Die Hochzeit des Figaro – und Eros pfeift auf die Moral

Los geht es wie immer … mit der Ouvertüre. Sie hat nichts mit irgendeiner Nummer in der ganzen Oper zu tun. Ihr Alleinstellungsmerkmal? Auf jeden Fall sprüht sie vor musikalischer Lebensfreude, kommt tänzerisch und unbeschwert daher, erfreut sich großer Beliebtheit als kleine Zugabe, als Solostückchen grandioser Mozart’scher Kompositionskunst.  

Wie jung er ist, wie frisch er klingt, der Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart, einen Tag nach seinem 262. Geburtstag. Und es mag (!) durchaus daran liegen, dass Dirk Kaftan das Beethoven Orchester Bonn dirigiert. Zunächst fällt auf, dass wir ihn exakt zur Hälfte aus dem Graben ragen sehen und seine moves unmittelbar verfolgen können. Konzentrierter Blickkontakt mit den Sängerinnen und Sängern und ein Kaftan-Konzept, das sich im musikalischen Fachplaudern als Agogik herausstellt. Hier also der kleine Lern-Input für heute. Agogik bezeichnet „die Kunst der Veränderung des Tempos im Rahmen eines musikalischen Vortrags.“ (Wikepedia) Und daraus entsteht die knisternde Dynamik. Da müssen Sänger und Musiker gegen das Metronom spielen und singen – eine beachtliche Herausforderung. Dirk Kaftan hält uns, die Zuhörer, unter Spannung, indem er gezielt Fermaten einsetzt. Klingt irgendwie lateinisch und bedeutet Ruhezeichen. Für die Versöhnungsszene ganz am Ende seeeehr lang diese Fermate. Contessa perdono …, um dann die Erlösung herbeizuführen.

Weg vom Lernen hin zum Genießen! Was für ein Vergnügen! Musikalisch, sängerisch, tänzerisch, schauspielerisch. Wie frech und doch tiefgründig die Inszenierung, wie überkandidelt ein paar Ausstattungs- und Szenengags, wie komisch und gehaltvoll zugleich das Geschehen.

Die Contessa (ganz großartig interpretiert von Gastsängerin Anna Princeva) champagnert sich durch den „tollen Tag“ (so der Untertitel der literarischen Vorlage von Beaumarchais). Dabei darf es schon die gute Veuve Cleuquot sein, die das Leben mit dem entsetzlich untreuen und gleichzeitig ständig rasend eifersüchtigen Ehemann überhaupt erträglich macht. Herrlich, drei Kabinette mit Schuhen in allen Regenbogenfarben – die Vorstadtgattin in der Prunkvilla lässt grüßen. Unser Palazzo allerdings ist ziemlich runtergekommen; er hat bessere Zeiten gesehen, als die Tapeten frisch waren und der Sex wohl auch noch im Ehebett stattfand. Allerdings vergnügt sie sich nun als Retourkutsche nicht mit dem Golflehrer oder dem Personal Trainer, sondern hat es auf den Burschen Cherubino abgesehen. Wunderbar, wenn La Contessa – wie weiland Melania Trump – dem fiesen Gatten Arm, Geleit oder das Händchen verweigert.  L’amore findet außerehelich statt;  la morte steht schon mal im Raum, wenn in Mordlust des Beziehungs-Eifersuchtsdramas sich Hände um Hälse legen.

Zu Gewalt neigt hier der Graf selbst, meisterlich gesungen (ein Bariton der Spitzenklasse!) und gespielt von Giorgos Kanaris. Ob im geblümten Bademantel (Kleidung des allzeit bereiten Machos), im Landadel-Tweed nebst totem Hasen, im Tuxedo, im dunklen Anzug oder nur mit einem Handtuch um die Hüften – sehr sexy!

Kanaris_M

Verliebt sind viele auf der Bühne, Regisseur Aron Stiehl ganz besonders in Details. Zunächst lachen alle, wenn Susanna die Wirkung der Sitzsauna vorführt. Wusch, den Fön reingeschmissen und der Bösewicht Graf Almaviva segnet das Zeitliche (in der Fantasie!). Dass er schließlich in ebendiesem schreibtischähnlichen Gefäß tatsächlich ordentlich unter Dampf gerät oder gegrillt wird, wie wir neuerdings sagen … naja, das hat seinen Grund.

Herr Graf beliebt nämlich zu wiehern, wenn er in Wallung gerät. Was sehr oft passiert. Davon wissen auf jeden Fall Susanna und Barbarina (Marie Heeschen spielt und singt, dass es ein einziges Vergnügen ist)  ein Lied zu singen. „Mach mir den Hengst“ nimmt der Conte wohl im Sexrausch zumindest akustisch wörtlich.

Wo wir gerade in der Tierwelt sind. Da hängen die Geweihe für die gehörnten (Ehe-)Männer an der Wand, da bringt Marcellina kläffende und bedrohlich knurrende Hunde mit einem gezielten Wurf der Handtasche und einem deutlichen „Scheißköter“ zur Räson. Dass die Tölen schließlich Ruhe geben und nicht gut wegkommen, mag ein kleiner persönlicher Spaß von Regisseur Aron Stiehl sein. Vive la Selbstironie des bekennenden Hundefans, der stets mit seinem Cockerspaniel unterwegs ist. Ist da die Oper auf den Hund gekommen?

Mitnichten! Marcellina und Susanna zischen sich an wie Schlangen und das größte Vieh im Stiehl’schen Zoo ist ein lebensgroßer Vogel Strauß. Was will er uns sagen? Dass viele hier den Kopf in den Sand stecken und sich vor Verantwortung scheuen, bis die Wahrheit zum Greifen nah ist? Bartolo (Martin Tzonev sängerisch und schauspierisch sehr überzeugend) und Marcellina (Susanne Blattert, deren klarer Mezzo und großes komödiantisches Talent zünden) sind ein Paar – um ein Haar hätte sie sich am eigenen Sohn vergriffen (große mythologische Stoffe klingen an). Aber das Spaten-Tattoo klärt die Sache. Figaro (der übrigens erst als Sohn ein Raffaelo wird) muss seine Mutter nicht heiraten; das und die Verantwortung für die Frucht der Liebe vergangener Tage übernimmt Bartolo. Happy couple!

Im vierten und letzten Akt steht die Welt buchstäblich auf dem Kopf. Nichts ist mehr, wie es sein sollte, alles ist aus den Fugen geraten. Wenn vorher schon Susanna Schampus schlürfte und es sich respektlos auf dem Polsterstuhl der Gräfin bequem machte, dann tauscht sie jetzt sogar mit der Contessa die Kleider. Gemeinsam wollen die beiden den Lüstling endlich überführen und ihn zu Einsicht und Reue statt Eifersucht und Gewalt bringen.

So schlüpft Gräfin Almaviva in Susannas Hochzeitskleid (ganz in Weiß …) und diese wiederum trägt die Nixen-Lurexrobe. Apropos weiß. Ist das nicht – insbesondere für eine Braut – die Farbe der Unschuld? Also im doppelten Sinne meine ich. Da muss unsere Susanna leider passen. Den quasi-Akt vollzieht sie recht explizit mit ihrem Figaro vor der Vermählung (ihr erinnert euch: Mit dem Ausmessen des Raums für das Bett, das der Graf dem Hochzeitspaar schenkt, geht die Oper los. Bett= Sex=Leitmotiv … für die ganze Oper).
Unsere unschuldige Zofe allerdings bevorzugt wohl die Liebe an der frischen Luft. Lust macht ihr der Garten (hier auf der Balustrade), wo sie mit dem Grafen knutscht und fummelt. Oh la la … das ist aber schon ganz schön frech für ein junges Mädchen. Wie singt sie so schön? Eine Frau darf es einem Mann auch nicht allzu leicht machen …

Hätte es eine bessere Besetzung für die Rolle geben können als Sumi Hwang? Süß, dreist, durchtrieben, liebenswürdig, clever, lustig … und sehr verführerisch. Alle tätscheln an ihr rum, auch der senile Don Basilio. Lasst uns einen Moment mal innehalten in dieser frischen Inszenierung. Warum haben da Ponte und Mozart die Oper nicht nach ihr benannt? Sie agiert fast ununterbrochen auf der Bühne (großartige Leistung!) und trägt das Geschehen. Rossinis Barbier von Sevilla ist zwar deutlich jünger, beruht aber auf derselben Vorlage von Beaumarchais und stellt quasi die Vorgeschichte dar. Bartolo erwähnt das ganz kurz zu Beginn: Er hegt Rachegedanken Figaro (seinem Sohn) gegenüber, weil er durch dessen List seine Braut Rosina verlor.

Wie wäre es, wenn stets auch als Untertitel „Der tolle Tag“ genannt würde. Denn das trifft es am besten. Toll heißt hier ver rückt und das wiederum von dem rechtmäßig angestammten Platz verschoben. Da zwitschern die Diener Champagner, da fläzen sie sich auf und unter den Betten der Herrschaft, da kaut Cherubino (Hosenrolle für Kathrin Leidig – spitze!) sehr provozierend Kaugummi, da widersetzen sich alle den Anordnungen des Herrn und alles, was Recht war oder zu sein scheint, wird als falsch und trügerisch entlarvt. Ja, was sich an einem einzigen Tag innerhalb weniger Stunden ereignen kann!

Das Setting also ein klassisches Upstairs-Downstairs Scenario – so der Titel  von „Das Haus am Eaton Place“ oder später Downton  Abbey, einer superb gespielten und exquisit ausgestatteten BBC-Familiensaga. Adel und Diener, oben und unten, wahre Gefühle und Klassendenken, Verlust von Geld, Macht, Ansehen und Privilegien, aufbegehrender 3. Stand mit neuem Selbstbewusstsein.  Im 20. Jahrhundert organisiert sich eine Ständegesellschaft neu.

140 Jahre früher allerdings kehren alle zur Ordnung zurück. Vermeintlich! Denn nach den irrsinnigen Verwicklungen singen alle zum Schluss „Lasst uns laufen …“ Aber die große Frage bleibt: Wohin? In eine neue Zeit? Am Vorabend der Französischen Revolution?!?

Bleiben wir im Text, ohne Spekulationen. Bartolo (im upstairs-downstairs Spiel eher unten angesiedelt) schenkt Rotkäppchen-Sekt aus (product placement betreibt der Aron freimütig). Seine zweite (und bessere Hälfte?) ist Marcellina, seinen Sohn erkennt er an. Figaro und Susanna machen den glücklichsten Eindruck, Graf und Gräfin zeigen sich weiterhin höflich-distanziert, Cherubino darf sich mit Barbarina vereinen, und Don Basilio und der Gärtner (der im Suff alles verrät) geben die knarzigen Sidekicks, die das Geschehen ins Rollen bringen.

Es war ein Fest – weniger das Hochzeitsfest, das dieser Opera buffa von Mozart seinen Namen gibt. Vielmehr eine Premiere, bei der das Publikum schon zur Pause die großartige Leistung des gesamten Ensembles mit begeistertem Applaus bedachte. „Selten haben wir so eine einzigartige Einheit von Orchester und Bühne erlebt“ – so Bernhard Helmich, der Generalintendant, bei der Premierenfeier.  Wem gebührt der Dank dafür? Dem Dirigenten! Dirk Kaftan am Pult!

Selten haben wir so viel Freude und echten Spaß bei einer Oper gehabt. Szenenapplaus für komische Einfälle – von den Requisiten bis hin zu witzigen Einwürfen auf  Deutsch. Selten haben wir so mit und über die Personen gelacht, haben die Situationskomik genossen, die Aron Stiehl so spielerisch inszeniert. Selten aber auch in den großen Arien so tief mit den Personen gelitten – die Verzweiflung der Contessa (Dove sono i bei momenti …) und die Wut und Enttäuschung des Figaro (Ach öffnet eure Augen, blinde, betörte Männer). Diese Rolle füllt Wilfried Zerlinka, ein Mozartbass par excellence und für diese Produktion als Gastsänger aus Graz eingeladen, mit viel Spielwitz aus.

Und die .  von der Geschicht‘? Ändern wir einen einzigen Buchstaben aus der zweiten (von drei) Oper aus der Mozart-da Ponte Werkstatt. Così fan tutte (so machen es die Frauen) zu così fan tutti (so machen es alle!) 

In der Wiederaufnahme gibt es 6 Termine, den letzten am 14. Dezember 2019Karten gibt es hier.

 

1 comment

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  1. Conny

    Liebe Matilda,
    wie schön und passend du den fantastischen opernabend beschrieben hast. Vom Herzen direkt in die Feder! Und ich durfte dabei sein…

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