I due Foscari – ein Politkrimi in großzügig bemessener Tatortlänge

Gut 100 Minuten Spielzeit erwartet das Bonner Opernpublikum bei der  hier erstmals aufzuführenden frühen Verdi-Oper I due Foscari. Will Humburg, seit  10 Jahren musikalischer Leiter von umjubelten Operninszenierungen am Theater Bonn, weiß mit dem Regisseur Philipp Kochheim einen Experten an seiner Seite , der mit Tosca bereits für Furore sorgte. Frech, witzig, überraschend und unkonventionell inszeniert er.

Heute also geballte Verdi-Expertise auf der rote-Sessel-Bühne im Foyer. Allen voran Uwe Schweikert, der mit dem „grünen Buch“ d a s Verdi-Standardwerk vorgelegt hat. Wie wenige andere hat er  insbesondere auch Verdis Frühwerk erforscht. Daneben Will Humburg, der sich erklärtermaßen zur Aufgabe macht zu beweisen, dass auch die frühen Opern unbedingt auf die Bühne gehören. Schließlich Philipp Kochheim, derzeit Chef der Den Jyske Opera im dänischen Aarhus, und der Operndirektor am Theater Bonn, Andreas K. W. Mayer. Offensichtlich war Kochheim stramm getaktet, sodass er mit seiner Interpretation des Werks den Auftakt machte und dann  das Podium verließ.

Gleich vorweg: Zur Inszenierung sagte er so gut wie nichts. Außer dass die Bühne ein modernes Hotel in Washington darstellen soll, angesiedelt so zwischen dem Weißen Haus und dem Kapitol. Lange Gänge soll es geben, von denen Separées abzweigen. Dort hinein locken die Lobbyisten die Politiker, um  die berüchtigte Hinterzimmer-, aber wirkliche Politik zu betreiben.  Klingt ein bisschen nach House of Cards? Soll es auch.  Ein Venedig der Zukunft, aber keine Science Fiction.

Politisch sieht Kochheim das Stück sowieso. Es sei zwar einerseits mit Schwächen behaftet (keine Figur entwickelt sich, alle Personen sind in einem einzigen Affekt gefangen, nahezu gelähmt), könnte darin aber gerade seine Stärke entwickeln. Und das aus zwei Gründen: Erstens zeigt die aktuelle politische Lage in Deutschland, wie Lähmung jegliche Vision oder Utopie verhindert und damit das Phänomen des Stillstands allenthalben zu greifen ist. Darüberhinaus befinde sich der alte Foscari, der Doge, in einem klassischen Konflikt, dem Dilemma der Antigone. Sie will den Bruder begraben (nach Götterrecht handeln) und muss Kreon gehorchen (also dem Strafrecht). Was immer sie tut, sie frevelt. Francesco Foscari ist nach dem Gesetz der Serenissima gezwungen, seinen Sohn Jacopo in die Verbannung nach Kreta zu schicken, nachdem er angeblich Hochverrat begangen hat (was sich aber als Intrige des ewigen Widersachers Loredano herausstellt, der, um selbst an die Macht zu kommen, als Brandbeschleuniger des Konflikts Intrigen spinnt.) Für den Dogen heißt es: Gesetzestreue oder Familienbande.

Die Figuren der Oper sind historisch belegt, Lord Byron hat dazu ein Drama über die Vorgänge in der Mitte des 15. Jahrhunderts geschrieben, das als Grundlage für das Werk dient. Die Geschichte lehrt uns: Der alte Foscari ist zu diesem Zeitpunkt 84 Jahre alt, acht von seinen neun Kindern hat die Pest dahingerafft. Jacopo ist der einzige, der ihm geblieben ist. Da wird seine unendliche Trauer am Ende umso verständlicher.

Diese letzte große Arie des Mannes mit der verlorenen Macht und dem gebrochenen Herzen bietet Ivan Krutikov heute als Kostprobe so inbrünstig und klanggewaltig dar, dass der Schmerz des Vaters über den Verlust sich vermittelte, auch wenn Uwe Schweikert den Text nicht vorher gelesen hätte. „Ein schöner Stoff, er wird die Menschen rühren“, soll Verdi sich einmal zu den Foscari geäußert haben. Er glaubte an die Katharsis, dass wir alle geläutert und als bessere Menschen aus dem Theater gehen. Mit „silenzio … mistero …“  des Chors setzt die Oper ein. Das Geheimnis gilt es zu ergründen.

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Um dem Geheimnis von Loyalität, Gesetzestreue und Vaterliebe auf die Spur zu kommen, vergegenwärtigt man sich am besten die politisch-historischen Strukturen der Zeit. Venedig war eine Weltmacht, wetteiferte mit Genua und Amalfi um die Spitzenposition. Die Republik beherrschte das Mittelmeer und setzte die Leitlinien für den Handel mit der östlichen Welt. Mit der Entdeckung Amerikas (ausgerechnet von einem Genueser!) wendete sich das Blatt; Handelswege änderten sich, Spanien blühte zur Weltmacht auf. Habt ihr genau gelesen: die Republik Venedig. Kein König, sondern ein Doge, der als primus inter pares dem Rat der 10 angehörte. Den wiederum bildeten reiche Patrizier, von Demokratie und Repräsentation des Volks sind wir also noch weit entfernt.

Dieser Staat übte seine Macht nach innen und außen unerbittlich aus. Es gab Spitzeltum im Überwachungsstaat, Folter und Staatsterror. Wer einmal in die Fänge dieses Staates geriet, für den gab es kein Entrinnen. Legendär sind die Bleikammern jenseits der Seufzerbrücke; der Legende nach entkamen ihnen nur da Ponte und Casanova.

Genau hier etabliert sich das Thema der Oper. Alles, aber auch wirklich alles läuft auf ein fatales Ende hinaus. Will Humburg zitiert aus dem Drama Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt: „Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Wie grausam wird sie denn? Jacopo Foscari wird nach Kreta verbannt. Er stirbt (nicht wie in der Oper auf dem Schiff dorthin, sondern historisch verbrieft auf der Insel). Francesco Foscari wird als Doge abgesetzt (er beklagt die Ungerechtigkeit nach so vielen erfolgreichen Jahren, in denen er alles für Venedig gegeben und erreicht hat), sein Nachfolger steht bereits fest, er stirbt auf der Bühne (was Will Humburg immer ein bisschen peinlich findet).

Kostbar wie Rohdiamanten empfindet der Dirigent die frühen Verdi-Opern. Bei den Nuancen der Einzelstimmen fragt er sich: Wie fühlen sich die dramatis personae in diesem Augenblick? Wütend, verletzt, aggressiv, sehnsüchtig …?

Erst in der italienischen Oper und mit Verdi gibt es den Bariton, hier die Hauptfigur. Ivan Krutikov zeigte mit seinen amuse geules heute meisterlich, wie viel in der Partie steckt. Julia Strelchenko begleitete ihn am Klavier und veranschaulichte mit konzentriertem Spiel ebenfalls auf Humburgs Wunsch die Auftritts“masken“ der Protagonisten. Meine Herren, den Namen der Studienleiterin hätten wir schon gern gehört, schließlich ist ihr Anteil an der erfolgreichen Einstudierung der Oper immens.  Die meisten Termine in der Rolle des Francesco Foscari übernimmt allerdings Lucio Gallo, der gefeierte Star der Kölner Falstaff-Inszenierung. Wir sind gespannt!

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Will Humburg schert dann Tenöre kurzerhand über einen Kamm. Weicheier seien sie (habe ich das tatsächlich gehört?), entscheidungsschwache und -unfähige Jammerlappen. Ein Paradebeispiel Don José! (Oh je, da wissen wir in Bonn gerade sehr genau, was er meint.) Auch Jacopo gehört der Spezies an. Er leidet … und leidet … und leidet … bis er genug gelitten hat und tot ist (was hinter der Bühne geschieht).

Frühe Verdis leben und sterben mit der Qualität des Tenors, verlautete er und rang dem Chef der Oper Bonn, Andreas K.W. Mayer, coram publico das Versprechen ab, Verdis Ernani in einer der nächsten Spielzeiten (2020/21 vielleicht schon?) in den Spielplan aufzunehmen.  Der Bass (hier Loredano, der Widersacher) sei nicht immer zwangsläufig der böse Intrigant. Aber die Rolle des Sopran …

Beim Sopran lebt Humburg förmlich auf. Was für eine Frau! Lucrezia ist die stärkste Figur in dem Stück, sie befeuert es. Am Ende ihrer großen Arie bricht sie zusammen. Bedauerlicherweise müsse man eine Pause machen, um die Solisten zu entlasten. Spielen wollte man die Oper sonst am Stück; denn die große, starke Frauenfigur, die handelt und fordert, gibt dem Werk den drive. Im Duett mit ihrem Schwiegervater behauptet sie sich; Anna Princeva wird die Rolle singen. Sie bringt einfach alles mit: große Musikalität, tolle Schauspielerei und eine reifende Stimme. Freuen wir uns drauf.

Die Familienszene geht am weitesten über das hinaus, was Verdi seinem Publikum an Erneuerung zumuten konnte und wollte. Die reguläre Abfolge von Cantabile, rezitativen Teilen und Cabaletta löst er auf und lässt Lucrezia gleich „volle Power“ loslegen. Warum ist das bemerkenswert? Anders als Wagner, der mit der bayerischen Staatskasse im Rücken frei agieren konnte, war Verdi zu 100 % von der Gunst des Publikums abhängig. Allerdings brachten ihm die Spätwerke beträchtliche Honorare ein, die ihn zu einem sehr reichen Mann machten.

Und die Musik? Keine Leitmotive (das wäre Wagner), aber Erkennunsgmotive oder Masken der Personen, die logischerweise öfter vorkommen. War Verdi an der Stelle „ein fauler Sack?“, wie Humburg sinniert. Nein, er will hier seine Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen und sie  – so wie das Drama seinen Lauf nimmt – kratziger, sperriger, schlimmer spielen. Ohren spitzen: Pizzicato der Kontrabässe, dreistimmige Celli und Bratschen, keinen Geigen. 

Giuseppe Verdi hat mehrfach versucht, eine Oper ohne Handlung zu komponieren. Mit I due Foscari kommt er dem am nächsten: als Ausdruck der ungeheuren Statik des Stücks.

 

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