Das erste Mal

Mit Tosca fing alles an

Die Oper und ich feiern einen runden Jahrestag. Wenige Ehen halten so lange – heutzutage. Genau 50 Jahre lang führen wir eine Beziehung. Und das kam so.

 

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Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Fünf Häuser am Hang, Kirche und Grundschule katholisch. Meine Eltern hatten ein großes Haus und wir waren kinderreich. Die Erwachsenen beschäftigten sich rund um die Uhr damit, den Wohlstand der 60 er Jahre zu erwirtschaften. Wir  Kinder wechselten auf das städtische Gymnasium. Und betraten damit eine andere Welt.

Sprache(n), Literatur und Geschichte erschloss ich mir rasch. Aber Musik? Das waren die Beatles und für  ganz Verwegene die Rolling Stones. Um ein Haar hätte ich also fast eine faszinierende Leidenschaft verpasst.

Wenn … , ja wenn da nicht die „Wuppertaler Oma“ gewesen wäre. Um die vorige Jahrhundertwende geboren, vertrat sie preußische Tugenden und erklärte mich zu ihrer Lieblingsenkelin, weil ich meinen Geburtstag mit Kaiser Wilhelm II und WAM, ihrem geliebten Mozart, teile. Die Oma war nicht nur kaisertreu, sondern auch kulturbeflissen. Und entschied, mein coming of age sollte von Tosca besungen werden:

Sie kleidete mich ein. Bodenlang der Rock in Weinrot. Dazu ein Blüschen und eine Weste – das eine weiß, die andere schwarz. Oma legte die Perlenkette samt passenden Ohrringen an, schaffte Ordnung auf meinem Lockenkopf und schon saßen wir im Bus der Operngesellschaft. Alle waren alt, alle von mächtiger Leibesfülle. Also die Opernfreunde.

Und Tosca ebenfalls. Erst viele Jahre später hörte ich den Opernkalauer par excellence: It’s not over until the fat lady has sung. Für alle, die im dritten Akt schon mal einnicken oder Visionen vom Schmausen danach entwickeln – es dauert noch ein Weilchen.

Wie kann ein Teenager mit zart aufkeimenden Hormonen nachvollziehen, dass die tapfersten, attraktivsten und wildesten Männer Mord und Totschlag begehen oder aber sich verzehren nach einer Walküre von den Maßen einer Montserrat Caballé? Wie einem billigen Slapstick auf den Leim gehen, wenn eine Puppe statt ihrer vom Gerüst stürzt?

Eigentlich wäre es das gewesen. Die Kleiderordnung, die vielen alten Menschen, die unglaubwürdige Geschichte, die Besetzung – nichts für mich.

Ihr ahnt, was mich fesselte und bis heute nicht losgelassen hat? Die MUSIK! Die ARIEN! Die DUETTE! Die KOSTÜME! Die CHÖRE! Das LICHT! Das Großartige, die Dimension der Leidenschaften, der Graben mit dem Stimmen, bevor der Maestro das Pult betritt. Wie er dann aus Tönen mit dem Orchester raumfüllende Klangwelten zaubert … Wunderbar!

Tosca war der erste Kuss, die Initiation. Genauso wie ein Liebhaber mit dem ersten, zaghaft platzierten, aber dann meisterlich ausgeführten Kuss die nahezu unstillbare Sehnsucht nach mehr weckt. So war das. Vor 50 Jahren.

Und heute? Fesselt mich die Oper mehr denn je. Über Jahre haben wir es auch mal locker genommen: Kleine Kinder, Examen, turbulente Lebensphasen rückten dominant in den Fokus …  es blieb wenig Zeit und Raum für die Oper. Aber wie in jeder tragfähigen Beziehung haben wir beide nach stillen Phasen wieder voll aufgedreht.

Mein Herz schlägt dabei laut und vernehmlich für unsere Bonner Oper. Klar, ich buche auch Tickets für andere Spielstätten, wenn ich auf Reisen bin. Aber: Home is where the heart is – and our opera.

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Als Studentin habe ich mich schon unter dem sanft verschimmernden Sternenhimmel in die Musikwelt weggeträumt. Um ab der ersten Note nach dem Beifall für den Dirigenten ganz hellwach mitzufiebern. Leidenschaft, Passion, Enthusiasmus – nennt es, wie ihr wollt. Erotik, Blutschande, Königsmord – ja, alles im menschlichen Kosmos dargestellt. Komik, Verwechselspiel und Hosenrolle – köstliche Szenen. Tränen, Erlösung, Katharsis – von allem etwas.

In den letzten Jahren bin ich erneut für die Bonner Oper entflammt, engagiere mich dort ehrenamtlich und sauge die Begegnungen bei den Matinéen vor Premieren, bei Werkstattgesprächen und den Vorführungen förmlich auf.  Zunehmend widme ich mich auch den literarischen Vorlagen, den politischen oder mythologischen Hintergründen der Werke, dem Werdegang der Ensemblemitglieder, den Besprechungen.

Hier lest ihr  also ab jetzt die ganz persönlichen Eindrücke einer enthusiasmierten Opernfreundin. Guckt  öfter mal rein. Es lohnt sich – das verspreche ich euch.

 

 

 

 

 

6 Kommentare

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  1. Markus Tenter

    Liebe Mechthild, stell dir bitte (mal wieder) einen dicken tanzenden Mann vor … das bin ich – aus Freude darüber, daß du dir einen Ruck gegen und mit dem schönen Blog begonnen hast! Mehr bitte!

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  2. Christine Grünewald

    Liebe Mechthild, bin erst heute dazu gekommen, mich mit Deinem neuen Projekt zu befassen. Super Idee! Ich freue mich darauf, öfter etwas von Dir zu lesen.

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  3. Ursula Hartlapp-Lindemeyer

    Liebe Frau Tillman, ich bin auch voll entflammt und zwar seit ich als 15-jährige in Köln den „Freischütz“ gesehen habe. Zeit ohne Oper war nur, als meine Kinder klein waren.
    Jetzt bin ich regelmäßig in Bonn (Premierenabo und Opernführerin) und Köln, aber auch Paris und Bayreuth (habe dort 8 von 10 Opern bereits gesehen). Teile Ihre Leidenschaft! Sehr schöne Berichte!

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