Die Eroica im Spiegel

Da reflektieren zwei exponierte Personen aus Musik, Ästhetik und Philosophie die Sinfonie Nr. 3, Es-Dur, op. 55, Sinfonia Eroica von Ludwig van Beethoven. Peter Sloterdijk, der wohl bekannteste und gleichzeitig umstrittenste deutschsprachige Philosoph der Gegenwart, und Dirk Kaftan, seit einigen Monaten Generalmusikdirektor in Bonn und Dirigent des Beethovenorchesters, präsentieren die zweite Ausgabe von „Im Spiegel“ in der Oper Bonn.  Das Konzept ist neu für Bonn und lautet: Hören wir die Musik anders, wenn wir sie unmittelbar vor der eigentlichen Aufführung unter einem oder mehreren außermusikalischen Aspekten beleuchten (lassen)?  Hierzu hatte Dirk Kaftan Peter Sloterdijk eingeladen, den emeritierten Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.

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Der wortvirtuose Buchautor fand sich nun einem rhetorisch brillanten GMD gegenüber, der verbal so souverän wie mit dem Taktstock wirkte. Los ging’s allerdings mit den beiden ersten Schlägen der Sinfonie – sonst nichts. Die Frage dazu: warum der gewaltige Auftakt? Klingt sie anders ohne? Dieser Kniff wurde das Inszenierungs-Leitmotiv. Dirk Kaftan wechselte ständig zwischen talking point und conductor’s podium. Er ließ die Musikerinnen und Musiker des Beethovenorchesters kleine Experimente vollführen. Und siehe da – ecce! – ein paar Takte Beethoven mit aller Kraft und Expressivität verwandeln sich in die Anmut und Grazie Mozarts.

Beim Trauermarsch (marcia funebre) schieden sich die Geister. Dort sah Sloterdijk einen aktuellen Bezug zur DMDD. Nie gehört? Ich auch nicht. Musste ich googeln, auch nachdem der Philosoph es kurz übersetzte. „Eine der modernen (amerikanischen) Befindlichkeiten, die zwischen großer Wut und Tobsucht und schwer depressiven Rückzügen pendelt (Disruptive Mood Dysregulation Disorder).“ Jetzt leuchteten Kaftans Augen. Für ihn steigt die Musik hier  aus den Höllenqualen in die Erlösung des himmlischen Friedens auf. Und – glitztert der Schalk in seinen Augen und man sieht das Musikerherz förmlich hüpfen – es mache teuflische Freude, diesen Satz zu spielen.  Sprach’s, sprang auf’s Pult und ließ anspielen. Toll!

Sloterdijk sah seine kritische Aufgabe als Philosoph darin, den Schwingungen der Alltagsbefindlichkeiten der Menschen einer bestimmten Zeit Ausdruck zu verleihen, ihnen eine Stimme zu geben. So könne das Affirmative der Musik Beethovens heute nicht mehr ohne erläuternde Kommentierung und kritisch moderiert interpretiert werden. Ich meine, gesehen und gespürt zu haben, dass Dirk Kaftan dies nahezu als Herausforderung aufnahm.

Seit Jahren zitiert Sloterdijk gern an der Stelle die Anekdote zum Titel der dritten Sinfonie. Beethoven war ein glühender Verehrer Napoleon Bonapartes. Die beiden Männer bis auf ein Jahr Unterschied gleich alt. Welch eine Koinzidenz großer Persönlichkeiten! Beethoven idealisierte die französische Revolution unter dem Schlagwort „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Nun passierte, was Sloterdijk eine grandiose Unverfrorenheit und Geschmacklosigkeit nannte. Napoleon ließ Papst Pius VII  als Legitimationsgehilfen zugegen sein, um sich dann selbst die – naja – wohl goldene, aber nahezu selbst gebastelte Krone nach Caesarenart aufzusetzen. Eine kleine Rache für eine Intrige seiner Frau Josephine, auf deren Drängen hin der Papst für die Kaiserkrönung beider die kirchliche Vermählung als unerlässlich erklärt und am Vorabend der Krönungszeremonie in Notre Dame vollzogen hatte.

Was bedeutet das für die Musik und die Überlieferung? Das Titelblatt trug schon die Widmung für den neuen Kaiser, als Beethoven (vielleicht litt er auch an DMDD, obwohl das eigentlich nur bei Kindern und Teenagern diagnostiziert wird) es persönlich abriss und der Sinfonie den Namen Eroica verlieh. Was natürlich Heldentat oder das Heldenhafte bedeutet. Und ganz nebenbei: Der große Komponist wusste zu dem Zeitpunkt, dass er innerhalb der nächsten vier Jahre vollständig ertauben würde. Seine vehementen Wutausbrüche sind psychologisch oft mit diesem Schicksal in Verbindung gebracht worden.

Von Nietzsche und Hölderlin war in der Folge die Rede. von Mythologie und musikalischen Späßen. Hatte doch Beethoven im dritten Satz einen falschen Einsatz des „armen zweiten Hornisten“ (so Kaftan) mit Absicht so komponiert, dass das ganze Orchester ihm als Antwort eine „schallende Ohrfeige verpassen konnte“.

Die Quintessenz des Fachgesprächs? Peter Sloterdijk war davon überzeugt, dass was und wie wir hören, immer vom Taktstock abhängt … ähm … und natürlich vom Dirigenten, vom Menschen. Hätte es eine bessere Überleitung für Dirk Kaftan geben können? „Dann wollen wir doch mal sehen, ob Sie jetzt anders oder mehr hören!“ sprach er und ließ das Beethovenorchester in Bestform zu Wort, das heißt natürlich zu Ton und Noten, kommen.

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Musik verbindet, das ist eine Binsenweisheit. An einem heiteren Adventsvormittag trifft das ganz sicher zu. Man (und frau auch) grüßte rechts und winkte links. Schön, hier zu sein. Neben mir das Ehepaar König*, das sich vor Bravorufen in den frenetischen Schlussapplaus hinein kaum im Sessel hielt. Musikalisch hinreißend, darüber waren sich alle einig. Aber Dirk Kaftan so nah in voller Aktion zu sehen … Unglaublich, wie der Dirigent mit jeder Geste, mit jedem Blick, mit jedem Nicken, jedem Wippen, jedem 180-Grad Turn und mit jedem Stirnrunzeln die Musik förmlich aus den Instrumenten herauslockt und -winkt, in seinen eigenen Sog zieht. Grandios. „Völlig fasziniert bin ich jeder seiner Bewegungen gefolgt“, verriet Herr König. „Der braucht bestimmt kein Abo im Fitnessstudio“, ergänzte seine Frau. So viel „action“!

Nach drei Monaten in Bonn ziehen die Besucher erste Zwischenbilanz: Ein GMD mit so vielfältigen Talenten, so einem musikalischen Know-how, so einer beeindruckenden Menschenführung und so rhetorischer Eleganz – ein großartiger Gewinn für Bonn!

Und zum Schluss die Frage der gelungenen Reflektion. Habe ich, haben wir diese Sinfonie nach 40 Minuten Spiegelblick anders erlebt? DEFINITIV! Walzer und Czardas, Contrebande und komische Einsätze erlangten hohen Wiedererkennung. Das Affirmative der Musik reflektiert? Unbedingt! Dirk Kaftan wünscht sich, „dass Musik immer als wesentlicher Teil des Lebens wahrgenommen wird: Sie ist eine Einladung zum Mitdenken, Mitfühlen, Mittun.“

Ganz nebenbei zeugen 47 Minuten Dauer vom Temperament der Darbietung. Außer Karajan wirbelt keiner so konzentriert und temporeich diese Notenfülle auf die Bühne. Es dauert mitunter schon mal ein Stündchen, bis der Dirigent mit seinem Orchester die letzte Note setzt.

Hier lest ihr das Programm zu Freitagskonzerten und Im Spiegel. Karten für Konzerte des Beethovenorchesters bucht ihr hier.

*(Das ein bisschen anders hieß, ich aber seine Anonymität wahre.)

 

1 Kommentar

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  1. Elisabeth Kaißer

    Liebe Frau Tillmann,
    ganz ‚königlich‘ haben wir uns amüsiert über Ihre gelungenen Anmerkungen zum philosophisch-musikalischen Event – vielen Dank. Wir sind und bleiben Leser Ihres lesenswerten Blogs und freuen uns auf ein Wiedersehen!
    Herzliche Grüße
    D. und E. Kaißer

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