Echnaton, der Sonnengott

An einem strahlend schönen, wahrhaft sonnigen Sonntag machen wir erste Bekanntschaft mit Echnaton, einer der großen Porträtopern von Philip Glass. Beamen wir uns also von minus 4 Grad Celsius am Rhein ins sengend heiße Ägypten und von dort zurück in die Banlieues, dem perspektivischen Schauplatz der Oper. Laura Scozzi inszeniert – und das garantiert überraschende Regieeinfälle. Aktuell, kritisch, innovativ. 

Aber stopp, heute erleben wir nicht die Premiere, sondern die Matinee, die traditionell zwei Wochen vor dem großen Ereignis im Foyer der Oper Bonn stattfindet. Eine wunderbare Tradition mit der hautnah-authentischen Gelegenheit, work in progress mitzuerleben.  120 bis 150 Gäste dürften Platz genommen haben, um sich zunächst ein dickes Lob von Opernchef Andreas K. W. Mayer abzuholen. Soviel Zulauf im Vorfeld einer eher exotischen, nicht  Repertoire-gelisteten Oper!

Also dann. Für den erkrankten David Eisermann vom WDR springt kurzerhand und sehr professionell Johanna Mangold ein, die Dramaturgin der aktuellen Produktion. Quelle chance … sie moderiert souverän, kenntnisreich und elegant zwischen zwei Sprachen mäandernd. Laura Scozzi, die Regisseurin und den Bonnern mit Benvenuto Cellini in allerbester Erinnerung, spricht Französisch und Italienisch. On y va …

Vor die Theorie hat aber die Choreografie dieses Morgens die Anschauung oder besser die An“hörung“ gesetzt. So nimmt Stephan Zilias am Flügel Platz; er hat die musikalische Leitung inne und dirigiert. Dann verzaubern uns die kunstvoll ineinander verschlungenen hohen Stimmen: Benno Schachtner in der Titelrolle mit einem feinen, ausdrucksstarken Countertenor, Susanne Blattert als Nofretete, Echnatons Gemahlin, im runden Mezzosopran und Marie Heeschen in der Rolle der Königinmutter Teje im klaren Sopran. Wunderbar, wie die einzelnen Stimmen den lead part an einander abgeben wie in dieser heftig applaudierten Schlüsselszene: Der Sonnengott zeigt sich zum ersten Mal dem Volk. In Alltagskleidung ein Genuss – wie mag das im Kostüm auf der Bühne wirken?

Benno Schachtner

Für „minimal music“ wirkt dieses Terzett auffällig melodisch – und bereits hier klingt an, dass weder Stephan Zilias noch Johanna Mangold den Begriff überhaupt verwenden möchten. Der musikalische Leiter macht an einem Bild deutlich, wie sehr Glass‘ Musik oft zu vorschnell kategorisiert wird. Wer lange genug ein Gemälde von Yves Klein betrachtet, entdeckt im monochromen Blau mindestes 12 Schattierungen dieser Farbe. Da wäre es doch Frevel, sich ein vorher herbeigesehntes Gelb oder Braun wirklich hinzuzudenken.

Stephan Zilias.jpg

Zilias bescheinigt der Musik, sie öffne die Tür zur Trance. Allein die Ouvertüre bietet Variationen eines Grundmusters so lange (über 12 Minuten!), bis sie beim  Zuhörer den Wow-Effekt erzielt: Mensch, ist das toll! Die Faszination besteht darin, sich die Zeit zu nehmen und sich darauf einzulassen. Dann hört man schließlich auf dem Klangteppich nur noch die abweichenden Noten. BTW (wie der Engländer sagt) by the way: In 90 % aller Filmmusiken kommen Elemente von Glass’schen Kompositionen vor, entweder gekauft oder geklaut. Damit hat der Komponist – nach Jahren  ärmlichen Lebens am wirklichen Existenzminimum mit Jobs wie Kellnern und Umzugswagen Fahren – „sich dumm und dämlich verdient“.

Laut wird es aus dem Graben tönen; extrem die Musik für das Publikum wie für die Akteure gleichermaßen. Entfesselt wird sie sein, viel Schlagwerk bieten und den Musikerinnen und Musikern das Äußerste abverlangen. Eine Nummer vereint zwei Klarinetten, die sehr hohe Töne spielen müssen und bei der die Musiker nach zwei Minuten schon auf die Notenblätter schielen: noch 10 Seiten! Die Musik sei wahnsinnig physisch, gehe durch Mark und Bein, führe alle an ihre Grenzen. Auf der anderen Seite instrumentiert Glass in der Familienszene zwei Oboen d’amore, vor allem wegen ihres poetischen Namens. Sie begleiten Echnaton, den weltvergessenen Countertenor, wenn links und rechts die Ereignisse toben und er von all‘ der Bedrohung nichts mitbekommt. Also auf die Klarinetten und die Oboen gilt es besonders zu achten. Danke für den Hörtipp, Herr Zilias.

Selbstverständlich zielen die Regisseurin und der Dirigent hier auf die gemeinsame Leitlinie der Oper ab. Laura Scozzi wollte die Gewaltbereitschaft ihrer „Protagonistin“ Marie darstellen (und die des Umstürzlertums und der Konterrevolution ebenfalls). Echnaton, Ramses, Re, Nofretete … die Namen sind nicht nur den Expertinnen für altägyptische Geschichte bekannt. Und nun Marie. Ein dezidiert christlicher Name, eher katholisch. Laura Scozzi hat diese Figur erfunden als Mittlerin zwischen der Opernhandlung und dem Hier und Jetzt. Damit schlägt sie einen sehr weiten Bogen zu Islamismus und Radikalisierung. Sie verortet ihr Medium in St. Denis, einer Banlieue von Paris (vergleichbar vielleicht mit Köln-Chorweiler), wo sie sich zum Pharao  in eine Ersatzfamilie hineinfantasiert. Wie viele Jugendliche, die sich zu den Verlierern zählen, ist sie empfänglich für eine Heilsbotschaft, sie reflektiert das damalige Geschehen (ca. 1.300 v. Chr.) aus der heutigen Sicht, allerdings mehr und und mehr emotional als intellektuell. Sie idealisiert (im dritten Akt in der Famlienszene: Echnaton  entrückt mit seinen sechs Töchtern) das Bild der arabischen Großfamilie. Gleichzeitig spiegeln sich unterschiedliche Inhalte von Echnatons Gedankenwelt in Maries realer Lebenswelt.

„Es wird viel zu sehen geben.“ verrät die Dramaturgin. Aber sie lässt nur soviel von ihrer Katze aus dem Sack: 11 Bühnenbilder, schnelle Umbauten, rasante Podienfahrten. Sie habe ein Schauspiel innerhalb der Oper inszeniert, fügt Laura Scozzi hinzu, mit Tänzern, Statisten und Videosequenzen. Auch deshalb wächst die Lust auf die Aufführung jetzt noch mehr. Eine Inszenierung kann man eben nicht erzählen, die muss der Mensch sehen, hören, mit-erleben.  

Laura Scozzi.jpg

Den ewigen Kreislauf des Lebens bringen Scozzi, Mangold und Zilias auf die Bühne: etwas aufbauen, etwas zerstören, etwas wiederaufbauen, … Dabei sieht Scozzi das Bauen, die realen Steine, als politischen Akt. Denn so wie Echnatons Vater, Amenophis III, als Sinnbild seiner Macht die Tempel von Luxor baute, errichtet er selbst eine neue Stadt mit neuer Architektur, die das Sonnenlicht auch wirklich in die Hallen einfallen lässt. Die Frage des aktuellen Bezugs: Welche Despoten verfielen oder verfallen heute noch der Megalomanie? Hitler, Mussolini, Erdogan, Putin?

Insgesamt vermittelt die Oper keine Emotionen über die Personen- und Handlungsführung. Stattdessen packt das Archaische der Musik: Es wird ein Toben und Tosen, angetrieben durch eine entfesselte Kraft. Dabei entzieht sich der Pharao-Gott dem Geschehen gründlich. Er schwebt, dem Irdischen völlig entrückt, in anderen Sphären. Der Countertenor macht’s möglich: Er vermittelt etwas nahezu Übersinnliches. Den banalen Anforderungen in seiner Funktion als weltlicher Herrscher und Kriegsführer wird dieser Pharao nicht mehr gerecht. Im Sonnenhymnus, seiner großen Soloszene, entwickelt er sehr poetisch seine monotheistische Idee von der Naturgottheit, die alles lenkt. Aber er ist allein, kämpft alle Widerstände gegen seine Kulturrevolution gnadenlos nieder und kann doch nicht verhindern, dass seine Untertanen insgeheim weiter Amun (der schließlich re-institutionalisiert wird), verehren.

Philipp Glass hat mehrere Reisen nach Ägypten unternommen, sich mit Archäologen, Ägpytologen, Historikern und Religionswissenschaftlern umgeben und einen Sprecher eingefügt, der die wichtigen Textpassagen (als Schauspieler) darbietet. Den Sonnenhymnus singt Echnaton nach Glass‘ strikter Anweisung auf Deutsch (er soll immer in der Landessprache präsentiert werden). Seine Librettisten (Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riedel, Jerome Robbins) beauftragte er, ausschließlich Originaltexte auf Ägyptisch, Aramäisch und Akkadisch auszusuchen. Letztere eine Kunstsprache, in der in die fehlenden Vokale – in der  Überlieferung – zwischen die Konsonanten eingefügt wurden, um die Texte singbar zu machen.

Am Ende: RUINEN! Und ein Ausblick auf das Kalifat, das religiöse und weltliche Führung in einer Person oder Personengruppe vereint. Wie weit trägt dann das Postulat, das Laura Scozzi  wiederholt?  „Chacun est maître de son destin!“ Jeder ist seines Glückes Schmied.

Karten für die Premiere am 11. März 2018 gibt es hier.

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