Stephan Zilias – der junge Dirigent und der vorchristliche Pharao

 

1. Kapellmeister an der Oper klingt ein wenig nach Frackschößen, Wiener Schmäh und Küss-die-Hand, nach silberhaarig und ehrerbietig. „Herr Kapellmeister, lass er die Geigen anspielen …“ Absolut anders die Wirklichkeit. Ganz jung, ganz Jeans & Pulli, sehr Bonn-affin und offen sitzt er mir gegenüber: Stephan Zilias, der in dieser Funktion seit August 2015 an der Oper Bonn die musikalische Gestaltung wunderbarer Aufführungen übernimmt.

 

Zunächst einmal die Frage nach dem du oder Sie. Spontan kommt ihm Oslo in den Sinn. Dort geht alles per du und unter Kunstschaffenden sowieso, in der norwegischen Hauptstadt sind alle so unkompliziert im Umgang und überraschend frei mit ihren persönlichen Daten – bis hin zur Steuererklärung. Unvorstellbar in unserem Land.

Dort hat er noch lange Klavier-Trios gespielt, also Kammermusik mit „seinen Jungs“. Und für eine Weile hätte es auch die Pianisten-Karriere werden können, aber es war nicht wirklich seine Leidenschaft. Seine (haupt-) berufliche Laufbahn war da schon auf’s Dirigieren ausgerichtet und Oslo stand eher auf dem Besuchsprogramm. Auch seiner großen Liebe wegen, mit der er mittlerweile hier in Bonn eine Familie gegründet hat.

Auch Musikerin? Ja, sicher, weil der eine die andere einfach besser versteht. Und umgekehrt. Die langen Abende, das Reisen, die Gastspiele … Und da stehen zu Hause ein oder zwei Flügel? Er lacht laut auf. „Ach was. Ein hübsches Klavier teilen wir uns. Eher ein Möbelstück und auch ein bisschen verstimmt. Aber da klimpern wir schon mal drauf rum und unser Sohn stimmt mit der Blockflöte hin und wieder mit ein.“  Aha, in welchem Alter beginnen denn Musikerkinder mit der Ausbildung der pränatalen Prägung? Wieder lacht er sein typisches Lachen. „Mit seinen 14 Monaten bläst er mal in die Flöte und hämmert ein bisschen auf seinen Trommeln mit. Da kann noch ‚was draus werden.“

Er selbst kommt aus einem musikalischen Elternhaus. Daraus ergab sich konsequent: Musik wurde klar die Hauptsache in seinem Leben. Dennoch war er beim Fußballspielen und Tischtennis dabei – so ganz normal eben. Also ganz jung an die Musikhochschule: zuerst Mannheim, dann Köln und schließlich drei Jahre in London. Wie schneidet Bonn in dieser Reihe ab? „Ach, ich lebe so gern hier. Die Leute sind so offen, die heitere Lebensart, die lebendige Musik- und Theaterszene machen die Stadt einfach liebenswert.“ Dennoch zieht es ihn ab der nächsten Spielzeit nach Berlin, an die Deutsche Oper. „Nach drei Jahren macht der nächste Schritt in meiner beruflichen Entwicklung Sinn.“ Aber zunächst will er pendeln und dann weitersehen …

In der laufenden Spielzeit hat er GMD Dirk Kaftan bei der Einstudierung des Figaro assistiert und vertritt ihn auch am Pult. Ja, es sei schon toll, von dessen musikalischer Finesse und Erfahrung zu profitieren. Zumal Kaftan sehr behutsam in der Kritik, aber sehr unterstützend in der künstlerischen Ausgestaltung sei.

Im Moment aber steht Philip Glass‘ Echnaton kurz vor der Premiere. „Sechs Bühnenorchesterproben benötigen wir, weil das Stück so komplex ist.“ Eigentlich benutzte er an der Stelle das Wort „Show“ und wir konjugierten fix verschiedene Bezeichnungen durch. Im englischsprachigen Raum setzt der Terminus „Show“ mitnichten die Qualität oder den Anspruch einer Oper herab, wir mögen dabei Friedrichstadt-Palast und Varieté assoziieren. Wie wäre es mit Musiktheater? Trifft es auch nicht ganz; dann käme der Tanz zu kurz. Gerade im Echnaton visualisieren ständig 12 Tänzerinnen und Tänzer, einzeln gecastet, keine Compagnie, die zweite Ebene der Handlung. Ein „Spektakel“ klingt nach Jahrmarkt und „Oper“ allein greift für ECHNATON definitiv zu kurz.

Die Glass-Oper hält Stephan Zilias inbesondere rhythmisch für sehr speziell. Wer ihn den Proben erlebt, lernt seine Disziplin und seine Wertschätzung den Musikerinnen und Musikern im Graben gegenüber kennen. Er fordert klar Qualität ein, bringt das gleichzeitig sehr angemessen rüber. Zilias lässt wiederholen, notfalls auch mehrfach und beharrt auf der perfekten Notenwertkongruenz. „Sonst hört sich das Ganze lahm an. Mit dem Orchester und dem Chor feilen wir an der bestmöglichen Variante, auch für die Sängerinnen und Sänger. Für den Chor ist das Einstudieren besonders fordernd, da sie hinter der Bühne singen.  Im Liebesduett zwischen Echnaton und seiner Frau Nofretete fährt das Podium sehr hoch. Dann liegen ungefähr 8 Meter zwischen uns im Graben und dem Paar ganz oben, die ja sowieso von der Handlung her dem Irdischen völlig entrückt sind. Wir erden das Geschehen, stellen Bodenkontakt her.“

Ja, möchte man meinen, diese Bodenständigkeit strahlt er aus. Keine Allüren – Ticks und Macken wie die des supergehypten Medienstars Teodor Currentzis hält er für Markenwerbung in eigener Sache. Nein, die kapriziöse Diva gibt Stephan Zilias wahrhaftig nicht. Das Normalsein liege auch einfach an Bonn und den großartigen Kolleginnen und Kollegen, die gemeinsam und hochmotiviert am selben Ziel arbeiten: alles für das Publikum geben.

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Was ihn besonders auszeichnet? Seine Passion für die Musik verbindet er mit einer großen Liebe zu den Menschen, wo im Team jede und jeder wichtig ist. Wie manche Verantwortliche der Regie, die ja immer nur für kurze Zeit an einer Spielstätte arbeiten, lässt er sich eine Übersicht mit den Namen der Orchestermitglieder samt Fotos anfertigen. So spricht er sie vom ersten Tag an korrekt an – allerdings konsequent mit „Sie“. So ein bisschen Distanz erweist sich in kritischen Situationen sicher gut für den genseitigen Respekt. Nachdem sich eine gute Arbeitsbasis  etabliert – wie mit dem Beethoven Orchester – geht er zum kollegialen „du“ über. Ein bisschen Oslo auch hier in Bonn.

Erwähnte ich bereits, wie angenehm er im Gespräch ist? Wie freimütig er plaudert, wie dezidiert in seiner Haltung in Fragen der Musik rüberkommt? Wie er den Kopf schüttelt über den mash der „Zweiakkordmusik“ im Fitness-Studio? Und wie er außer Klassik doch auch der Vatermusik der 70er wie Cream oder Colosseum viel abgewinnen kann? Jetzt wisst ihr’s.

Eins sei noch aus dem Nähkästchen geplaudert. Wenn er sich richtig konzentriert, drehen Daumen und Zeigefinger der linken Hand eine Runde über das linke Ohr. Außenrum. Von unten nach oben. Das macht er im Orchestergraben ebenso wie beim Mittagessen. Sehr liebenswert, die kleine Marotte. Gewiss schmälert das nicht die neueste Auszeichnung, die ihm von der Alma Mater seiner Londoner Studienzeit zuerkannt wurde: Associate of the Royal Academy of Music. Wir gratulieren sehr herzlich – königlich!

Time to say goodbye … unser Stündchen ist vorüber (und verging im Fluge). Ein Lächeln überzieht sein Gesicht. Anna trifft ein. Unsere Primadonna aka Anna Princeva aka Gräfin Almaviva in der Hochzeit des Figaro. Sie begrüßen einander sehr herzlich und ich gehöre für Anna dazu. Ob wir uns demnächst auch zum Gespräch verabreden könnten? Ganz gewiss, wenn sie hier in Bonn die nächste Premiere der Spielzeit vorbereitet und singt:  I due Foscari, ein früher VerdiDa dürfen wir uns jetzt schon freuen und wir sehen uns … live in der Oper.

Karten für Mozarts Die Hochzeit des Figaro und Philip Glass‘ ECHNATON (auch noch wenige für die Premiere am 11. März 2018) gibt es hier.

 

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