Mit Gianni Schicchi und dem Tappert ins Neue Jahr

Das Opernjahr in Bonn beginnt mit einer (semi-)konzertanten Aufführung von zwei Opern aus Puccinis Il Trittico. In diesem Triptychon hat er drei  Einakter-Opern in hermetisch geschlossener Form komponiert. Gianni Schicchi und Il Tabarro (ohne die dritte im Bunde, Suor Angelica) eröffneten das Opernjahr 2018 in Bonn.  Jacques Lacombe dirigierte das Beethoven Orchester.

Die Geschichte vom listigen Hänschen und der Erbschaft im Hause von Buoso Donati (wörtlich: der mit den Geschenken)  ist schnell erzählt. Der alte Donati liegt sterbend darnieder und die gesamte Verwandtschaft fürchtet nichts mehr, als dass der Alte sein Vermögen inklusive diverser Liegenschaften und Immobilien dem Kloster vermacht habe. Kurzerhand schmieden sie einen Plan. Damit jede und jeder das Wunschobjekt bald sein eigen nennen kann, muss das Testament vernichtet und ein neues ausgestellt werden. Der verschmitzte, aber nicht wirklich in die bürgerlichen Verhältnisse passende Gianni Schicchi verspricht allen fette Beute, wenn die Familie nach seinem Vorschlag verfährt. Daran knüpft er die Bedingung, dass der Sohn des Hauses seine Tochter Lauretta heiraten darf, obwohl diese Heirat nicht standesgemäß wäre.

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Gesagt, getan. Der Tote wird ins Nebenzimmer geschoben, Gianni legt sich, mit Nachtmütze und Schal vermummt, an seiner Stelle ins Krankenbett. Dann ruft man den Notar, mit dem Gianni durch die Türritze kommuniziert. Er diktiert quasi die Aufteilung seines Vermögens nach seinem Ableben. Der Klerus bekommt … so gut wie nichts. Die gierige Verwandtschaft … so gut wie nichts. Der listige Simulant … so gut wie alles. Er ist sich seiner Sache sicher. Denn alle stecken mit ihm unter einer Decke  und in Florenz gilt: Wer ein Testament fälscht, dem schlägt man die rechte  Hand ab und er geht in die Verbannung. Am Ende stehen alle düpiert da und das Kammerstückchen hat sich zum Kabinettstückchen entwickelt, bei dem sich natürlich auch die Liebenden kriegen.

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Dass es so schwer sein muss, glücklich zu sein (Giorgetta in Il Tabarro)

Ganz anders, ganz tragisch dagegen der Eifersuchtsklassiker Il Tabarro. Hier fungiert nicht der Held als Namensgeber, sondern ein Kleidungsstück, die Houppelande (nach der französischen Originalvorlage), der Tabarro (nach dem italienischen Librettisten und Komponisten) oder der Tappert, wie der weite Umhang im deutschen und niederländischen Sprachgebrauch hieß. Also auf von Florenz nach Paris.

Es enstpinnt sich eine klassische Dreiecksgeschichte, die mit dem Tod des Nebenbuhlers endet. Was war passiert? Der Schiffseigner Michele ist drauf und dran, seinen Ladegehilfen Luigi zu entlassen. Er weiß von dessen Liebschaft mit seiner Ehefrau Giorgetta. Diese wiederum verabredet sich mit Lichtzeichen mit ihrem heiß geliebten Luigi. Sobald der Gatte sich unter Deck zum Schlafen zurückzieht, soll er über den Landesteg an Bord kommen für ein Schäferstündchen. Ganz schön leichtsinnig, raunt da der gesunde Menschenverstand. Aber hier geht’s nicht um common sense, sondern um überhöhte Gefühle auf der Opernbühne.

Nun kommt der Mantel zum Einsatz. Hing er schon von Beginn an über die Stuhllehne, verhüllt er nun sehr eindrucksvoll die große Gestalt von Mark Morouse als Michele. Der Umhang schafft eine Welt, in der die Vergangenheit  tröstlich, warm, sicher und behütet war. Nach dem Tod des einzigen Kindes fand Giorgetta dort, eng an ihren Mann geschmiegt, Trost und Zuversicht. Davon allerdings blieben nur Erinnerungen und Giorgettas Liebesbekenntnis ist schlichtweg gelogen.

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Nun aber schilt Michele seine Frau eine Schlampe. Er  durchschaut die Liebeständelei und bringt den Nebenbuhler kurzerhand um, als dieser wie verabredet auf’s Schiff kommt. Die Leiche versteckt er unter seinem Mantel. Giorgetta bietet sich ein grausiger Anblick. Der Mantel hat es „in sich“: Liebe und Hass, Glück und Tod.

Bevor es aber zum Eifersuchtsdrama mit tödlichem Ausgang kommt, spielen sich im wahrsten Sinne des Wortes kontrastreiche Szenen ab. Der Dreierkonstellation stellt der Dichter ein altes Ehepaar,  La Frugola und  Il Talpa gegenüber: das Frettchen und den Maulwurf, von Michele als  Metze und  Trinker abqualifiziert. Ceri Williams und Martin Tzonev  zeigen als Paar, wozu einander nicht (mehr) liebende Partner auf die Dauer der langen Ehejahre mutieren.

Das hört sich ja nach Elendsmilieus an, riecht nach Absinth und faulem Obst. Ja, aber … Wir hören eine Puccini Oper. Da walzert es über den Schiffsboden zu den schrägen Tönen der Drehorgel. Das Orchester humpelt im Dreivierteltakt ebenso wie Giorgetta mit La Tinca, dem Stockfisch. Da flaniert ein junges Pärchen verliebt am Seineufer (richtig, das zweite Kontrastpaar; so zärtlich geht es meistens los.) Da verkauft ein junger Musiker Lieder, die auch von der kranken Mimi handeln, und stellt einen Kundenstopper mit dem Bohème Plakat auf. Da wirkt Paris wie eine Verheißung, es lockt ein Häuschen auf dem Land mit einem sesshaften Leben, von dem Lastschiffer bisweilen träumen.

1918 kam die Oper in New York zur Erstaufführung. 40 Jahre, nachdem nicht-adlige Milieus bühnenfähig wurden, 30 Jahre nach den ersten naturalistischen Dramen.  Art Nouveau und Art Déco bestimmen den Stil. Trifft Puccini den Zeitgeschmack? Mit fast 40 Streichern im Orchester? Und der unvermeidlichen Harfe?

Das Neujahrspublikum – viele treue Opernfans, viele Plätze blieben leer – genoss die beiden Einakter sichtlich und sehr hörbar. Begeisterter Applaus für beide Stücke, großer Jubel für die Einzelleistungen. An erster Stelle zu nennen die zauberhafte Sumi Hwang. Verführerisch rot das Kleid, unschuldig zartrosa der Mantel mit Hut, betörend ihr klarer Sopran. „O mio babbino caro“ – anrührend interpretiert sie die einzige veritable Arie dieser Oper, die zurecht zu den unvergänglichen Opernmelodien zählt.

Beim listigen Gianni Schicchi schauen wir zweimal hin. Wir erwarten einen kleinen, wendigen Florentiner, stattdessen erscheint ein teutonischer Hüne mit auffällig geformter Nase. Weil er allen eine lange Nase dreht? Weil er der große Bruder des Lügenknirps Pinocchio ist? Renatus Mészár verkörpert kaum die Schlitzohrigkeit des gewieften Betrügers – da hilft auch die Bitte um Milde und Nachsicht ganz im Sinne des Ursprungsautoren Dante Alighieri in der Göttlichen Komödie nicht wirklich.

Der Einakter als geschlossene Form (hier wie im besten Fall Spielzeit = gespielte Zeit) , auf jeden Fall aber in der Einheit von Ort, Zeit und Raum wirkt auch auf die Ausstattung. Schauen wir uns die Kostüme an. Lauretta sticht in Rot und Rosa aus der farbfahlen Familentristesse heraus, Zita, die sauertöpfische Tante (herrlich mimisch, schauspielerisch und gesanglich interpretiert von Ceri Williams), in ihrer PerlenkettemitHutundGehstock-Noblesse ebenfalls. Schön anzuschauen! Und schön gesungen, die ganze Familienposse, sowieso.

„Warum ist es so schwer, glücklich zu sein?“, sinniert allumfassend Giorgetta, die zwar häufig auf dem einzigen Stuhl, ansonsten aber traurig zwischen zwei Stühlen sitzt. Yannick Muriel Noah singt in einer Klasse für sich. Die beiden Duette mit Luigi (George Oniani) und Michele (Mark Morouse) – so voller Hingabe, so voller Entschlossenheit, so voller böser Ahnung. Fein anzusehen und erstaunlich abgehoben von den Arbeitern in karierten Hemden und Jeans nach West-Side-Story Manier. Jetzt ist es nicht einmal mehr das Künstlermilieu, sondern tatsächlich die Arbeiterklasse, die wie bei Zola oder Hauptmann bühnen- und tragödienfähig wird. Nur dem stattlichen Mark Morouse hätte ein gut sitzende Hose besser zur Figur gestanden.

Funktioniert die halbzenische oder semi-konzertante Aufführung? Vor allem mit dem Orchester auf der Bühne? Im Prinzip sehr gut sogar und im Gianni Schicchi besser als bei Il Tabarro, aber …

Im Parkett war das Hörerlebnis für einige gewöhnungsbedürftig. Ihnen war das Orchester zu präsent, wenn nicht zu dominant. Die Sängerinnen und Sänger hätten Mühe gehabt, sich durch die Klangfülle hindurch zu positionieren. Das klang im Hochparkett und auf dem Rang deutlich anders. Hier hatten Auge und Ohr synästhetisch mehr vom Bühnengeschehen: fantastische Sicht auf das wunderbar spielende Beethoven Orchester unter Maestro Jacques Lacombe und fein differenzierte Gesangspartien.

Apropos: Das überdimensionale Puccini-Porträt verdanken wir dem Verein der Opernfreunde Bonn, der diesen Beitrag zum Bühnenbild sponsorte. Der Verein organisiert Hintergrundgespräche und Probenbesuche, fördert junge Künstler und lobt Preise aus. Neue Mitglieder sind herzlich willkommen. Es lohnt sich!

Die zwei Drittel vom Triptychon stehen in Bonn noch vier Mal auf dem Programm. Termine & Tickets hier.

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