Amor tritt persönlich auf, zupft einen Federkiel aus seinen weißen Flügeln und kündigt eine große Liebesgeschichte an. Was es dazu braucht? Poesie, Hoffnung und Naivität und ab und zu, im richtigen Moment, einen gut platzierten Schuss mit einem seiner spitzen Pfeile. Die Liebe zu Zeiten der Tinder Profile präsentiert die Oper Bonn nun in einer hinreißenden Cartoon Oper mit L’elisir d’amore, dem Liebestrank, von Gaetano Donizetti.
Vor knapp 200 Jahren, zu Hochzeiten des italienischen Belcanto, schrieb Donizetti im atemberaubenden Tempo von zwei Wochen diese „Volksoper“, eine Dreiecksgeschichte mit Liebeswirren für die nicht-adlige Gesellschaft in Venedig, angesiedelt in einem italienischen Dörfchen. Mit einem wahren Coup haucht die Regisseurin Maren Schäfer dieser etwas verstaubten Geschichte neues Leben ein, macht sie frisch und fidel. Ein Fest für die Augen mit einer intelligenten visuellen Gestaltung der Bühne, kreativen Kostümen und künstlerisch überschäumenden Einfällen. Ihr partner in crime ist der italienische Cartoonist, Trickfilmzeichner und Animationsfilmer Joshua Held. Er visualisiert das turbulente Innenleben der Protagonisten, indem er Gefühlen wie Verzweiflung, Enttäuschung, Hoffnung, Wut, Feindseligkeit, Herzflimmern in immer neuen Sprechblasen, Videos und Quickzeichnungen illustriert. Das Ganze in perfekter Übereinstimmung mit der Musik, in der Donizetti die Gefühlslage der Dramatis personae tiefeninterpretiert.
Die Zutaten zu diesem sensationell rasanten Opernabend bilden also die innovative Regie, das Kunsthandwerk des Illustrators – und die Präzision der Verantwortlichen für die sekundengenauen Einsätze der digitalen Sequenzen, von denen es hier rund 500 gibt. Als cue master sitzt dafür Maren Lina Wockenfuß mit dem Klavierauszug im Parkett und spielt die Clips synchron zum Bühnengeschehen händisch ein. Das toppt noch die feinfühlige Arbeit der Übertitler, hier ist der prompte Einsatz alles, timing is key!

Nahezu märchenhaft erzählt Maren Schäfers Liebestrank die alte Geschichte vom hoffnungslos Verliebtsein neu. Die Regisseurin löst sie aus jedwedem historischen Kontext und fokussiert sich auf ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit – zumindest wie die römische Mythologie mit Amor oder ein mittelalterliches Epos wie Tristan und Isolde, Elementen, die beide eine Rolle spielen. Ein im besten Sinne naiver junger Mann verliebt sich echt und wahrhaftig in eine für ihn schier unerreichbare Frau: sie eine Intellektuelle, er nur ein „ignoranter Idiot“. Schwupps kommt mit ein bisschen Tschingderassabum ein fescher Sergeant daher, sieht die Dorfschöne und will sie heiraten. Subito!
Melodramma giocoso lautet der kategorisierende Untertitel des Liebestrank und deswegen tauchen immer wieder Hindernisse auf dem Weg ins Liebesglück auf. Diese räumt der schlitzohrige Quacksalber Dulcamara aus dem Weg. Schäfer nimmt ihm die geldgierige, betrügerische Qualität und macht ihn stattdessen zu einem Halbgott mit Flügeln an den Schultern, der als Zeremonienmeister die Fäden in der Hand hält und im richtigen Moment wie ein Deus ex Machina für Impulse im heiteren Verlauf sorgt. Am Ende ein „Happy Beginning“ – das füreinander bestimmte Paar feiert den glücklichen Ausgang und der verschmähte Sergeant orientiert sich gleich neu – nach rechts wischen und die Nächste, bitte!
Minutenlang feiert das Premierenpublikum diesen Liebestrank mit begeistertem Applaus. Der gilt mit wachsendem Aufbranden den Sängerinnen und Sängern. Ein wundervoller Cast beweist, dass der Schöngesang so frisch und berührend eine ganz aktuelle Note innehat. Als Gianetta gefällt Carolyn Holt mit ihrem verführerischen Mezzosopran – zunächst als Adinas Gegenpart, dann als ihre „Einwechselspielerin“ und kokette Neue für Belcore, den Sergeanten. Als dieser sticht der Bonner Bariton der Herzen, Giorgos Kanaris, hervor. Er zeichnet die langen Bögen der eitlen Belcore-Koloraturen mit reifer, schöner Stimme und paart sie hier mit seinem heiteren komödiantischen Talent. Nomen est omen? Kanaris feiert mit seiner Präsentation die Ironie im Namen des „schönen Herzens“. Liebe ist sein Ding nicht, eher schnell bei einer Hübschen landen und zum Vollzug schreiten.

Die Figur des Dulcamara präsentiert absolut hinreißend Enrico Marabelli. „Süß und bitter“ ist dieser Charakter angelegt: genau das lässt die Regie ihn ausleben. Seinen großer Auftritt, in dem er die Wohltaten seiner Medizin anpreist, die gegen allerlei Unbilden des Lebens wie Läuse an den Rosen, nachlassende Manneskraft oder Falten im Gesicht helfen soll, gestaltet der Bariton mit halsbrecherischer Gesangs- und Parlando-Akrobatik. Nicht nur die Maske, sondern auch seine drahtige Physis verleihen ihm etwas Mephistophelisches für die Rolle des Dulcamara; sie ist ihm tatsächlich auf den Leib geschrieben.
Und das Liebespaar selbst? Überzeugt auf der ganzen Linie! Katerina von Bennigsen und Santiago Sanchez harmonieren ausgezeichnet. Beide verkörpern ein modernes Ideal von Sängerdarsteller, beide führen ihre wirklich sehr schöne Sopran- und Tenorstimme so gekonnt und dennoch leichtfüßig, dass es eine Freude ist. Ihr physical acting belebt ja nicht nur die Interaktion mit den anderen Protagonisten; darüber hinaus „spielen“ sie ja auch mit den Impulsen der Cartoons, beide perfekt in der Vielseitigkeit von Gesang und Spiel dieses heiteren Melodrams. Katerina von Bennigsen vollzieht gesanglich eine große Wende vom Koloraturen-Society Girl hin zu einer Liebenden, die sich auf Nemorinos einfachere Melodien einlässt und mit ihm übereinstimmt.

Eine Glanzleistung seiner bisherigen Karriere am Theater Bonn legt Santiago Sanchez hin. Er weiß es und reißt beim Applaus wie ein Champion die Arme hoch. Ohne jegliches Selbstwertgefühl schmachtet er als Nemorino zu Beginn die schöne Adina an: „Quanto è bella, quanto è cara …“ (Wie schön und liebreizend sie ist …). Mit entwaffnender Ehrlichkeit lässt er das Publikum an seinem Innenleben teilhaben, dem er mit präzisem, warmem Gesang in der schlichten Cavatine Ausdruck verleiht. Kein Wunder, dass das Publikum bei der Wunschkonzert-Arie „Una furtiva lagrima“ kollektiv den Atem anhält, um dann in faszinierten Szenenapplaus auszubrechen. Santiago Sanchez‘ jungenhafter Nemorino rührt und begeistert gleichermaßen, er ist der Star des Abends.
Auf zwei Größen an der Oper Bonn ist Verlass – der Chor und das Beethoven Orchester. André Kellinghaus hat den Chor, der über weite Strecken präsent ist, gut vorbereitet. Auch diese Damen und Herren fördern eine frische Dynamik zu Tage, die der modernen Inszenierung, diesem Cross-over aus tradierter Kunst und Technologie, einen spritzigen, aktuellen Anstrich verleiht. Hermes Helfricht sorgt im Graben für viel Energie bei dem unablässigen Wechsel zwischen Crescendi im Tutti, den signifikanten Wechseln von 3/4 Takt für die Liebesgeschichte und den 4/4 Takt für das Militar und das Dorfgeschehen sowie den charakteristischen Solostimmen von Fagott, Klarinette und Piccoloflöte.
Der Liebestrank am Theater Bonn wartet mit einem stimmigen Konzept aus allen Komponenten auf: Bühne, Licht, Kostüme, Maske, Videos und Cartoons, Gesang und Musik fügen sich zu einer unterhaltsamen Show, als Einstieg für Noch-Nicht-Opernfans wie geschaffen.
Fazit: Ein Fest, ein Opernfest! Das Beste, was die Oper Bonn in den letzten Jahre gezeigt hat. Nix wie hin!
Das Theater Bonn spielt L’elisir d’amore noch 8 Mal bis zum 22. Juni 2025. Infos und Tickets hier.