Es ist was faul im Staate … Pontevedro. Die Finanzen sind erschöpft, es droht der Staatsbankrott. Ausgerechnet in Paris soll der pekuniäre Rettungsschirm aufgespannt werden. Hier, wo das Fin de Siècle alle Lustbarkeiten bereithält, wo Amüsement als Lebenselixier und Lebensmotto gilt. Die spannungsreichen Kontraste zwischen dem nur lasch als Pontevedro kaschierten, ländlich-folkloristischen Montenegro und der mondänen französischen Metropole als the place to be packen Franz Lehár und seine beiden Librettisten Victor Léon und Leo Stein dramatisch und musikalisch in ihre Operette Die lustige Witwe. 1905 dirigierte der Komponist selbst die Uraufführung dieser Tanz- und Nummernrevue im Theater an der Wien und begründete damit eine Erfolgsstory, die ihresgleichen sucht. In Köln kam nun dieses Stück der leichten Muse mit Tiefgang auf die Bühne im Staatenhaus.
Ein heiratsunwilliger Graf, ein eifersüchtiger Ehemann, eine kokette Gattin, ein verführerischer Liebhaber, eine reiche Witwe, ein subalternes Schlitzohr und ein Fächer – ein toller Mix aus Protagonisten für eine Boulevard-Komödie. In aller Kürze also, was passiert? Zunächst ein Blick zurück. Einst war dem Grafen Danilo untersagt worden, das arme Bauernmädchen Hanna zu heiraten. Standesunterschiede! Nun amüsiert sich dieser Graf pausen- und schlaflos im Pariser Szenelokal Chez Maxim, wo es ihm die sexy Grisetten besonders angetan haben.
In Paris führt der etwas unterbelichtete Baron Zeta die pontevedrinische Gesandtschaft, wo die Decke mit Stützpfeilern gesichert ist und und der Boden Stolperfallen bereithält. Völlig runtergerockt, die biedere Bude! Da sind die 20 Milliarden der Hanna Glawari zur Sanierung der Botschaft und des Staatshaushalts mehr als willkommen – die drei Nullen zusätzlich zu den ursprünglichen Millionen sind den 120 Jahren Zeitsprung geschuldet. Also setzen die pontevedrinischen Herren im Exil alles daran, die schöne Witwe für sich zu gewinnen, damit die exorbitante Summe dem Land erhalten bleibt. Nur Danilo zeigt ihr die kalte Schulter gemäß seinem Motto „Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie!“ Selbstverständlich kriegen sich sich. Alte Liebe rostet nicht!

Parallel dazu führt die junge, kecke Gattin des Attachés, Valencienne, ein fröhliches Liebesleben mit dem Franzosen (!) Camille de Rosillon. Der Fächer mit dem Liebesschwur des attraktiven jungen Mannes und ihrer stets vehement vorgetragenen Losung „Ich bin eine anständige Frau“ wird zum Corpus Delicti; er fungiert mit Verlust, Suche, Verstecken, Entdecken als Plot-Motor. So manche „heiße“ Situation löst der Kanzleischreiber Njegus, der ganz im Sinne des 3. Akt-Komikers der Wiener Operette schlagfertig und schlau das Geschehen vorantreibt und die Intrigen entschärft.
Hier also das angesagte Paris, die Hauptstadt eines mächtigen Nationalstaats, und dort das gebeutelte Montenegro, Spielball der Großmächte Russland, Türkei und Habsburger Reich ringsherum. Nahezu alle Namen sind authentisch aus dem politischen Montenegro übernommen – und die Wiener genossen die Zurschaustellung dieses kleinen Landes. Musikalisch zündet Lehár ein mitreißendes Feuerwerk aus Wiener Walzer und Militärmarsch, Cancan und langsamem Walzer sowie Mazurka und Polonäse. Einen ganzen Akt widmet er der Couleur locale des osteuropäischen Landes. Das Vilja-Lied, eingebettet in eine tolle Tanznummer, zeugt samt Kostümen und Arrangements davon.
Es reihen sich Welthits und Evergreens aneinander, die in dem unsterblichen Liebeswalzer „Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen“ ihren Höhepunkt finden. Dreimal erklingt die Melodie: kurz angespielt in der Ouvertüre, bevor das schrille Treiben beginnt, wortlos zu Hannas und Danilos erstem, ungelenken Tanz und schließlich im Duett des Liebesglücks. Der Dirigent Andrea Sangueneti zollte für die musikalische Präsentation der ersten Geige und dem Cello beim Schlussapplaus besonderen Respekt.
Adrian Eröd als Graf Danilo Danilowitsch punktet wie erwartet mit seiner Auftrittsarie „Heut‘ geh ich zu/ins Maxim“. Kein Chapeau claque, kein weißer Schal wie bei der Ikone dieser Rolle, sondern als etwas derangierter Lebemann führt er seinen Bariton volltönend durch alle musikalischen Gefühlslagen. Ein kleiner Wiener sprachlicher Einschlag und ein gutes Timing für sein physical acting machten ihn zu einem sympathischen Schlitzohr, das schließlich alle Vorsätze über Bord wirft und ein reicher Mann von Gnaden seiner Frau wird. Machismo adé!
Hanna Glawari singt, spielt und tanzt (!) mit dunkel timbriertem Sopran die Schweizerin Elissa Huber. Man merkt ihrer Bühnenpräsenz an, dass sie sich bereits einen Namen als Musical-Darstellerin gemacht hatte, bevor sie zusätzlich klassischen Operngesang studierte. Bei allen Nachstellungen der Männerwelt bewahrt sie einen kühlen Kopf und behält ihr Ziel im Auge. Die Amerikanerin Rebecca Nelsen gibt eine temperamentvolle Valencienne. Auch sie beherrscht die gesellschaftlichen Regeln nur zu gut: Sie heiratet mit dem beträchtlich älteren Baron Zeta den Titel und die Stellung, um sich dann mit dem feschen Camille de Rosillon zu vergnügen. Den wiederum singt, dänzt (!) und spielt Maximilian Mayer, der im pink & purple Outfit und mit den Koloraturen der „Rosenknospe“ hoch punktet. Rebecca Nelsen wiederum präsentiert großes Kino als SM-Domina. Da lauern Abgründe im Vergnügungssumpf von Paris!

Mit Ralf Lukas als Baron Mirko Zeta hat die Oper Köln einen feinen Bass-Bariton besetzt, der sängerisch, schauspielerisch und vor allem als Sprecher überzeugte. Für ihn besonders, aber für alle Solisten bedeuteten die kombinierten Sprech- und Gesangsrollen eine echte Herausforderung, die sie allesamt gut meistern. Als reine Sprechrolle ist ursprünglich der Njegus angelegt, in Köln allerdings hat man Ralph Morgenstern auch ein Lied in den Text geschrieben. Als Schauspieler – fast ein wenig näselnd wie weiland Theo Lingen – sehr überzeugend und seine Gesangsnummer: Chapeau!
Immer toll der Chor unter der Leitung von Rustam Samedov, der den großen Szenen mit den Polonäsen und Märschen wie „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“ ihre schmissige Note verleihen. Hinreißend die – auch singenden – Tänzerinnen und Tänzer in den unterschiedlichsten, aber meist sehr freizügigen Kostümen. Schöne, bühnenfüllende Vaudeville-Szenen von Solisten, Chor, Tanzcompagnie und Statisterie!
Was fehlte in der unterhaltsamen Inszenierung von Bernd Mottl? Ein Schuss schwüler Salonatmosphäre, eine Prise frecher Frivolität mit einem Funken Erotik im Miteinander der Solisten. Die Weite der Bühne im Saal 1 des Staatenhauses schafft große Abstände, die den schnellen, direkten Schlagabtausch verhinderten. Die eher spärlichen Gags zündeten nur verhalten und Bilder, die klirrend aus Rahmen fallen, sind einfach nicht komisch. Allerdings kamen die zahlreichen Anspielungen auf die marode Bausubstanz von Kölner Gebäuden und die langsamen Mühlen der Verwaltung sehr gut an. Am besten der Appell an die superreiche Titelheldin, doch bitte eine klitzekleine Milliarde für den klammen Haushalt der Stadt Köln abzuzweigen. Schön wär’s!
Die Oper Köln spielt Die lustige Witwe noch zehn Mal bis einschließlich Silvester. Infos und Karten hier.