert und halbiert. „Ziemlich genau 50 % meines Jobs umfassen die Administration.  Alle im Ensemble proben von 10:00 bis 14:00 Uhr und dann weiter von 18:00 bis 22:00 Uhr“. – „Dann hast du also eine volle Stelle“, werfe ich ein – vor allem im Hinblick auf das Kleinkind zu Hause. „Ich habe eine sehr volle Stelle“, kontert Julia umgehend, „wobei ich mich selber einteile“. Klingt verwirrend? Ist aber schnell erklärt. Als Studienleiterin erstellt sie Tages- und Stundenpläne für die Einzelproben der Solisten und Korrepetitoren. Welche Räume mit welchen Instrumenten und welchen Pianisten sind zu belegen? Sie hat den Überblick, wer seine oder ihre Rolle und Partie bereits sicher beherrscht oder wer zusätzliche Stunden benötigt. Sie selbst gehört hier zum Team, füllt die freien slots und springt ein, wo spontan Bedarf entsteht. 

Täglich lesen wir es in der Presse, als Besucher wissen wir ein trauriges Lied davon zu singen: Die Oper Bonn muss renoviert werden, der Brandschutz und die Technik sind in die Jahre gekommen. Ähnlich geht es in den Instrumenten, insbesondere den Flügeln. Eine gründliche Überarbeitung beläuft sich schon mal auf die Hälfte des Anschaffungspreises – da kommt schnell einiges zusammen. Julia Strelchenko macht hier Vorschläge, in welcher Reihenfolge und in welchem Umfang die Instrumente aufgearbeitet werden.

Daneben spielt sie natürlich selbst … Zu unserem herrlich leichten Sommerinterview hole ich sie am Bühneneingang der Oper ab. Für drei Stunden hat sie sich zum Üben hier eingefunden. Schon bald hören und sehen wir sie auch auf der Bühne am Theater Bonn. Im September spielt sie an zwei von fünf Terminen die Klaviersonate von Karl Amadeus Hartmann, die im Anschluss an die Oper Der Kaiser von Atlantis erklingt. Der Komponist hat hier den Todesmarsch von Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau (…) musikalisch verarbeitet. (Spielzeitführer Oper S. 3)

 … und außerdem …  schert es Julia und die wunderbare Sopranistin Marie Heeschen gar nicht, dass Schuberts Winterreise erst am 18. März 2019 auf dem Programm steht. Wenn die eine ihre makellose Stimme erklingen lässt und die andere auf einem zeitgenössischen Hammerklavier in die Tasten greift … dann dürfen wir uns jetzt schon auf dieses Bonbon freuen. Und was dem Sopran recht ist, sollte dem Tenor billig sein. George Oniani (und Susanne Blattert) begleitet sie am 6. Mai 2019  in Leoš Janáčeks Liederzyklus „Tagebuch eines Verschollenen„.

DSC_0038 (4).JPGZwilling ist Julia Strelchenkos Sternzeichen. Damit fühlt sie sich für die Arbeit am Theater wunderbar ausgestattet. „Nach der Morgenprobe fährst du gut gelaunt nach Hause und bist davon überzeugt, dass alles super läuft. Das ändert sich bis 18:00 Uhr manchmal dramatisch. Da hast du dann die Ruhephase am Nachmittag und drehst am Abend den Adrenalinregler bis zum Anschlag auf.“ Genauso hält sie auch ihr Leben in Balance. „Ich arbeite oft so lang und so intensiv, dass nur der Gedanke an meinen Sohn mich dazu zwingt, nach Hause zu gehen und den Tag abzuschließen. Aber jetzt in der vorstellungsfreien Zeit brauche ich eine Woche, in der ich wie ein Faultier auf der Gartenliege hänge. Ich tue nichts. Gar nichts.“ Vier Wochen vor Arbeitsbeginn nach der Sommerpause hat sie den Urlaubsmodus abgeschaltet. Den Klavierauszug Lohengrin trägt sie unterm Arm, das sieht nach Arbeit aus.

Was sie glücklich macht? Ihre Familie, ihr Mann, ihr Sohn, die Mutter aus Sankt Petersburg, mit der sie gerade den Bonner Sommer genießt, ihr Neffe, ein junger Geiger. Ihre Arbeit, natürlich, das tolle Team am Theater Bonn. „Das zeichnet Bonn in besonderem Maße aus,“ sagt sie. „Alle hier sind verständnisvoll, hilfsbereit, großartige Künstler, die immer und alle den Ehrgeiz haben, für das Publikum das Beste zu geben. Mit diesen Menschen macht die Arbeit hier wirklich große Freude.“ 

Wie geht es weiter? Hat sie Träume? Da lacht sie ihr Julia-Lachen, die Ohrringe spiegeln die Sonnenstrahlen in kleinen Rauten. Und sprudelt mit einer Anekdote raus. Kürzlich verbrachte sie zwei Wochen „zu Hause“ in Sankt Petersburg. Dort war ihre beste Freundin kurz nach ihrem ersten Baby noch ganz im 24-Stunden-Mama-Modus.  Für ein spontanes Treffen reichte die Zeit. Also setzte die Freundin den Helm auf, warf ihre Maschine an und bretterte auf der 1200er Honda zur Oper, um ganz kurz Julia und Stephan in der Pause zu begrüßen. „Diesen Traum vom Glück und der Freiheit auf einer dicken Maschine erfülle ich mir auch irgendwann. Wenn mein Sohn mich eines Tages fragt, ob er ein Motorrad bekommt, sage ich vermutlich einfach nur ja.“

* Ulrich Bumann, General-Anzeiger Bonn, 30.1.2018

 

 

 

 

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