Klingt wie das Mantra der sich-selbst-therapierenden Grübelgesellschaft? Loslassen, um Neues anzupacken? Mitnichten! Es sind die ersten Zeilen des unsterblichen Evergreens aus Johann Strauss‘ (Sohn) Operette Die Fledermaus. Heute also ein Ausflug ins leichte Fach, in die Oper Köln ins Staatenhaus.
Der Champagner war schuld. Auch das Gläschen, das mir beim Souper der feinen Abendgesellschaft des Prinzen Orlofsky ein Chorsänger reichte? Waren auch meine Einschätzungen perlend beschwipst, dass ich den Abend – wie offensichtlich alle im Publikum – wie eine vorgezogene Silvestersause genoss?
Es war ein Fest, sprühend, spritzig, spannend und so fesselnd, dass die zwei Stunden der beiden ersten Akte wie ein seliger endloser Wiener Walzer vergingen. Nicht einmal die Schalenstühle mit Minimalkomfort trübten die Freude. Hier stimmte einfach alles.
In rasantem Tempo blitzte eine Show über die Bühne, dass zwei Ohren und Augen nicht reichten, um all‘ die Eindrücke gleichzeitig aufzunehmen. Ein rascher Blick auf die Akteure. Das Gürzenich Orchester spielte auf … und meisterte die musikalische Zeitreise von 150 Jahren bravourös. Da klebte kein Wiener Schmäh, das klang frisch und frech. Alles Walzer? Ja, und Polka, und CanCan und Mazurka und Csardas.
Und aus dem Off … erhebt Mirko Roschkowski seine Stimme. Wunderbar, dieser Tenor! Elegant, lyrisch, in den Höhen sicher, klar und kräftig. In seinem Dandy-Outfit, das er zur Mini-Fotosession trägt, sehen wir ihn nicht lange. Als Alfred fällt ihm in der Fledermaus die Rolle des unbekümmerten Verführers zu, der amouröse Abenteuer ohne Reue genießt.
„Der Alfred ist doch eine sehr dankbare Rolle.
Denn ich darf einfach nur mich selbst spielen. HERRLICH!“
Mirko Roschkowski (Tenor) singt und spielt zurzeit als Ensemblemitglied am
Hessischen Staatstheater in Wiesbaden.
Ganz kurz zur Geschichte: albern, absurd, aber liebenswert. Gabriel von Eisenstein muss ein paar Tage Arrest absitzen, macht sich aber statt in die Zelle auf zum Souper beim Prinzen Orlofsky, wo sich wohl so manche Gespielin als „Nacktschnecke“ einfinden wird. Deswegen hat seine Frau sturmfreie Bude und empfängt ihren Verehrer Alfred, der unverzagt seine feine Kluft ablegt und fortan nur noch in Herzchen-Boxershorts, braunen Socken und dem Morgenmantel des Herrn Gemahl spielt. Der mag hummer- oder lachsfarben sein – auf jeden Fall maritim. Austern schlürfen die paarungswilligen Damen und Herren sowieso alle. Nun tritt der Gefängnisdirektor Frank auf den Plan und führt Alfred als den Gatten Herrn vonundzu Eisenstein ab. Tja, dumm gelaufen. 3/4 Stunde des ersten Aktes dominiert Mirko Roschkowski mit seiner sexy Bühnenpräsenz. Er küsst und schmachtet, dänzt und kokettiert. Irgendwie ist die Operette ne Klamotte, aber so komisch inszeniert, dass sie nie in den Klamauk driftet. Ausgezeichnet gemacht!
Zweiter Akt: Palais des Prinzen Orlofsky. Kangmin Justin Kim lässt alle aufhorchen. Ein Countertenor vom Feinsten. Tanzt den Moonwalk und den Cancan. Gestaltet generös die Party in seinem Haus, erlaubt die promisken Spiele – und legt selbst Hand an bei den Tänzern, die nach Transvestitenart stöckeln und Hüften schwingen. Olala!
Und jetzt ist nichts und niemand mehr, was oder wer es oder sie oder er scheint. Es wimmelt von falschen Marquis(en) und Chevaliers, die Eisenstein-Zofe Adele tritt als Schauspielerin auf und Rosalinde von Eisenstein schließlich als ungarische Csardasfürstin. Mon dieu!
Kurz und gut, am nächsten Morgen (der dritte Akt beginnt) pflegen alle einen dicken Kater. Treffpunkt der nun demaskierten Gesellschaft ist am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala angesiedelt, im Gefängnis. Alfred hat dort die Nacht verbracht. Rosalinde sucht ihren Mann Gabriel. Adele gesteht ihre Lügengeschichte. Gefängnisdirektor Frank wird seinem Tölpelgehilfen Frosch nicht Herr. Viele Verwicklungen, viel Verzeihungen, viele Versprechen. Am Ende sind sich alle einig: Der Champagner war schuld.
Dass die ganze Geschichte als „die Rache der Fledermaus“, nämlich Eisensteins Freund Notar Dr. Falke, angelegt war, entblättert sich nun. Dieser Rahmen bedeutet für die herrlichen Szenen nichts. Revanche für einen dummen Streich beim Junggesellenabschied halt. ABER: Für die Prüderie des Kaiserreichs jagt ein Affront den nächsten. Endgültig rechnete Arthur Schnitzlers Reigen 1920 mit der muffigen Herrenerotik ab. Alle tun es, quer durch alle Gesellschaftsschichten, unabhängig von Rang und Namen.
Oper im Staatenhaus „Eine musikalisch und sängerisch hervorragende Aufführung. Die Anordnung von Bühne und Orchester wie hier in dieser Interimsspielstätte ist allerdings eine Herausforderung für unsere Hörgewohnheiten. Wer links von der Mitte sitzt, sieht sich der Präsenz und der Dominanz der Sängerinnen und Sänger direkt gegenüber. Das Orchester bleibt dahinter zurück, sodass sich Klang und Stimmen nicht wie gewohnt verweben. Den größeren Hörgenuss hätte man vermutlich im Mittelblock ganz rechts. Dennoch: Kollegiale Gratulation an alle Beteiligten – großartig!“ Olaf Haye (Bariton) singt als Ensemble-Mitglied am Theater Hagen momentan den Pannecke in Frau Luna von Paul Lincke. |
Das ganz Besondere dieser Inszenierung? Sie holt mit einer rasanten Abfolge von witzigen, teilweise aberwitzigen Regieeinfällen diese Operette mit ihren himmlisch-schönen Melodien aus der Klamottenkiste und transportiert sie in die visuelle Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Schrill, farbenfroh, kitschig, mit einer tollen Lichtregie (sicher nicht ganz einfach in dieser Halle). Die Gags zünden, von Situationskomik bis hin zum Wiederholungszwang wie in Stan&Ollie Szenen. Die Separées im Prinzenpalais werden halb ausgeleuchtet, der Glitzer und Glimmer (die Boys in ihren hotten Outfits und die Tänzerinnen als „golden girls“) entlarven sich natürlich – wir ahnten es – als Talmi und Tand.
Wenn das Tempo der Inszenierung uns fast atemlos macht, dann schwelgen wir doch in der herrlichen Musik. Da wippen Füße mit, da dürfen wir mitsingen, da wiegen sich Oberkörper und eine junge Freiwillige walzert auf der Bühne mit.
So treffsicher wie Strauss Sohn und sein Librettist die Charaktere in Text und Musik zeichneten, so perfekt sind die Rollen mit Ensemblemitgliedern und Gastsängern besetzte. Claudia Rohrbach als Adele hat sich ihren jugendlichen Charme nicht nur in der Stimme bewahrt. Gesanglich ganz und gar überzeugend, legte sie als Dienstmädchen Adele eine Glanznummer hin. Kostüme und kecke Gesten absolut stimmig.
Gabriel von Eisenstein verkörperte der Bariton Miljenko Turk. Geschickt führte er seine Stimme auch in Tenorlagen, wobei er Volumen reduzierte. Sehr schön! Und darüber hinaus: Wie er log, wie er flirtete, wie er grapschte und bezirzte, wie er verzweifelte und raste, wie er bettelte und beschwor – ganz großes Kino! Seine Gattin Rosalinde, über die er eifersüchtig wacht, während seine kleinen Amouren wohl zum guten (gesellschaftlichen) Ton gehören, sang Ivana Rusko. Tugendhaft versucht sie, Alfreds Avancen abzuwehren, aber auch sie ist eine feinnervige Vertreterin der Spezies Doppelbödigkeit. Das jugendlich-sexy schwarze Kleid mit den Overknees – hoher Verführungsfaktor garantiert. Und wie alle anderen musste auch sie zweimal ganz raus aus dem Fummel. Viel nacktes Bein also – mit unterschiedlichem Sex-Appeal. Rosalinde hier ein Powersopran, der an Höhe und Kraft in der Ausgestaltung im Laufe des Abends noch dazugewinnt.
So, und bei so viel Begeisterung gar kein Wermutstropfen? Nun ja. Der Frosch (hier gut interpretiert von Jochen Busse auch als Quasi-Impresario) hat im dritten Akt viel zu sagen. Und zu trinken. Wenn alle anderen wortwörtlich ernüchtert auf den Scherbenhaufen blicken, den die ominöse Nacht hinterlassen hat, säuft er sich die Hucke voll. Und erzählt viel. Hier wäre ein bisschen weniger mehr gewesen. Seine Beiträge drohten in Büttenrede und Schenkelklopfer – auch mit billigen Anspielungen – zu rutschen. Aber wir sind in Köln. Vorgezogene Silvesterstimmung, Karneval steht vor der Tür, das Publikum quittierte seine Auftritte mit spontanem Lachen und Applaus. Alles gut.
Resümee? Ein heiter-vergnüglicher Abend, rasant gespielt, getanzt, gesungen. Und – auch das sei sehr lobend erwähnt – perfekt gesprochen. Die Darsteller auf der Bühne sind ja primär keine Schauspieler; ihre Sprechanteile werden über Mikro verstärkt, anders als die Lieder und Arien. Das ist der Akustik im Staatenhaus geschuldet.
Als Opernfreundin hat mich ein kleines Zitat am Ende gefreut. Alfred, der unschuldig (!) und an Eisensteins Stelle die Nacht in Zimmer 12 verbrachte und noch angekettet ist, zitiert Florestan aus der Schlussszene des Fidelio. Es geht um namenlose Freude und eine treue Gattin. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Und nun adé für dieses Jahr und eine Anmerkung. Früher habe ich auf Autogramme verzichtet; das wäre mir peinlich gewesen. Heute freue ich mich an einem Foto mit Künstlerinnen und Künstlern, die ich verehre.
Seht selbst, habt riesigen Silvesterspaß und schaut auch im Neuen Jahr bei mir im Blog rein. Eure Matilda in der Oper.