15 Meter über dem Parkett prangt oberhalb vom 2. Rang im Theater Bonn die Beleuchterbrücke. Eng ist es dort, sommers wie winters 33 Grad heiß. Gitterstäbe verhindern, dass Menschen, die hier oben arbeiten, sich mit einem falschen Tritt in die Tiefe katapultieren. Herauf kommt man nur über die stählerne Hühnerleiter. Die erklimmen allabendlich die Übertitler, ohne die es noch nie eine Vorstellung gab.
Julia Kluxen-Ayissi und Andreas Schütte haben beide Musikwissenschaft studiert. „Man muss besonders gut Noten lesen können“, stellen sie übereinstimmend fest. Und beide betreiben als enthusiastische Opernfans diesen Job auch aus Liebhaberei. Ohne Leidenschaft für das Musiktheater wäre diese Aufgabe unter diesen Bedingungen auch nicht wirklich möglich.
Wie kommen nun also die Textzeilen auf die Anzeige oberhalb der Bühne? Zunächst einmal festzustellen: alles Handarbeit, nichts kommt vom Band oder läuft automatisch ab. Aber der Reihe nach. Die Übersetzungen stellt die Oper bereit. Sie finden Eingang in den Klavierauszug, der von der Vorbereitung über die Proben, von der Premiere bis zur Derniere wie ein Kleinod gehütet wird. Bei der Klavierhauptprobe, der Orchesterhauptprobe und der Generalprobe heißt es auch für die beiden Übertitler, jeden Einsatz mikro-minutiös einzuüben. Hier kommt auch die Dritte im Bunde zum Einsatz. Christina Hendges liest während der Proben Korrektur und macht sich um die fehlerfreie Schreibweise der Übertitel verdient.
Vorher haben Julia Kluxen-Ayissi und Andreas Schütte allerdings den Klavierauszug mit Haken und Häkchen versehen. Meist, nachdem sie sich mit einer CD-oder DVD- Aufnahme mit der Musik vertraut gemacht haben. Und zwar arbeiten beide mit demselben Exemplar. Es gibt pro Produktion nur eins, das abends sicher verschlossen wird. Der Verlust wäre eine Katastrophe; wenn beide Übertitler ausfielen ebenfalls.
Doch halt, bei den Unwägbarkeiten sind wir noch nicht. Schauen wir zunächst auf die Technik. Die Übertitler steuern von ihrem erhabenen Platz aus eine teure LED-Anlage an, die in Großbuchstaben das darstellbare, gekürzte Libretto lesbar macht. Okay, nicht von allen Plätzen gleich gut. In den ersten Reihen im Parkett riskieren die Operngäste eine Halsstarre, in den letzten Reihen bleibt die Leuchtschrift wegen der überhängenden Ränge ganz verborgen. Auch die Übertitler sehen das, was sie projizieren, nur über einen doppelten Spiegel.
Stellen wir uns das so vor. Auf engstem Raum balancieren sie auf den Knien eine Computer-Tastatur, wo sie per trackball die nächste(n) Textzeile(n) aufrufen. Rechts auf einem Notenständer liegt der Klavierauszug, auf dem sie manchmal wie lesen lernende Kinder die einzelnen Noten oder Takte mitverfolgen. Die besondere Herausforderung dabei? Sie sehen immer nur, was als nächstes drankommt, nicht was gerade auf dem Display steht. Ganz besonders tricky ist das, wenn im Rezitativ der Text auf dem Band nicht wiederholt wird, ein black also auf dem Monitor erscheint. Dann gehören absolute Aufmerksamkeit, größtes Fingerspitzengefühl, viel Erfahrung und eine Vertrautheit mit der Musik und der Gestik und den Impulsen des Dirigenten unbedingt dazu.
Probleme? Wenn ein Sänger oder eine Sängerin sehr leise singt, müssen sie darauf achten, ob er oder sie den Mund schon öffnet. Augen und Ohren auf! Wenn Solisten ihre Rolle in einer anderen Inszenierung, mit einem anderen Ensemble, einstudiert haben, ergeben sich Verzögerungen in der Synchronität. Die gilt es zu antizipieren oder aber zu meistern. Hin und wieder paaren sich bei Solisten Einsatz- und Textschwäche. Dann geraten die Übertitler ins Schwitzen. Auch dürfen sie Gags und überraschende Einfälle der jeweiligen Inszenierung nicht durch zu frühes Klicken zerstören. Also heißt es einen manchmal sehr langen Opernabend über, präsent und alert zu sein. Höllisch aufpassen eben.
Und wie das so ist in jedweder Form von Perfektion. „Unsere Arbeit ist immer am besten, wenn sie nicht auffällt,“ erklärt Julia Kluxen-Ayissi. Sehr philosophisch fügt Andreas Schütte hinzu: „Musik ist eine Kunst, die in der Zeit passiert“. Genau, und deswegen ist das perfect timing hier die echte challenge – wenn wir mal in dem Jargon bleiben.
Wie viele Übertitel fahren die beiden denn so pro Opernabend? Spitzenreiter ist im Moment Die Hochzeit des Figaro mit 800 Titeln (wegen der vielen Rezitative), die Traviata bringt es noch auf 300, der Echnaton schließlich kommt mit 107 aus. Da entspannen sich auch die Übertitler und freuen sich, dass sie auch live hören und sehen, was auf der Bühne geschieht. In anderen Opernhäusern sitzen die Kolleginnen und Kollegen in Kabinen, fernab vom Geschehen. Ganz grässlich sei das.
Ja, es zeigt sich auch hier: Liveinderoper hat große Vorteile. Kleine und große Pannen bügeln die Profis aus, ohne dass das Publikum etwas bemerkt. Mittendrin und auch dabei – so erhalten und pflegen Frau Kluxen-Ayissi und Herr Schütte ihre Liebe zur Musik und zu ihrem Theater Bonn. So wie wir alle!
Wie nun kam ich zu diesen ungewöhnlichen Antworten auf Fragen, die ich schon immer mal stellen wollte? Die Opernfreunde Bonn machen’s möglich. Sieben mal im Jahr gestalten sie einen Abend, bei dem Insider und Experten spannende Themen für die Opernliebhaber aufbereiten. Vorstandsmitglied Wolfgang Dilbat hatte zu den Ausführungen der beiden Übertitler einen Amateurfilm gedreht, der sehr anschaulich die Arbeit dort oben dokumentiert. An dieser Stelle herzlichen Dank an diese Ehrenamtler, die sich für die Oper Bonn engagieren. Ich sagte es bereits: Es lohnt sich, Mitglied zu werden! Vergünstigungen bei Konzerten, Besuche von Proben und Hintergrundgespräche tragen substanziell zum Verständnis von und der Liebe zur Oper bei.
Schön dass diese unglaubliche Leistung einmal gewürdigt wird
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Live-Untertitel von Hand enthält alle Schwächen, über diehier geredet wird. Der Übertitler muss entscheiden, wie die Einblendung auszusehen hat, Dafür gibt eine bessere Lösung, aber nur eine einzige weltweit. Das ist amadeus bühnentext.
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