Sah ein Knab’ ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
…
Wer kennt es nicht, Goethes wohl bekanntestes Gedicht, vertont von Franz Schubert und als Volkslied sicher millionenfach gesungen . Und was steckt in der Anmut der so harmlos klingenden Strophen? Ein Jüngling, angestachelt vom Liebreiz der Angebeteten, nimmt sich, was er begehrt, auch gegen den Willen des Rösleins.
Was hat das nun mit der Penthesilea zu tun? Die Operngänger unter Ihnen haben es sicher bemerkt: Um der Alliteration willen habe ich meinen letzten Beitrag „Achill und die Amazone“ genannt. Tatsächlich aber heißt Kleists Trauerspiel „Penthesilea“, ebenso wie die Oper von Othmar Schoeck, die am Sonntag in der Bonner Oper Premiere feiert.
Gehen wir zunächst mal 2.500 Jahre zurück in die griechische Antike. Den alten Mythen zufolge wurde ein friedliches Frauenvolk von männlichen Eroberern unterworfen, vergewaltigt und unter der Gewalt und Macht dieser Herrscher geknechtet. Dagegen lehnten sich die Amazonen, wie sie nun heißen, erfolgreich auf. Sie vertrieben ihre Peiniger und bauten einen „autonomen“ Staat auf.
Die Frage, wie sich denn die Nachkommenschaft sicherstellen ließe, lösten sie mit einer moralischen Selbstverpflichtung. Sie durften sich nie verlieben, sondern mussten in kriegerischen Auseinandersetzungen Männer besiegen, die sie dann – am ROSENFEST – mit nach Themiscyra, ihrer Heimat nahmen.
Dort hielten sie die Männer für genau einen Monat gefangen, vereinigten sich mit ihnen. Anschließend töteten sie die unterworfenen Krieger oder – in der milderen Variante – schickten sie nach Hause. Die Familienplanung war auch nicht so zuverlässig wie heutzutage; wenn sie männliche Kinder zur Welt brachten, erfuhren diese das gleiche Schicksal wie ihre Väter. So erhielt das Volk der Amazonen seinen puren Frauenstaat, eine rein mythologische, historisch nicht belegte matriarchalische Gesellschaft. Ein Detail am Rande, das die Entschlossenheit der Amazonen beweist: Um den Bogen geschickter führen zu können, entfernten sie ihre rechte Brust. Das wiederum ist als grausames, aber konsequentes Detail aus der hellenischen Sagenwelt überliefert.
Nun treffen zwei exponierte Gestalten in der Kampfarena um Troja aufeinander. Achill, der sich als Frauenheld einen Namen gemacht hat, und Penthesilea, die sich schon aufgrund von Berichten in den strahlendsten Helden der griechischen Belagerung von Troja verliebt hatte. Schließlich hatte er Hektor, den Sohn des Priamos, den tapfersten Trojaner, aus persönlicher Rache getötet und durch den Staub geschleift. Ein unerhörtes Verhalten unter dem Ehrenkodex der Kriegsparteien und vor dem Recht der Götter.
Was passiert, wenn zwei, die sich lieben (wollen), auf einem Kriegsschauplatz aufeinandertreffen? Sie kämpfen um den Sieg! Penthesilea muss Achill besiegen, um ihn als Trophäe mit nach Hause nehmen zu dürfen. Achill aber unterwirft sie – einfach weil er männlich und stärker ist. Hier sei noch mal an das Heideröslein erinnert. Der „Knabe sprach, dann brech ich dich …“. Penthesilea verliert das Bewusstsein und Achill, der romantisch Verliebte, willigt in einen aberwitzigen Plan ein. Er solle vorgeben, dass sie ihn besiegt habe, um der Stolzen die Schmach der Niederlage zu ersparen.
Machen wir es kurz. Die Wahrheit offenbart sich an der Frage: Zu mir oder zu dir? Selbstverständlich will Achill seine Eroberung (im wahrsten Sinne des Wortes) mit nach Phtia, seiner Heimatstadt, nehmen und sie dort zu seiner Königin machen. Penthesilea allerdings muss den Amazonenregeln gehorchen … Und schon befinden sich die beiden Verliebten wieder im Kampf. Noch bevor sie einander wirklich näher gekommen sind. Rein Physisch! Metaphorisch versichern sie sich gegenseitig „Und jetzt ist uns das Süßeste erreicht.“
Die traurige Wahrheit aber ist: Schöner und besser wird es tatsächlich nicht mehr. Um ihrer Laune genüge zu tun, lässt sich Achill – unbewaffnet – auf einen zweiten Kampf ein. Die anderen Griechenkönige, allen voran der kluge und besonnene Diomedes, wollen ihn von seinem wahnsinnigen Vorhaben abhalten. Aber wir wissen es ja, wir schlichten Menschen, ganz ohne Götter in der Genealogie: Liebe macht blind und taub.
So kommt es, wie das Trauerspiel es verlangt: am Ende sind die Protagonisten tot. Penthesilea vernichtet Achill in einem wahren Blutrausch, mit ihrer Hundemeute zerfleischt sie ihn, Blut trieft ihr vom Mund. Über sich selbst verwundert, erklärt sie:
Küsse, Bisse,
das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,
kann schon das eine für das andre greifen.
Schließlich tötet sie sich selbst; die Gemeinschaft der Amazonen hat sie ausgeschlossen, niemand nennt sie mehr beim Namen, sie hat sich mit tierischer Lust am Töten den Hunden gemein gemacht.
Ist sie eine perverse Irre? Pathologisch größenwahnsinnig, gewalttätig und egoistisch? Hier lesen Sie, wie Die ZEIT eine Neuenfels-Inszenierung im Jahre 2007 rezensiert.
Peter Konwitschny hatte bereits verlauten lassen, dass die beiden nicht zueinander finden, weil die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexte es verbieten. Solche Konventionen gehören abgeschafft, weil sie die Liebe töten.
Wie das auf der Bühne aussehen wird? Ich bin schon sehr gespannt. Wie das Premierenpublikum (und ich) die sicherlich bemerkenswert unkonventionelle Inszenierung aufnehmen – dazu ganz bald mehr hier.
Morgen um 18:00 Uhr geht der Vorhang auf. Hier könnt ihr schon mal reinhören.
Wir sehen uns … live in Oper.
Hier wieder eine Empfehlung: In Bonn widmet sich der Verein „Die Opernfreunde“ allem rund um Oper, Klassik, Dirigenten, Nachwuchs, Musikgeschichte … Einfach Mitglied werden! Details finden Sie hier.
Super Beitrag!
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