Bonn blickt der ersten Premiere der Spielzeit 2017/18 gespannt entgegen: Ein Stoff der klassischen Antike steht auf Programm.
Wer erinnert sich noch an den Geschichtsunterricht der Quinta? Ja, damals zählte man die Gymnasialjahre noch von 6 runter auf 1. Mit der hohen Zahl ging’s los und bis zur 1 war es für viele ein harter, langer Weg. Und dazu brauchte man nicht nur mehr als die fünf Finger an einer Hand, sondern vor allem tragfähige Lateinkenntnisse. Sextaner waren die I-Dötzchen der höheren Bildung und die Primaner die hoffnungsvollen Talente auf der Zielgeraden.
Und vielleicht ging es vielen so wie mir. Ein erzählerisch hochtalentierter Geschichtslehrer zog uns als Zwölfjährige alle in seinen Bann mit den Ereignissen rund um den Raub der Helena, den Trojanischen Krieg und die Odyssee. Zu Hause die Sagen des klassischen Altertums von Gustav Schwab aufgespürt und schon begab ich mich auf die Reise zu den strahlenden Helden, den schönsten Frauen, den grausigsten Schlachten, den hasserfüllten Rachefeldzügen und dem untadeligen Volk der Amazonen.
Letztere begegnen uns jetzt auf der Opernbühne wieder. Allen voran ihre stolze Königin Penthesilea, der ein exzellenter Ruf als tapfere Kämpferin vorauseilte. Mit mutigen Männern nahm sie es leicht auf. Schließlich hatten sich die Amazonen ihre Freiheit dadurch errungen, dass sie sich gegen männliche und ungerechte Unterdrückung erfolgreich zur Wehr setzten. Sie wollten über sich selbst bestimmen, ihre hart erkämpfte Freiheit notfalls mit Waffengewalt verteidigen. Deshalb entfernten die Kämpferinnen alle ihre rechte Brust, um den Bogen souverän zu führen.
Diese Erinnerungsstücke aus meiner Schulzeit versetzen mich jedoch noch nicht in die Lage, meine Einsätze als Opernführerin kenntnisreich zu gestalten. Einsatz? Opernführerin? Ja, die Oper Bonn praktiziert seit ein paar Jahren eine besonders erfolgreiche Variante der Einführung in die jeweils neuen Werke. Im Foyer stehen sechs bis acht Personen eine Stunde vor Beginn für alle Fragen des Publikums bereit. Man erkennt sie an dem purpurroten Schal und dem dicken Button.
Wie erwerben wir denn unsere Kenntnisse? Wir sind alle begeisterte Opernfans und widmen uns vor jeder Premiere einem Spezialthema. Dazu bereiten wir Referate vor vor. Ja, nun sind wir bildungsbiografisch bereits im Studium angekommen. Quellen analysieren, für die Gruppe aufbereiten und in die Gesamtinterpretation des Zusammenspiels von Regie und Musik einbetten. Spannend und sehr lehrreich! Ein herrliches Wir-Gefühl, wenn alle gemeinsam dem tieferen Sinn auf die Spur kommen. Ergänzend genießen wir das Privileg, in Werkstattgesprächen und bei Proben Einblick ins Entstehen zu gewinnen.
Zurück zu den Amazonen. Und zu meinem Referat. Ich widme mich seit einigen Wochen der literarischen Vorlage und deren Einflüsse auf das Libretto. Viele Stoffe der klassischen Antike fanden während Aufklärung und Klassik Eingang in die Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Form und Inhalte, Charaktere und Handlung wurden als vorbildlich empfunden. Die fünf Akte des Dramas als maßgeblicher Standard waren ebenso en vogue wie die Absicht, das Publikum durch „Furcht und Mitleid“ emotional ins Geschehen einzubinden. Geläutert und als bessere Menschen sollten sie das Theater verlassen, die Katharsis (=Reinigung) am eigenen Körper und Geist spüren.
So widmete sich Heinrich von Kleist (ja, genau, der mit dem Lustspiel „Der zerbrochene Krug“) ganz in der Tradition von Goethe & Co einem „sagenhaften“ Stoff. Nur: dabei sprengte er alles bisher Dagewesene in Form und Inhalt. Die fünfaktige Dramenstruktur warf er über Bord, die bürgerliche Vorstellung vom Verhältnis von Mann und Frau gleich dazu. Seine „Penthesilea“ macht er im Kampf um Liebe, Macht, Herrschaft, Götterrecht und Menschenfrevel zu einem Stück, das erst 70 Jahre nach seiner Entstehung (1807) zur Uraufführung gelangte.
Die grausame Geschichte und das tragische Ende mit dem Tod der Liebenden Achill und Penthesilea lest ihr in den nächsten Tagen hier. Gleichzeitig die Antwort auf die Frage: Warum komponiert Othmar Schoeck 1927 zu diesem Drama eine Oper?
Kleiner Tipp: Hier gibt es Karten für die selten aufgeführte Oper, auch noch für die Premiere am 15. Oktober 2017 um 18:00 Uhr Penthesilea Premierentickets
Wir sehen uns – hier und dort. Live in der Oper.
Heute, am 9. Oktober, gab es bei den Opernfreunden Bonn einen außergewöhnlich guten und interessanten Vortrag von dem Musikwissenschaftler Dr. Ulrich Wilker zu Othmar Schoeck und seiner Oper Penthesilea. Es lohnt sich, bei den Opernfreunden Mitglied zu sein: http://www.opernfreunde-bonn.de
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