Das Publikum im Saal jubelt, die Akteure auf der Bühne strahlen. So geht Oper! Verwundert reiben wir uns die Augen. Liegt die Premiere nicht schon zwei Wochen zurück? Fielen die Begeisterung und die Kritik nicht eher mäßig aus? Verriss für die Inszenierung und nur höflicher Applaus für die Beteiligten?
Sie kam, sang und siegte. „Si je t’aime, prends garde à toi“. So lautet Carmens „bon conseil“ an alle Verehrer. (Oui, heute mal keine Sentenz auf Englisch, sondern ein alter Lateinerspruch von Caesar und ein wenig Französisch, natürlich dem Libretto geschuldet.)
Wenn Dshamilja Kaiser liebt, dann nehmt euch in Acht, liebe Opernfreundinnen und -freunde. Prenez garde à vous. Der erste Schritt, die erste Note, der erste Blick vermitteln unmissverständlich: La chanteuse, c’est moi. Sie glänzt mit einer Präsenz, die keinen Zweifel lässt, wer die Königin (und noch mal, weil’s so schön ist), eher die Kaiserin auf der Bühne ist. Sie liebt ihren Beruf, das Zusammenspiel, die Rollen, in die sie auch mit Kostümen, Make-up und hairstyle schlüpft. Diese Titelpartie ver“körpert“ sie brillant. Und wenn sie lacht … in allen Schattierungen von höhnisch, überlegen, amüsiert, bewundernd, schelmisch!
Was ist der Zauber, mit dem sie Glanz auf diese düstere Inszenierung sprüht? La liberté! Frau Kaiser vermittelt eine unbefangene, innere Freiheit, die eins-zu-eins dem Lebensmotto der Titelheldin entspricht. Daraus entsteht die Erotik, die vom verwuschelten Haarschopf bis zu den graziös tanzenden Händen die Luft vibrieren lässt. Oh Mann! Ja, für diese Frau lohnt es sich, alles aufzugeben. (Dass sie auch mit einer Kollegin aus der Zigarettenfabrik aufreizend schmust, beweist nur eins: ihren Sex-Appeal, dem auch die lumpige Klamotte keinen Abbruch tut.)
In der Verführungsszene mit Don José (vergesst die Herzchenballons vom Kindergeburtstag, geschenkt der Gag) gibt sie alles. Sie singt, sie tanzt, sie betört, sie lockt, sie wiegt sich und sie schmiegt sich, um dann voller Wut Orangen und Brot hinter ihm herzuwerfen und die Weinflasche mit Wucht gegen die Wand zu donnern. Carmens schillernde Gefühlswelt meisterlich dargestellt!
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Was für eine großartige dritte Aufführung von Carmen! „Das Team aus Sängern, Orchester und Chor ist gut eingespielt. Die kleinen szenischen Änderungen nach der Premiere haben der Inszenierung gutgetan, allen voran der Schlussszene, die dieses Mal keine verschämten Lacher mehr hervorrief, sondern echtes Mit-Leiden mit José und Carmen, hervorragend in der Besetzung mit George Oniani und Dshamilja Kaiser. Reichlich Szenen- und Endapplaus vom ausverkauften Haus für eine sehr gelungene Carmen-Aufführung in der Oper Bonn.“ Monika Steffens gehört zum Team der Opernführer, die im Foyer zu allen Fragen rund um die aktuelle Inszenierung bereitstehen. |
Endlich sehen (und hören!) wir auch das erotische Knistern in der Luft und zwischen Carmen und Don José. Die beiden liebkosen sich mit Blicken und Berührungen, es kommt zur Nahezu-Vereinigung auf der Bühne. Jetzt nehme ich euch ab, dass diese Frau unwiderstehlich ist. Im Zusammenspiel mit George Oniani entfaltet sich die ganze Bandbreite von erstem Verlieben, zwingendem Begehren und tödlichem Enden. Schauspielerisch ein bisschen steif, aber gesanglich Carmen ebenbürtig: ein schöner Tenor, der ohne zu pressen die starken Momente gestaltet und lyrisch-zart mit Micaela duettiert.
Die zweite Besetzung also spielt und singt und tanzt und liebt und leidet – faszinierend. Ganz ehrlich? Mein Ärger über die Kulisse, inspiriert von Goyas pinturas negras, ist verflogen. Weil die Musik lebt. Weil Carmen & Co eine sängerische Glanzleistung boten. Und … weil das Beethovenorchester einen überraschend neuen Schwung in die altbekannten Melodien brachte. Lag es daran, dass der zweite Kapellmeister des Hauses, Daniel Johannes Mayr, den baton führte? Zu spüren war eine (Spiel-) Freude im Graben, zu sehen ein offensichtlich erleichterter, fröhlicher Dirigent beim Schlussapplaus. Maestro, da capo, per favore.
Da warf diese 150 Jahre alten Repertoire-Oper also verschwenderisch ihre Magie ins Publikum, das ganz enthusiasmiert klatschte und Sänger sowie Musiker mit viel Bravi bedachte. Der einzige Wermutstropfen? Der Ritter von der traurigen Gestalt. Escamillo war wohl von einer so differenziert agierenden Carmen dermaßen geflasht, dass er nicht nur den Einsatz verpasste, sondern auch den Text und seine Choreografie vergaß. Oh je, der Arme! Auch wenn ich mich wiederhole: Aus der Rolle können der Sänger und die Inszenierung mehr machen.
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Hochzufrieden … „Eigentlich war das erst die richtige Premiere, Dshamilja Kaiser beherrschte die Bühne, musikalisch und mit ihrer Ausstrahlung. Und das sah wohl auch das Publikum so: Ganz andere Stimmung und Applaus – und (fast) keiner rannte nach dem letzten Ton sofort raus!“ Helge Hylla gehört zum Team der Opernführer, die im Foyer zu allen Fragen rund um die aktuelle Inszenierung bereitstehen. |
Vielleicht bewahrheitet sich am Ende doch, was viele Operngänger vermuten. Es hieß, der mäßige Erfolg sei nicht der Inszenierung, sondern der Einstudierung zuzuschreiben. Andersrum wird ein Schuh draus. Eine Sängerin mit Charisma, ein klarer Tenor und ein frisch aufspielendes Orchester schenkten den Gästen einen wunderschönen Opernabend. Merci beaucoup à tous!
Carmen steht noch 13 mal auf dem Programm der Oper Bonn. Nach der letzten Penthesilea verlässt Dshamilja Bonn für zweieinhalb Monate, um in Oslo ihr Publikum zu verzaubern. Im März und April sehen wir sie dann wieder auf der Bühne der Oper Bonn.
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