Die Herrin der Meere, bei Tag und Nacht vom Löwen bewacht, durch Kraft und Mut aufgestiegen zu großem Ruhm und Ansehen, regiert von einem weisen Rat, zwingt Venedig sein Volk und die ganze Welt, es zu fürchten und zu lieben. Mit dieser Hymne an die Serenissima beginnt Verdis frühe Oper I due Foscari, uraufgeführt in Rom 1844.
Warum nicht in La Fenice, dem Phoenix, der immer wieder aus der Asche aufsteigt? Allora, schon sind wir mittendrin im Zwiespalt zwischen der für die Reputation blank polierten Palazzi-Fassaden der Lagunenstadt und den politischen Ränken und Intrigen, die unter der Oberfläche brodeln. Silenzio … misterio … Schweigen soll die Stadt über die Skandale, aber Giuseppe Verdi und sein Librettist Francesco Maria Piave decken sie auf. Die historischen Fakten vom Aufstieg und Fall der Dogendynastie Foscari im Venedig der Mitte des 15. Jahrhunderts stimmen weitgehend. Allerdings bedienten sich die beiden Italiener eines romantisierten kleinen Dramas aus der Feder von Lord Byron, dem früh verstorbenen Engländer.
So war Verdi also gut beraten, das Werk nicht am historischen Ort aufzuführen. Nachfahren der Familie lebten noch, uralte Legenden rankten sich auch nach 400 Jahren noch um diese Demontage einer Politikerfamilie. Schicksalhaft ähnlich wie der Einfluss der Kennedys im 20. Jahrhundert. Acht Kinder hat der alte Foscari, von den vier Söhnen bereits drei verstorben. Alle Hoffnung auf eine Erbfolge des Dogentitels ruhen auf Jacopo Foscari. Der allerdings wird des Verrats, der Kollaboration mit dem verfeindeten Mailand und eines Mordes beschuldigt. Alles nur inszeniert von Loredano, dem üblen Widersacher (der Bass!), dessen Ansinnen nicht die Übernahme der Macht (dafür hat er seine Marionette Malipiero), sondern der blanke Hass und die Rache bilden. „Bezahlen soll er mit seinem Blut,“ endlich sei der Tag der Rache gekommen. Wofür? Alte Familienfehde?
La vendetta! Der Schlachtruf der Camorra in Sizilien. Reihen wir die Vokabel ein in vittima, clemenza, pieta, innocenza, audacia, respetta, giustizia, infamia und fügen timor, cor, amor, genitor, dolor hinzu, erschöpft sich das Register des Librettos recht bald. Jacopo geriert sich als Opfer, das in Selbstmitleid ständig um Gnade, Mitleid und eine letzte, aber wirklich auch allerletzte Umarmung fleht. Francesco trägt den inneren Konflikt zwischen Herz und Pflicht, Gesetz und dem Leid des alten Herzens und Herrschers aus. Lucrezia appelliert an die Gerechtigkeit, an die Gnade, ein Aufheben des Urteilsspruchs (Tod oder Verbannung) – schließlich steht das in der Macht des Dogen, ihres Schwiegervaters.
Wo das Libretto eher plakativ daherkommt, spiegelt die Musik in der Figurenzeichnung konstante Charaktere. Alle Positionen bleiben bis zum bitteren Ende dieselben. Verdi definiert darüber hinaus ihre Auftritte mit einer Erkennungsmelodie, einer „Maske“, oder in der Werbesprache unserer Zeit, einem Jingle. Vier- bis fünfmal pro Hauptfigur (und dem Rat der Zehn) kommt dieser Jingle zu Gehör. Obacht! Will Humburg legt einen Gutteil seiner Interpretation des Stücks in die Gestaltung dieser „Masken“. Wenn die Klarinette, der menschlichen Stimme so ähnlich, zum weinerlichen Intro ansetzt, besteht kein Zweifel: Jacopo betritt die Bühne. Für ihn kommt Pech zum Unglück hinzu, das sich zu seinem passiven Charakter gesellt. Der kämpft nicht, sondern teilt sein Schicksal mit anderen Verdi-Tenören – schwach, leidend, flehend. „Alles Jammerlappen und Weicheier“ ließ Humburg sich vernehmen.
Das schreit ja förmlich nach einem starken Gegenpart. Hohe Streicher, spitz, entschlossen, dynamisch und dabei leichtfüßig. Die „illustra dama Foscari“ betritt die Szene. Herkunft erstklasssiger venezianischer Adel, Schwiegertochter des Dogen – da gehören ein erhobenes Haupt, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und deutliche Appelle dazu. Sie wagt es, sogar dem Dogen, wenn nicht auf’s Haupt, so doch auf den Kabinettstisch zu steigen. Chapeau!
Den bedächtigen, weisen, aber dennoch in tiefem Herzen gequälten Francesco Foscari begleiten die tiefen Streicher und gezupfte Kontrabässe bei seinen Szenen, später auch die Harfe. Sein Lebenswerk droht zu zerbersten, sein letzter verbliebener Sohn wird nie Doge werden, seine Lebensleistung in den Schmutz getreten, der Himmel hat keine Tränen mehr für sein Leid.

Jetzt wäre Will Humburg nicht ein ungemein musikalischer und gleichzeitig ehrgeiziger Verdi-Experte, wenn er nicht das präzis intonierende Beethoven Orchester zum Facettenschliff dieses Rohdiamanten I due Foscari führte. Er differenziert diese Jingles so meisterlich aus („Wir spielen die immer anders“), dass sie zu Co-Akteuren werden. Hier wird die Metasprache der Musik eins mit den Personen und der Handlung. Ein Beispiel? Im zweiten Akt besucht Lucrezia ihren Mann in der Zelle – ihr Jingle hakt, wird schrill und zögerlich. Wer hier hinhört, den nimmt die Musik an die Hand. Sehr, sehr prägnant und sehr, sehr schön.
Ein Kleinod ebenfalls das lyrische Vorspiel vor dem zweiten Akt. Bratschen, Celli und Kontrabässe legen tief an, was das Gefängnis an Dunkelheit und Bedrohung bereithält. Da kommen die tiefen Streicher samt Pizzicato einmal wundervoll zur Geltung.
Wieso erfährt diese frühe Verdi-Oper so eine Renaissance? Seit 2017 tourt Placido Domingo (ex-Tenor, nun-Bariton?!?) als Francesco Foscari von Los Angeles über Valencia, Wien, Salzburg bis London. Weil seine Stimme nun, mit Ende 70, reif sei für diese Partie? Hmmm … Oder weil die Protagonisten und die Handlung als Metapher gelten für brüchige Staatswesen, korrupte Eliten, für den Abgesang auf ethische Führung, für einen Staat, der „Das Leben der Anderen“ systematisch bespitzelt?
Was macht Philipp Kochheim aus der Vorlage? Brioni und Chanel, alle Schattierungen von Blau, lange Mäntel für die Oligarchen, den Rat der Zehn, die herrschenden Patrizier. Kein Venedig, nirgends. Bis auf die Trikolore mit dem venezianischen Löwen, aber da hat die Geschichte bereits ihren Lauf genommen. Wir befinden uns in einer sozialwissenschaftlichen Versuchsanordnung. Die gesamte Handlung wird entweder von Agenten an verschiedenen Monitoren überwacht oder wie im Tatort-Verhör hinter einem verspiegelten Fenster mitgehört. Von wegen „endlich allein“, wie der Doge in seiner ersten Szene besingt. CCTV everywhere, die Kameras leuchten rot. Aufnahme! Da hilft kein gezielter Wurf mit der Wasserflasche, auch nicht Lucrezias Wut und ihr Fäusteschütteln Richtung Widersacher.

Oberhalb der Versuchsanordnung ein rotleuchtendes Tunnel- und Kabelsystem. Was soll das bedeuten? Glühen hier die Drähte? Am Ende bricht das „Labor“ zusammen. Kahles Gerippe, Streben, die das Szenario mühsam zusammenhalten. Jacopo hat dem Exil auf Kreta den Freitod in seiner geliebten Heimat vorgezogen. Francesco Foscari ist im Begriff, selbst seinem Leben ein Ende zu setzen. Vorher allerdings muss er die ultimative Demütigung hinnehmen. Er hat mehrfach angeboten, sein Amt niederzulegen. Jetzt aber verkünden die Glocken von San Marco bereits zu seinen Lebzeiten, dass sein Nachfolger gewählt sei. Welche Schmach! Den Siegelring wirft er der Meute zu Füßen: Man hat ihn gezwungen, seinen Eid zu brechen und seinen Sohn zu opfern. Nun treten sie sein Lebenswerk in den Schmutz. Er hat alles der Pflicht und dem Gesetz untergeordnet, Lucrezias dringende Appelle an sein liebendes Vaterherz haben versagt. Vor der emotio immer die ratio.
Wir sehen Pressekonferenzen, Interviews, Sektempfänge, konspirative Treffen und eine Wahlparty wie der GOP in den USA. Nur hier mit Verdi-Chor und Trikolore. Und mit den unvermeidlichen roten Luftballons. Also bitte: Wenn schon Ballons, dann zu Hunderten oder Tausenden von der Decke, aber doch nicht am Schnürchen wie auf dem Kindergeburtstag! Ein Gospelchor, eine Pistole, ein Selbstmord vor den Augen der Frau und viel Theaterblut als Anklage gegen ein kaltes Herz. Ja, und die Riesenfahne? In die hüllt Lucrezia sich zum Schluss. Ihr gebühren die Tugenden, die der Chor eingangs so eindrücklich heraufbeschworen hat: Mut, Kraft, Wachsamkeit, Ehrfurcht, Liebe und Leidenschaft.
I due Foscari zählt zu den Nummernopern, hier 15 an der Zahl. Die bieten reichlich Anlass für Szenenapplaus, den das Premierenpublikum begeistert beisteuerte. Eine Klasse für sich Anna Princeva. Was für eine Partie! Was für herrliche Koloraturen, wie sicher in der Stimmführung in den Höhen. Wichtig zu wissen: Zu Verdis Zeiten waren die Instrumente mindestens eine halbe Note tiefer gestimmt, also doppelt anspruchsvoll mit dem heutigen Orchester. Ihre Cabalette voller Kraft, im Duett mit dem Dogen setzt sie die Akzente. Schauspielerisch facettenreich: Wenn ihr zart besaiteter Ehemann von Gespenstern im finsteren Grab fantasiert, verdreht sie nur die Augen. Madonna mia, was hab ich da für eine Mimose geheiratet. Ein andermal fällt sie ihm ins Wort, als er wieder zu klagen beginnt. Tace! Halt doch endlich mal die Klappe!
Undankbar die Rolle des Tenors. Hochgradig repetitiver Text, immer nah dran am ultimo addio und am Tränenfluss. Und am Ende liegt er gute fünf Minuten tot in der Gegend rum. Dieser Tenor darf nicht strahlen, und deswegen großer Respekt für die Leistung von Felipe Rojas Velozo. Den Bariton hat Verdi für diese Opern erfunden. Kein Wunder also, dass die Partie berührende Momente beschert. Lucio Gallo bringt dafür alles mit: eine schöne tiefe, reife Stimme, ein pointiertes Schauspiel (da sitzt jede kleine Neigung des Kopfes) und das „Italienische“. Wie er geht, wie er steht, wie er sich dreht, wie er im Inneren kämpft, seine Noblesse – bellissimo! Den Intriganten Loredano gibt Leonard Bernard so slick, so abgefeimt, so berechnend, im Quartett am Bühnenrand im zweiten Akt (Gefängniszelle) sehr stark. Alle Achtung!
Was wäre eine Verdi-Oper ohne Chor? Was wäre die Oper Bonn ohne Marco Medved und seine Sängerinnen und Sänger? Wer verführte uns so vielstimmig in die Gefühlswelt des Geschehens, wenn nicht il coro. Ganz und gar großartig, auf der Bühne und aus dem Off. Wie die Herren bei der Pressekonferenz das Piano durch die Zähne pressen … wie die Damen Lucrezia Schutz in ihrem Kreis gewähren … wie die Barcarole und das Fest den heiteren, volkstümlichen Verdi aufleuchten lassen … Ein Genuss!
Renaissance-Puppenstube also Fehlanzeige. Brokat und Dogenhut ebenso. Die Oper ist handlungsarm und textschwach – daraus machte Philipp Kochheim eine stringente Inszenierung, die dem Bonner Publikum offensichtlich gut gefiel. Kalt, aber deshalb umso eindringlicher. Wem gebührt dann das edelste Prädikat? Wer brachte „Leben in die Bude“? Am Szenen- und Schlussapplaus gemessen zweifellos Anna Princeva als Lucrezia, der Star des Abends. Keine Titelheldin, aber unangefochten die Heroine des Stücks.
Zum Schluss werfe ich heute mal mein Herz in der Orchestergraben. Die Solo-Klarinette – herrlich melodiös und facettenreich. Die Solo-Flöte – so fein, so klar! Die Harfe – traumhaft intoniert sie die Gedanken- und Gefühlswelt. Und der Percussionist, dem Will Humburg mit Gesten noch mehr Dampf macht, trommelt wie um sein Leben. Das Ganze unter einem Dirigat der Spitzenklasse! Plätze im Hochparkett und in den Rängen erlauben, Humburgs Arbeit fasziniert zu beobachten. Der Mann lebt Musik. Bereits nach dem ersten Akt ging der Daumen hoch an alle. Er war sehr zufrieden und so steigerte sich das Beethoven Orchester im zweiten Akt und dann im Finale noch einmal. Grandios!

Die nächste Vorstellung findet bereits am 11. Mai 2018 statt. Karten für diese (und die weiteren 10 Termine) gibt es hier.
Wie immer ein toller Bericht – hervorragend beobachtet, begeisternd und treffend beschrieben!
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