Ein Gemeinplatz unter Theater- und Filmleuten: Gegen Kinder und Tiere kannst du nicht anspielen. Welch ein Irrtum, wie sich heute bei der Matinee zu „Die Hochzeit des Figaro“ zeigte. Pancho, der etwas hüftlahme, aber spürsichere Hund als Begleiter von Opernregisseur Aron Stiehl, ließ sich auf und über die Bühne tragen, entschwebte aber gleich nach dem Schlussapplaus zielsicher zum Buffet im Restaurant. Eine feine Hundenase eben.
Also das Gruppenbild mit … Hund. Da saßen, standen und sangen sie nun, das Team in der Vorbereitung zur Premiere von Mozarts Hochzeit des Figaro. Sieben Männer und drei Frauen. Susanne Blattert, demnächst zu sehen und zu hören in der Rolle der Marcellina, Marie Heeschen, die sowohl die Susanna als auch die Barbarina singt, der allerdings nur eine kleine Arie vergönnt ist. Und am Flügel – die wunderbare Studienleiterin Julia Strelchenko, die unser Sonntagsensemble so einfühlsam, konzentriert und liebevoll unterstützend begleitet. Den Klavierauszug trägt sie wie ein Stück von sich selbst. Sehr bescheiden fand sie am Ende ihren Beitrag ja nicht so schwierig – das Publikum war anderer Meinung und applaudierte ihr besonders heftig.
Wie waren die Männerrollen besetzt? Leonard Bernad – schlank, agil und dabei bassig – als Figaro. Und fulminant ging’s los: seine Arie aus dem 4. Akt. Er verwünscht alle Frauen. Sie sind verlogen, sie betrügen, sie verdienen kein Vertrauen, sie sind einfach das personifizierte Böse, nämlich der Teufel. Während er singt, malt er mit weißer Kreide ein mageres, aber mit Dreizack und Hörnern ausgestattetes Exemplar dieser Spezies auf eine schwarze Tafel. Oh je … sein Traum von Liebe scheint geplatzt.
Nach diesem leidenschaftlich-feschen Intro nehmen drei Herren Platz. Tilmann Böttcher, Leitender Dramaturg des Beethoven Orchesters Bonn, Aron Stiehl, der Opernregisseur mit Hund, und Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor und Dirigent des Figaro. Herr Böttcher erweist sich als dezidiert charmanter und eloquenter Moderator der knapp 90-minütigen Matinee. Allerdings kauft ihm Susanne Blattert, erfahren in Probe und Interview, gleich einmal den Schneid ab. Sie sei ja nicht gerade eine frische Hochschulabsolventin … Ja, und sie mag Regisseure mit klaren Ansagen … und ja, das mache einen Teil ihrer Professionalität aus, sich immer wieder neu auf die Wünsche der Inszenierung einzustellen.
Aron Stiehl ist anzusehen, dass ihn eine Talkrunde in den roten Sesseln eher langweilen würde. (Genauso wie Dirk Kaftan, der an der Seite von Julia Strelchenko am Flügel später für uns alle zum Greifen nah dirigierte.) Er bot an, den Gästen – das Foyer war bis auf den letzten Platz besetzt – Einblick in die szenische Probenarbeit zu gewähren. Auf diese Option reagierte das Publikum begeistert, bis vielleicht auf die Dame in der ersten Reihe, die er spontan zur Regie-Assistentin beruft. Ihr einziger Job sei es nun – mit dem Klavierauszug in den Händen – den GMD vom Dazwischenfunken abzuhalten. Klar, damit hatte Stiehl die Lacher auf seiner Seite. Ein Fuchs natürlich, denn sogleich stieg er ein in die Erarbeitung dieser Opera buffa, einer komischen Oper. „Nicht die Personen müssen komisch sein, sondern die Szene“, sagte er. Deshalb seien Komödien so schwer zu inszenieren, viel schwieriger als damatische Stoffe. Zu einer Opera buffa gehöre eben neben dem Gesang auch große Schauspielkunst – und das sei die Stärke des Bonner Ensembles! Die Mitglieder schaffen es immer wieder, Komik ohne Klamauk auf die Bühne zu zaubern. Was sie dazu benötigen? Die Liebe zu den Figuren, die sie spielen und singen.
Und das Geheimnis dabei? Das erläutert Dirk Kaftan. Die schwarzen Pünktchen auf dem Notenpapier der Partitur unterschiedlich malen, um die Klang“farbe“ zu erzeugen. Jede Person hat ihre eigene Farbe, wie zum Beispiel die mädchenhafte Gärtnerstochter Barbarina in ihrer Arie in f-moll. Wie werden nun die Personen gezeichnet? Mit einer Mischung aus Charakter, Text, Aussage und Stimmung – so komme man Mozart auf die Spur, bringe Licht in seine Intention. Hinzu komme sein genial ausgeklügelter Tonartenplan, den wir als nicht-professionelle Musiker nicht erfassen, aber unbewusst wahrnehmen.
„Du bist stark sexuell orientiert, Susanne. Kannst du das mal aus dem Unterleib singen?“
Mit diesen Worten lockte Stiehl Susanne Blattert aus der (erotischen Darstellungs-) Reserve. Perfekt beherrsche sie das Timing, um mit einer winzigen Geste den tieferliegenden Sinn der Musik darzustellen. „Erst die Handlung, dann das Singen!“ war Stiehls Anweisung an alle auf der (provisorischen) Bühne. Das war ein Heidenspaß für das Publikum – weil eben die renommierten Ensemble-Mitglieder die vorher natürlich „in echt“ erfolgten Proben darbrachten. Gleichzeitig war die Spiellust aller – einschließlich der kleinen Frustrationen nach der x-ten Unterbrechung – authentisch. Auch bei Giorgos Kanaris, der am Ende reumütig auf die Knie geht vor seiner Gräfin. Seine Rolle als der testosteron-gesteuerte Verführer legt er auch in diesem Moment nicht komplett ab. Als Contessa hat hier Anna Princeva einen kurzen Auftritt.
Wie echt kann diese Bitte um Verzeihung sein? Wie kann es in einer solchen Ehe weitergehen? Am Ende heißt es: Lasst uns alle laufen – im Sextett. Die Frage ist wohin? Dirk Kaftan schlägt einen großen Bogen vom Gedankengut der Aufklärung und dem Primat der Vernunft, hin zu Ständegesellschaft, Macht, jus primae noctis und dem Recht, zu sanktionieren und über Leben und Tod zu entscheiden. Mozart beleuchte auch in dieser heiteren Opera buffa die menschlichen Abgründe, dort wo Abstürze jederzeit drohen, darin Shakespeare nicht unähnlich. Wie er das macht? In der kongenialen Zusammenarbeit mit Lorenzo da Ponte gelingt ihm eine Verweben von Musik, Szene und Text, die eben nach mehr als 200 Jahren noch trägt. Die Oper hat uns Nachgeborenen etwas zu sagen, vielleicht weil wir vieles eher subkutan wahrnehmen als kognitiv erfassen. Und ja, fügt Kaftan hinzu, er unterstützt Stiehls Regieansatz völlig. Ein Trump, der mit seiner ungehörigen Chuzpe und den großkotzigen Gesten seine und alle Welt kauft, ist ein Graf Almaviva reloaded.
Gerade diese Oper zeuge von Mozarts genialer runder Komposition durch die Tonarten. Ausgehend von D-Dur (die Welt ist in Ordnung, die Musik bringt strahlendes Licht auf die Bühne) über die Moll-Arie der Barbarina komponiert er einmal um den Tonartenkreis, um am Ende wieder bei D-Dur anzukommen. Und das demonstrierte er eindrücklich selbst am Klavier – definitiv ein Macher, unser GMD.
Bravo-Rufe schon bei der Einführungsmatinee – wann hat es das je gegeben? Alle Stimmen, alle Figuren auf der Bühne, bis hin zum Gärtner? Ebenso nie. Alle Beteiligten haben Riesenspaß (besonders auch David Fischer) – und das kommt beim Publikum rüber und gut an. Appetithappen aus der szenischen Probenarbeit – Schmankerl, bei denen herzlich gelacht und spontan applaudiert wird.
Andreas K.W. Meyer, der Operndirektor, nahm sichtlich erfreut den Zuspruch zur Kenntnis. „Das ist ja kaum zu toppen“, gratulierte eine Matinee-Besucherin. Ob es das wohl brauche, sinnierte darauf der Opernchef. Es sei vielleicht auch ganz gut, eine gewisse Fallhöhe zu etablieren.
Nichts, aber auch gar nichts erfuhren wir von der Ausstattung. Da dürfen wir uns gespannt auf die Premiere freuen, einen Tag nach Mozarts 262. Geburtstag. Die Geschichte, den Plot, umriss Tilmann Böttcher so kurz wie möglich. (Um alle Erzählstränge und Verwicklungen abzubilden, benötigt man einige Textseiten im Opernführer). Hier nur soviel. Wir treffen alte (Opern-) Bekannte, die miteinander noch Rechnungen offen haben. Und jeder geht jedem irgendwie an die Wäsche (Eros, der alte Weltenherrscher, spielt eine große Rolle), #metoo, Transgender, latente Homosexualität, Androgynität – lauter aktuelle Themen!
Am Ende scheint die alte Ordnung wiederhergestellt – jede und jeder an seinem standesgemäßen Platz und mit dem oder der adäquaten Partner(in). Aber es klang bereits an: Die größten Umbrüche seit dem Mittelalter, wo die Erde eine Scheibe und Gott die maßgebliche Institution war, stehen unmittelbar bevor. Mit der Französischen Revolution rollen Königshäupter, schwingen sich die Liberalen auf die Barrikaden. Auch das spürt Mozart – selber wahrhaftig kein Revoluzzer, sondern Auftragskomponist für den Kaiser – und bringt es in musikalisch genial auf die Bühne.
Die Premiere am 28. Januar 2018 ist nahezu ausverkauft. Einige wenige Karten noch hier . Alle weiteren Termine unter theater-bonn.de