Karneval einmal klassisch,Opus 16

Kultur auf der grünen Wiese? Oder gar auf dem grünen Hügel? Klassische Musik auf dem Land? Ja, machen wir einen Ausflug in eine wunderbare Landschaft! Nach Glyndebourne führt uns die Reise nicht, auch nicht in die Schleswig-Holstein Scheune oder nach Bayreuth. Fahren wir ins Bergische Land, genauer ins Kunsthaus Seelscheid, gerade mal 30 km von Bonn entfernt. 

Ein frühneuzeitlicher Landgasthof, dessen Tanz- und Festsaal in seiner Eichenbalken-Architektur zum Ankommen und Dableiben einlädt. 120 Stühle – keiner wie der andere – eine Bühne mit Flügel und ein Impresario, der ganz in seinem Kunsthaus aufgeht. Persönlicher Handschlag, ein Schwätzchen mit deutlich rheinischem Einschlag, ein Schalk in den blitzenden Augen und eine Vitalität, die manch an Jahren deutlich jüngeren  Mann neidisch macht.

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Die Camerata Carnaval 2018 stellt er, der Baas, wie er sich selber nennt, allerdings nicht allein dar. Das Wort kennen Sie nicht? Sehr rheinisch, sehr selbstironisch. Der Baas ist Chef von irgendwas, vom Männergesang- oder Anglerverein. Urkölsch wie selbiges Wasser – ob von Farina oder aus dem Rhein. Dat Wasser vun Kölle is joot …

Noch mal ein kurzer Blick auf den Titel – kein Köchelverzeichnis und kein BWV, schlicht nur opus 16. Will sagen: Zum 16. Mal spielt die Camarata zum klassischen Karneval auf. Allerdings nicht mehr in der Urbesetzung – schon deshalb hat jedes Opus (seit der Premiere 2001/2) neue Stücke, neue Texte, neue Verzällcher. Tagesaktuell und den Vorlieben und Qualitäten der Musiker angepasst.

In diesem Jahr spielen auf im Gruppenbild mit Dame (so kurz nach dem Böll-Jahr) … Ladies first Regina Rücker, die ihrem Violoncello erotisch zu Leibe und zu Saiten rückt. Dann Igor Kirillov, der Klavier sowie Orgel spielt und ganz unvergleichlich leidenschaftlich-traurig auf dem Xylophon die Löffel tanzen lässt. Pierce Black von down under, ein Seefahrer am double bass (dem Kontrabass) und der Gitarre, der mit weitaus mehr als durch seine Größe und den schwarzen Hut beeindruckt, Joon Laukamp, Mandoline, Violine und Coimbra, die nicht nur wie die portugiesische Stadt heißt, sondern als Saiteninstrument auch speziell auf die Musik Portugals gestimmt ist. Christoph Schumacher am Schlagwerk, den Drums, als Percussionist eine Klasse für sich, der auch mit Händen, Armen und Wangen den Takt angibt, und der Baas Burkard Sondermeier, Hausherr, Impresario, Dichter, Denker, Rezitator, Sänger, Drehorgelspieler, der die Verzällcher einflicht un op de dicke Trumm kloppt. Was für ein Ensemble!

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Zunächst mal als Zwischenfrage für euch: Schließen sich Karneval und Klassik nicht eigentlich aus? Was hat das hemmungslos laute, ungezügelte, kommerzialisierte Treiben mit Genuss, Ästhetik, Frohsinn und Witz im besten Sinne, also Esprit zu tun? Genau dieser Frage geht Burkard Sondermeier alljährlich nach. Bereits im ersten Jahr hat der Kultursender WDR3 live aus dem Kunsthaus in Seelscheid übertragen. In diesem Jahr am Rosenmontag erfolgt das  zur besten Sendezeit um 20:00 Uhr. Der Ritterschlag für den Anspruch des Programms, die Adelung des Anliegens. Auch wir Bonner kommen in den Genuss der Darbietung. Nicht mehr wie bis zum vorigen Jahr im Opernhaus, sondern in den Kammerspielen in Bad Godesberg. Tickets für die beiden Termine gibt es hier. Am 27. Januar (Mozarts Geburtstag!) spielt die Camarata Carnaval und am 11. Februar 2018 (Karnevalssonntag).

Und Mozart  spielen die Klassik-Karnevalisten auch. Alla Turca von Mozart ist, so Burkard Sondermeier,  vermutlich eins der schwächeren Stücke des unbestrittenen Genies. Das Rondo sei einfach nicht fertig komponiert und werde darüber hinaus  bis zum Überdruss gespielt. Die meisten Pianisten nun tanzen im Galopp über die Tasten, als ob Tempo alles wäre. Ganz im Gegenteil, meint er. Es handelt sich um einen Marsch. Und der entfaltet seinen Zauber, wenn ein virtuoser Klavierspieler und ein Percussionist der Sonderklasse das Stück spielen. Ein Träumchen, diese Interpretation!

Bleiben wir einen Moment in Wien. Die Faschingsbälle sind legendär, der Schmäh und der heilige Ernst der eigentlich heiteren Sache ebenfalls, es sei denn, es handelt sich um den Opernball, der mittlerweile zum Schaulaufen der „rich & beautiful“ verkommen ist. Johann Nestroy kommt zu Wort, Felix Mendelssohn-Bartholdy ebenfalls (aus dem römischen Karneval). Hier verlebte er seine glücklichsten Jahre; mit dem enormen Vermögen des Vaters im Hintergrund konnte er komponieren und das dolce vita genießen – mit dem Blick von seiner Wohnung auf die Spanische Treppe. Ein Luxus-Studium also.

Gleich geht’s nach Berlin, zu Friedrich Hollaender, dem genialen Komponisten des Blauen Engels, mit „Schau doch nicht immer nach dem Tangotänzer hin“.  Wie bitte? Tango im Karneval? Das ewige Leid am Leben und der Liebe dem promisken Treiben des Karnevals seit römischen Zeiten diametral entgegengesetzt?

Testimonial Rita

Die Camarata unternimmt virtuos einen Reigen über Kontinente und Jahrhunderte. Da folgen in munterer Reihe ein Chanson aus dem 17. Jahrhundert, die legendären kölschen Schusterjungen, eine Samba, eine Polka und eine Quadrille Carnevalesque, ein Tango und der Mottenblues. Satie als Vorreiter der minimal music tritt auf, die „Agata“ als Tangoparodie, Rossinis Tarantelle Napoletane und die unverwüstliche Forelle „La truite“ von Franz Schubert.

Das Motto des opus 16 lautet „Ihr künnt mich ens …“. Wer dächte nicht sofort an die Ergänzung des Satzes mit Berlichingen-Zitat oder der gesellschaftstauglichen Variante „… im Mondschein besuchen.“ Damit meint er: Über all‘ die Jahre habe ich mir meine (Narren-) Freiheit ersungen und erspielt, mich ficht nichts mehr an. Und siehe da, so lautet denn auch der komplette Titel „Ihr künnt mich ens besöke kumme.“ So rheinisch-charmant verpackt Burkard Sondermeier seine Einladung, das opus 16 doch persönlich zu genießen. Ein Spagat sei es, so formuliert er, Klassik und Karneval unter einen Hut bringen zu wollen. Dabei setze man sich leicht zwischen zwei, wenn nicht alle Stühle. Und deswegen tritt er nur mit seinem eigenen Sessel auf – ihr werdet es in den Kammerspielen selbst erleben.

Ein bisschen Verständnis für die rheinische Sprache ist hilfreich, aber nicht zwingend. Denn bei Bedarf überträgt der Baas spontan ins Hochdeutsche, wechselt zurück zu seiner urkölner Muttersprache oder näselt sich durch’s Wien der Jahrhundertwende.

Zum Programm heißt es: Nee, watt et diesmol nit all jit! Fastelovend em ahle Cölle, Fasching in Wien, Carnaval in Paris, Carnevale di Roma und Venezia und Carnaval in Argentinien. Evver och: Herrliche Verzällcher, Anekdoten, deren Pointen das Publikum zum schallenden Lachen bringt. Super Stimmung – fein zelebriert.

Wer Lust bekommen hat: Das liebevoll gestaltete Programmheft mit Texten & Liedern sowie historischen und philosophischen Betrachtungen findet ihr unter Kunsthaus Seelscheid.

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